# taz.de -- Mit Ukraine und Russland gut Freund: Pekings doppeltes Spiel | |
> Chinas Positionierung im Ukraine-Konflikt wird immer undurchsichtiger. | |
> Die Führung in Peking möchte sich alle Türen offenhalten. | |
Bild: Vladimir Putin und Xi Jinping bei ihrem letzten offiziellen Treffen in Pe… | |
PEKING taz | Es mag eine Binsenweisheit sein, doch im Falle Chinas ist sie | |
doppelt wahr: Man muss das Land an seinen Taten messen, die Worte der | |
Staatsführung hingegen lassen sich getrost als rhetorische Nebelgranaten | |
abtun. Die Entwicklungen der laufenden Woche belegen dies eindrücklich: | |
Erst am Montag versicherte Fan Xianrong, Pekings Botschafter in Kiew, dass | |
man der ukrainischen Bevölkerung „freundlich“ gesinnt sei, [1][das Land | |
„niemals angreifen“ werde] und eine „Kraft des Guten“ sei. Doch nur zwei | |
Tage später, als der Internationale Gerichtshof in Den Haag Russland zum | |
Ende des Krieges aufforderte, [2][stimmte die chinesische Richterin Xue | |
Hanqin dagegen]. | |
Auch mehr als drei Wochen nach dem russischen Einmarsch in Richtung Kiew | |
ist Chinas Position in diesem Konflikt keineswegs in Stein gemeißelt. Im | |
Gegenteil: Xi Jinpings Haltung scheint sich nahezu tagesaktuell an die | |
Gegebenheiten anzupassen. Trotz der offensichtlichen Nähe zu Russland | |
möchte Chinas Führung sich stets ein Hintertürchen offenhalten. | |
Wie verwirrend die chinesische Kommunikation bisweilen ist, wird an der | |
Berichterstattung des Staatsfernsehens deutlich. Erstmals dulden die | |
Zensoren dort auch Videoaufnahmen der vom Krieg verwüsteten Städte in der | |
Ukraine, ja selbst von den herben Verlusten russischer Streitkräfte wird in | |
den Abendnachrichten mittlerweile berichtet. Gleichzeitig verbreitet CCTV | |
zur besten Sendezeit weiterhin Verschwörungstheorien über [3][angebliche | |
US-Biowaffenlabore] auf ukrainischem Boden. Die Botschaft, die innerhalb | |
der Bevölkerung verfängt, ist widersprüchlich. Nur ein Narrativ bleibt | |
konstant: Hinter den Kulissen sind die USA der eigentliche Aggressor. | |
Wo China wirklich steht, lässt sich anhand der eigenen Propaganda jedoch | |
nicht ablesen. Wird Peking vollends auf Russland setzen, um eine neue | |
Weltordnung der Autokraten heraufzubeschwören? Oder wird es dem Westen | |
gelingen, Xi Jinping dazu zu bringen, [4][mit seinem „alten Freund“ | |
Wladimir Putin] zu brechen? Beide Szenarien sind Extrempole, die mit | |
Sicherheit nicht in dieser Form eintreffen werden. Stattdessen agiert | |
Pekings Führung inmitten dieses Spannungsfelds. | |
## Wenn zwei kämpfen, sieht am besten zu | |
„Ein System wie China kennt per Definition keine Freundschaft“, sagte | |
unlängst ein hochrangiger, europäischer Diplomat in Peking. Damit spielt er | |
auf die interessengeleitete Außenpolitik der Volksrepublik an, die | |
ausschließlich auf den eigenen Nutzen ausgerichtet sei. Auf welcher Seite | |
dieser liegt, lässt sich jedoch nicht eindeutig beantworten. | |
Im Westen wird zwar stets angenommen, dass man der Volksrepublik deutlich | |
mehr zu bieten hat als ein wenig kaufkräftiges Russland mit einer | |
schwächelnden Wirtschaft. Doch aus der Vogelperspektive ergibt sich ein | |
anderes Bild. | |
Von den direkten Folgen des Krieges wird China nämlich unter allen großen | |
Volkswirtschaften am wenigsten Schaden nehmen. Laut einer Modellrechnung | |
der New Yorker Denkfabrik The Conference Board hat das robuste Reich der | |
Mitte maximal einen Einbruch von 0,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts | |
zu befürchten. Bei Deutschland wären es im schlimmsten Fall 2,4 Prozent. | |
Dementsprechend lässt sich das derzeitige Herumlavieren auch mit einem | |
traditionellen Sprichwort umschreiben: Wenn zwei Tiger sich bekämpfen, dann | |
schaut man am besten von einem hohen Hügel aus zu. | |
Zudem hat sich innerhalb der Pekinger Führung längst die Vorstellung | |
