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# taz.de -- Betongold meets Brennpunkt: Glanz und Elend in Lichterfelde
> Am Stadtrand will Investor Klaus Groth ein neues Stadtviertel bauen.
> Exklusiver Öko-Luxus trifft auf den einzigen Problemkiez im Südwesten.
Bild: Lichterfelder Skyline: die Türme der Thermometersiedlung über dem Stadt…
Ein roter Stachel steckt im friedlichen Fleisch des Bezirks
Steglitz-Zehlendorf. Die [1][Stadtkarte des Monitoring Soziale
Stadtentwicklung] macht mit dunkelroter Farbe alle zwei Jahre sichtbar, in
welchen Kiezen die soziale Lage besonders hart ist. Der rote Stachel in
Steglitz-Zehlendorf heißt Thermometersiedlung, ein Hochhausviertel am
südlichen Stadtrand.
Zwar ist die Siedlung umringt von relativ wohlhabenden Gebieten. Dennoch
gehört sie zu Berlins härtesten Problemkiezen: Mit 60 Prozent sind hier
ebenso viele Kinder von Armut betroffen wie in den bekannten Brennpunkten
Nord-Neuköllns. Mit einem Unterschied: In der Thermometersiedlung geht der
Trend laut Statistik sogar weiter bergab.
In dieser schwierigen Lage sorgt eine 900-Millionen-Investition für Wirbel:
Vor den Türen der Siedlung möchte der Berliner Immobilienmogul [2][Klaus
Groth] ein neues Stadtviertel bauen – auf einem Gelände, auf dem sich
Berliner Vergangenheit überschneidet mit aktuellen Konflikten um Stadt und
Natur.
„Wir haben dort als Kinder gespielt, Hütten aus Holz gebaut“, erzählt der
17-jährige Johnny im Gemeindezentrum der „Thermo“. So wird die Siedlung von
denen genannt, die schon immer hier wohnen. Die anderen Jugendlichen im
Raum stimmen ihm zu: „Das war unsere Freifläche, wo man spazieren gehen
konnte, ohne Sirenen und Blaulicht“, sagt der 19-jährige Hussein, ebenfalls
aus der Siedlung.
## Zwischen Wohntürmen und Mauerstreifen
Die Freifläche, von der die beiden sprechen, ein Gelände von der doppelten
Größe des Volksparks Friedrichshain, liegt im Schatten der bis zu 22
Stockwerke hohen Wohntürme, zwischen der Stadtrandsiedlung und dem
ehemaligen Mauerstreifen.
Eine fast unwirkliche Landschaft: Sträucher quetschen sich durch die Fugen
verwitterter Betonplatten, ein altes moosbewachsenes Gemäuer starrt mit
seinen glasbefreiten schwarzen Fenstern in die Wildnis. Dahinter beginnt
eine von Baumgruppen durchbrochene Wiesenlandschaft, durch die sich die
Trampelpfade der Spaziergänger dem nahen Wald entgegenschlängeln.
2012 kaufte Klaus Groth das einst staatseigene Grundstück, nach
taz-Informationen zum extrem niedrigen Preis von 10 Millionen Euro. Seitdem
möchten er und der Bezirk vor allem das, was gerade ganz Berlin will:
bauen. Auf einer repräsentativen Pressekonferenz im November wurden die
aktuellen Pläne vorgestellt.
2.500 Wohneinheiten sollen auf 36 Hektar entstehen, nur 540 von ihnen
Sozialwohnungen, dafür immerhin 420 exklusive Reihenhäuser. Der Name des
geplanten Viertels: Neulichterfelde. Zukunftsweisende Konzepte zu
nachhaltiger Energie, Mobilität, Naturschutz und „Community“ runden die
Pläne ab. Ziel sei, ein „innovatives, ökologisches und ökonomisches
Referenzprojekt für das urbane Leben im 21. Jahrhundert“ zu schaffen, so
der Schöpfer über sein Werk.
In der Tat: Die zukünftigen Bewohner erwartet ein schickes, modernes
Quartier. Doch es gibt seit Jahren Streit um das Wie der Bebauung. Die
Gründe liegen in der Geschichte des Ortes – aber auch in seiner Gegenwart.
## Tausende Kriegsgefangene
Bis in die 1930er Jahre jüdisches Eigentum, wurde das Grundstück von den
Nazis „arisiert“ und der Reichsbahn übergeben. 1940 errichtete schließlich
die Wehrmacht das Kriegsgefangenenlager Stalag IIID auf dem Gelände. Etwa
2.600 Menschen mussten in den Baracken hausen, vor allem Franzosen. Drei
noch immer erhaltene Gebäude konnten inzwischen als Überreste aus
Nazizeiten identifiziert werden, darunter das moosbewachsene Gemäuer mit
den glaslosen Fenstern.
