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# taz.de -- Bürgerbeteiligung in Berlin: Auch ein Wörtchen mitreden
> Ist aus der Bürgerbeteiligung eine Industrie entstanden? Immer öfter
> vergeben Bezirke und Senat Beteiligungsformate an private Büros.
Bild: Begehbarer Stadtplan im Projektraum in der Karl-Liebknecht-Straße in Mit…
Berlin taz | Vom [1][Streit um das RAW-Gelände] in Friedrichshain spricht
heute kaum noch jemand. Vor knapp zwei Jahren hat die BVV
Friedrichshain-Kreuzberg den Kompromiss abgesegnet, den [2][Baustadtrat
Florian Schmidt] (Grüne) eingebracht hatte. Ein großer Teil der
soziokulturellen Projekte bleibt 30 Jahre erhalten, im Gegenzug darf
Investor Lauritz Kurth auf den restlichen Flächen in die Höhe bauen.
Vorbereitet hatte den Kompromiss eine Dialogwerkstatt, die Schmidt beim
Büro Urban Catalyst in Auftrag gegeben hatte. „Ziel war es, mittels
verschiedener Veranstaltungsformate einen städtebaulichen Konsens zwischen
den einzelnen Interessensgruppen zu finden“, heißt es dazu auf der Webseite
von Urban Catalyst. Und das scheint, als Beispiel für erfolgreiche
Bürgerbeteiligung, gelungen.
Und ein Beispiel für eines der vielen Beteiligungsverfahren, das die
öffentliche Hand an private Dienstleister vergeben hatte. Das gefällt nicht
jedem. Agenturen mit Bürgerbeteiligung zu beauftragen sei „geradezu die
größtmögliche Vernichtung wirksamer Formen der Beteiligung“, kritisiert
Volker Hassemer, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin. Als
Stadtentwicklungssenator hatte Hassemer vor 30 Jahren das Stadtforum ins
Leben gerufen, ein Gremium von Expertinnen und Experten, das im Auftrag des
Senats strittige Themen wie die Bebauung des Potsdamer Platzes debattierte.
Das Argument, dass die Verwaltung zu wenige Ressourcen für
Beteiligungsformate habe, lässt Hassemer nicht gelten. „Ich habe damals
entschieden, welche Arbeit die Verwaltung zu machen hat“, sagt er der taz.
„Das ist eine Frage der Priorität und der politischen Verantwortung.“
## Ergebnisoffen und klar abgesteckt
Auch der Linken-Bauexperte Michail Nelken hat beim Thema Bürgerbeteiligung
inzwischen Bauchschmerzen. „Weil der Senat und die Bezirke immer mehr nach
außen geben, ist eine richtige Beteiligungsindustrie entstanden“,
kritisiert er. Genau das aber sei ein Problem. „Im Zweifel sind Private
abhängiger, als wenn die Beteiligung von der Verwaltung gemacht wird. Einem
Verwaltungsmitarbeiter kann man nicht kündigen, wenn er auf Kritik hört.
Aber ein Büro fürchtet um Folgeaufträge.“
Cordelia Polinna, die Geschäftsführerin von Urban Catalyst, sieht das
anders. „Unsere Aufgabe ist es, eine gute Plattform zu schaffen, damit der
Dialog zwischen Politik, Verwaltung und Bürgern optimal stattfinden kann“,
sagt sie der taz. „Wir bereiten die Entscheidung nur vor. Treffen müssen
sie Politik und Verwaltung in den politisch legitimierten Gremien.“
Polinna betont aber auch, wie wichtig es sei, dass ein Verfahren
ergebnisoffen und der Handlungsspielraum klar abgesteckt sei. So wie bei
der Planung für eine Shopping Mall. „Wenn das Verfahren nicht ergebnisoffen
wäre und wir nur Akzeptanz für eine Shopping Mall schaffen sollten, würden
wir es wahrscheinlich nicht machen.“
## Seit 2000 möglich
25 Mitarbeitende arbeiten inzwischen bei Urban Catalyst. Bürgerbeteiligung
ist ein wachsender Markt. Auch deshalb, weil die Verwaltungen in den
Bezirken und Senatsverwaltungen die Komplexität der Beteiligungsverfahren
nicht mehr alleine mit Bordmitteln stemmen können. Da machen weder der
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine Ausnahme noch die Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung und Wohnen.