durchgesetzt, dass es der Volksrepublik langfristig nichts bringt, wenn sie | |
auf die Beziehungen zu den USA setzt. Washington würde niemals einen | |
Aufstieg Chinas zulassen, glaubt man im Regierungssitz Zhongnanhai. Wieso | |
also sollte man seine Energien an eine Beziehung verschwenden, die ohnehin | |
unweigerlich auf einen Kollisionskurs zusteuert? | |
## China könnte von Spannungen profitieren | |
Auch spekuliert Peking darauf, dass die derzeitige Geschlossenheit des | |
Westens schon bald Risse zeigen könnte. Dann nämlich, wenn [5][die | |
Energiepreise in ungeahnte Höhen] schnellen und die [6][ukrainischen | |
Flüchtlingsströme] nicht abreißen. Von den sozialen Spannungen würde | |
ebenfalls vor allem China profitieren. | |
Russland ist zudem ein verlässlicher Partner auf diplomatischer Ebene, der | |
in fast allen Angelegenheiten Rückendeckung bietet – angefangen von der | |
Nato-Expansion in Osteuropa bis hin zum [7][angelsächsischen Militärbündnis | |
Aukus im Indopazifik]. | |
Xi Jinping hat also durchaus ein starkes Interesse daran, dass Putin | |
weiterhin an der Macht bleibt. Dabei spielt es keine Rolle, ob er künftig | |
stark angeschlagen sein wird. Im Gegenteil, ein schwaches Russland käme | |
China durchaus recht: Moskau würde dann nämlich vollkommen von Pekings | |
Wirtschaft abhängig und würde dementsprechend günstiges Öl liefern. | |
Wenn China allerdings bemerkt, dass die europäische Geschlossenheit gegen | |
Putin keine Eintagsfliege ist und diesem vielleicht sogar droht, den | |
militärischen Konflikt gegen Kiew zu verlieren, wird Xi Jinping seine | |
Position grundsätzlich überdenken. Denn die russisch-chinesische | |
Freundschaft ist vor allem ein pragmatisches Zweckbündnis. Auf der Seite | |
der Verlierer möchte Peking nicht landen. | |
18 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/3430195-china-will-never-attack-u… | |
[2] https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/182/182-20220316-PRE-01-0… | |
[3] https://www.swr.de/wissen/ukraine-gefahren-von-biolaboren-100.html | |
[4] https://www.aljazeera.com/news/2022/3/18/personal-ties-that-bind-how-xi-put… | |
[5] https://fred.stlouisfed.org/series/PNRGINDEXM | |
[6] /Krieg-in-der-Ukraine/!5838347 | |
[7] https://orf.at/stories/3238063/ | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
## TAGS | |
China | |
Russland | |
Beziehung | |
Wirtschaft | |
Diplomatie | |
China | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
China | |
Internationalen Paralympics Komitee | |
Hongkong | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Widerwille gegen erneute Lockdowns: In China liegen die Nerven blank | |
Bislang haben die Chinesen die Null-Covid-Politik stets akzeptiert. Aber | |
nach neuen harten Lockdowns zeigt sich aufgestauter Frust. | |
Coronastrategie in China: Lockdowns sollen „präziser“ werden | |
China möchte an seiner „Null Covid“-Strategie festhalten, jedoch die | |
wirtschaftlichen Folgekosten minimieren. Der Frust in der Bevölkerung | |
wächst. | |
Kiew bleibt Putins Ziel: Die Wut wächst | |
In den vergangenen Tagen ist es in Kiew ruhiger geworden, doch die | |
Bedrohung ist nicht vorbei. Die Menschen bereiten sich auf die große | |
Schlacht vor. | |
Berichte über russische Bitte an China: Taktisches Kalkül der USA | |
Angeblich hat Russland von China militärische Hilfe erbeten. China nennt | |
das Fake News – die Beziehungen zu den USA sind am Tiefpunkt. | |
China dominiert die Winter-Paralympics: Großer Sprung nach vorn | |
Bei den Winter-Paralympics in Peking steigt China wundersam zur Topnation | |
auf. Vorzeigefrau ist die Langläuferin Yang Hongqiong. | |
Peking verordnet Zwangsquarantäne: Hongkong im Coronanotstand | |
Weil die autonome Wirtschaftsmetropole Hongkong die Kontrolle über die | |
Pandemie verliert, diktiert jetzt China der Stadt die eigene Politik. |