In Groths Planung fand dieses historische Erbe allerdings erst vor zwei
Jahren Eingang. „Erste vom Bauunternehmen in Auftrag gegebene historische
Recherchen erwähnten die Nazi-Vergangenheit gar nicht“, erinnert sich
Thomas Schleissing-Niggemann, Vorsitzender der Initiative KZ-Außenlager
Lichterfelde.
„Zusammen mit dem NS-Dokumentationszentrum Topographie des Terrors haben
wir daraufhin das Gelände besichtigt und gemeinsam mit dem Aktionsbündnis
Lichterfelde Süd und dem VVN-BdA Antrag auf Denkmalschutz gestellt.“
Erst seitdem zeige sich die Groth-Gruppe kooperativ und integrierte die
drei historischen Gebäude in ihre Baupläne. Auf den Bezirk ist der
Vorsitzende der Initiative weniger gut zu sprechen. Es finde sich kein
Träger für den in der Kriegsgefangenenbaracke am Landweg 3/5a geplanten
Lernort: „Der Bezirk müsste hier einspringen, damit die Erinnerung an die
Verbrechen wachgehalten wird“, so Schleissing-Niggemann.
## Natur unter Beschuss
Nach der Befreiung Berlins nutzte ab 1953 die US-Armee das Gelände für
Truppenübungen. Eine ganze Geisterstadt inklusive U-Bahnhof wurde
errichtet, um darin den Häuserkampf zu proben. Unter Kugelhagel und
Hubschrauberdonner entwickelte sich hinter Nato-Stacheldraht eine
vielfältige Flora und Fauna, für die sich nach Abzug der Truppen 1994
zunehmend Naturschützer interessierten.
2011 gründete sich deshalb das Aktionsbündnis Lichterfelde Süd. Kernthema:
eine Bebauung im Einklang mit den vorhandenen Naturräumen. Helmut Schmidt
war von Anfang an dabei. Er redet ruhig, aber eindringlich: „Ein
Bezirks-Gutachten von 2012 hat wegen der schützenswerten Natur damals nur
16 Hektar als Bauland ausgewiesen.“ Groth habe anschließend gedroht, gar
nicht zu bauen. Jetzt sollen 36 Hektar frischem Beton weichen.
„Der Staat müsste doch das Allgemeinwohl im Blick haben“, so Schmidt. Das
Aktionsbündnis sei dabei nie per se gegen eine Bebauung gewesen, so
Schmidt: „Wäre man unseren Vorschlägen gefolgt, stünden dort heute 1.600
sozialverträgliche genossenschaftliche Wohnungen.“
In Groths neuem Stadtviertel wird der Anteil der Sozialwohnungen hingegen
nur etwa 20 Prozent betragen. In einer Stadt, in der laut dem
Verbändebündnis Soziales Wohnen bis 2030 rund 80.000 Sozialwohnungen gebaut
werden müssten, ist das auffällig wenig – und nur durch eine Reihe für den
Eigentümer begrüßenswerter Umstände möglich.
## Sozialbau à la Steglitz-Zehlendorf
Denn ab Januar 2018 ist berlinweit eigentlich ein Anteil von 30 Prozent
Sozialbau für Großprojekte vorgeschrieben. Groth und der Bezirk schlossen
jedoch noch am 31. Juli 2018 einen städtebaulichen Vertrag, der das
Unternehmen nur auf 25 Prozent Sozialbau verpflichtete. Grund hierfür war
eine Übergangsfrist, bis zu deren Ende Baufirmen die neue 30-Prozent-Quote
erspart blieb. Stichtag: der 31. Juli 2018.
Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) nannte diese
Zeitplanung auf taz-Anfrage „vernünftig“. Man trage schließlich
Verantwortung gegenüber dem Investor.
Ebenfalls glücklich für Groth: Die 420 geplanten Reihenhäuser senken die
Zahl der Geschosswohnungen und damit den Umfang des vorgeschriebenen
Sozialwohnungsbaus. Kaum nötig zu erwähnen, dass Reihenhäuser im Bezirk als
extrem begehrt gelten. „Die Kaufpreise werden eine halbe Million deutlich
übersteigen“, so Klaus Groth persönlich im November.
Neben der niedrigen Zahl geförderter Wohnungen fällt auch ihre Platzierung
auf. Die preiswerten Blöcke befinden sich vor allem am Rand des Wohngebiets
mit großer Entfernung zum S-Bahnhof oder in lärmbelasteten Lagen, etwa an
der von ICE und Güterzügen befahrenen Bahntrasse oder an lauten Haupt-
sowie Zufahrtsstraßen.