Gegenüber der taz betont die Stadtentwicklungsverwaltung [3][die wachsende
Bedeutung des Themas] Beteiligung. „Diese Verfahren sind wichtig, um die
Stadtgesellschaft auf Augenhöhe einzubinden“, sagt eine Sprecherin von
Senator Sebastian Scheel (Linke). „Damit wird das kreative Potenzial
Berlins aktiv eingebunden und zu einer gemeinwohlorientierten
Stadtentwicklung beigetragen. Diese guten Prozesse werden auch
international wahrgenommen.“
Rechtlich möglich ist die Vergabe von Aufträgen an private Büros seit dem
Jahr 2000. Damals wurde im Baugesetzbuch der Paragraph 4b zur „Einschaltung
von Dritten“ eingeführt. Das Bundesgesetz reagierte damit aber nur auf eine
in Berlin schon übliche Praxis. So wurden bereits bei der Überarbeitung des
Flächennutzungsplans 1994 private Dienstleister einbezogen. Nach Angaben
der Verwaltung werden externe Dienstleister heute immer dann einbezogen,
„wenn bestimmte Aufgaben nur sporadisch anfallen, kurzzeitig ein hoher
Personalaufwand erforderlich ist oder spezielle Fachkompetenzen
erforderlich sind.“
## Ein neues Kapitel
Zu diesen Fachkompetenzen gehören [4][vor allem auch Onlineformate], weiß
Maria Brückner, die seit zehn Jahren für das Büro Zebralog arbeitet. „Unser
Büro startete damit, das Internet für Beteiligungsverfahren zu nutzen“,
sagt Brückner der taz. Damals, in den 2000er Jahren seien das, etwa beim
Gleisdreieckpark, noch „Neulandprojekte“ gewesen. „Inzwischen gibt es imm…
mehr Beteiligungen, und die Verfahren sind umfangreicher geworden“, hat
Brückner beobachtet. „Neben den Onlinebeteiligungen kamen mit der Zeit
Veranstaltungen dazu, Moderationen und auch die Kommunikation.“ Inzwischen
arbeiten bei Zebralog 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Einer der großen Aufträge ist das Verfahren für das Rathausforum in Mitte.
Dort hat Zebralog das Beteiligungsverfahren „Alte Mitte, neue Liebe“
durchgeführt. Wie Cordelia Polinna betont auch Maria Brücker, dass die
Erwartungen durch die Auftraggeber klar kommuniziert werden müssen, vor
allem bei Privaten. „Manchmal gibt es Anfragen, da wird uns zu verstehen
gegeben, dass das nicht ergebnisoffen ist“, sagt Brückner. „Wenn private
Akteure keinen ernsthaften Dialog wollen, würden wir mit denen auch nicht
zusammenarbeiten.“
Und noch einen Trend hat Brückner beobachtet. “Es passiert immer öfter,
dass die Verwaltung bei den Investoren einfordern, die Kosten der
Beteiligung zu übernehmen.“ Das könne aber auch problematisch sein.
„Investoren wollen manchmal ganz andere Dinge zur Diskussion stellen als
Verwaltungen.“
Keine Beteiligungsindustrie ist es also, die Berlin erlebt, sondern ein
neues Kapitel der Beteiligung, das von den Verwaltungen alleine, anders als
zur Gründung des Stadtforums, gar nicht mehr bewältigt werden könnte. Und
dann ist da noch der Blick von außen. „Unsere Erfahrungen, die wir an
anderen Orten sammeln, nehmen die Auftraggeber sehr gerne an“, sagt Urban
Catalyst-Geschäftsführerin Cordelia Polinna. „Eine Planungsabteilung in
Berlin kann in ihrer täglichen Arbeit nicht ständig nach München, Hamburg
oder Zürich schauen.“
12 Apr 2021
## LINKS
[1] /Zukunft-des-RAW-Gelaendes-in-Berlin/!5517342
[2] /Rot-Rot-Gruen-streitet-um-Rigaer94/!5756527
[3] /Neue-Zentral--und-Landesbibliothek/!5654271
[4] /Debatte-um-neues-Stadtquartier/!5752352
## AUTOREN
Uwe Rada
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