Die Bezirksbürgermeisterin springt Groth zur Seite: „Die Verteilung sorgt
für eine soziale Durchmischung.“ Die Fehler der „Thermo“ sollten nicht
wiederholt werden. Man sei „stolz auf die Kooperation mit Groth“.
Helmut Schmidt vom Aktionsbündnis Lichterfelde Süd hat den Bezirk weniger
kooperativ erlebt: „Wir wurden immer nur als Gegner behandelt.“ Für die
Sozialverträglichkeit des neuen Viertels müsse man auch das Umfeld im Blick
haben – und das verfalle seit Jahren zusehends: „In der Thermo wachsen
Birken in den Fußballtoren!“
Im Gemeindezentrum in der Thermometersiedlung, keine 50 Meter vom geplanten
Neubaugebiet entfernt, macht auch der 19-jährige Antonio seinem Frust Luft:
„Die Reichen da drüben kriegen alles neu gemacht und hier müssen Familien
auf einen maroden Spielplatz gehen, auf dem sich ihre Kinder verletzen!“
Die Jugendlichen hier sind mit dem im Gemeindezentrum ansässigen
Sozialverein Bus-Stop aufgewachsen. „Siebzehn Jahre dieselben Stühle“, ruft
Johnny S. und es wird still. „Seit ich denken kann, gab es hier nichts
Neues.“ Das Jahrzehnte alte Gemeindezentrum strahlt eine sympathische Wärme
aus, trotz der maroden Holzwände hier und da. Bunte Plakate mit Fotos
zieren die Wände.
## Sorge um Sozialverein
Hier begannen Martina Bischof und ihr kürzlich verstorbener Mann Jürgen in
den neunziger Jahren, den Jugendlichen einen Freizeitort zu bieten und sie
zu Konfliktschlichtern auszubilden. Ein soziales Netz entstand, eine Art
Dschungel-Funk, der laut Polizei zur Reduzierung der Kriminalität im Kiez
um 40 Prozent führte. Auch Klaus Groth hat die Wichtigkeit dieses Vereins
erkannt. Seit etwa vier Jahren unterstützt der Bauherr von Neulichterfelde
Bus-Stop finanziell.
Doch die 900-Millionen-Investition der Groth-Gruppe schafft auch
Realitäten. Der erwartete Zuzug von etwa 6.000 überwiegend gutbetuchten
Neubürgern ruft die Kirchengemeinde auf den Plan. „Die Kirche erwartet den
Zuzug von neuen Gemeindemitgliedern und will deswegen dieses Zentrum hier
neu bauen“, so Bischof. Im Neubau ist für Bus-Stop deutlich weniger Raum
vorgesehen.
Ein weiteres Jugendprojekt in der Thermo ist von der Dynamik betroffen.
„Die Gemeinde hat unseren Kooperationsvertrag nach 28 Jahren gekündigt“,
erzählt Constantin Huth, Leiter des Jugendzentrums Holzkirche. „Für die
Finanzierung des neuen Gemeindezentrums sollen wir jetzt der Kirche Pacht
zahlen.“ Das könne man aber nicht leisten.
Zwar ist der Träger Goldnetz bereits jetzt für „Community“-Arbeit in
„Neulichterfelde“ vorgesehen und steht auch in Kontakt mit Bus-Stop. „Aber
die kennen sich nicht aus im Kiez“, sagt Leiterin Martina Bischof besorgt.
Im Sommer gehe sie in Rente und das Jugendamt und die Behörden hätten
bisher kaum auf ihre Warnungen reagiert. „Die können sich nicht vorstellen,
was es für die Umgebung hier heißt, wenn Bus-Stop stirbt“, fügt sie hinzu.
Auch die Jugendlichen sorgen sich um die Zukunft des Viertels: „Wir
brauchen einen Ort, wo wir hingehören“, sagt Hussein. Er und die anderen
befürchten Spannungen zwischen dem Neubaugebiet und dem Brennpunkt. Ihr
Enthusiasmus über die neuen, innovativ lebenden Nachbarn hält sich in
Grenzen.
„Neulichterfelde? Wir sind doch Lichterfelde!“, ruft der 18-jährige Fabian.
„Wieso nicht Neuzehlendorf? Da passen die doch eh besser hin.“
NaN NaN
## LINKS
[1] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/m…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=u8NPJvVt6BE
## AUTOREN
Björn Brinkmann
## TAGS
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