# taz.de -- Peking verordnet Zwangsquarantäne: Hongkong im Coronanotstand | |
> Weil die autonome Wirtschaftsmetropole Hongkong die Kontrolle über die | |
> Pandemie verliert, diktiert jetzt China der Stadt die eigene Politik. | |
Bild: Bier scheint es noch in Hongkong zu geben (rechts), das Kühlregal mit Le… | |
PEKING taz | Allein die Gerüchte über einen Lockdown „nach chinesischem | |
Vorbild“ haben in Hongkong Panikkäufe ausgelöst: Am Dienstag waren viele | |
Supermarktregale leergeräumt, laut Berichten mangelte es an Fleisch, Gemüse | |
und Tiefkühlkost. In den sozialen Medien kursierende Bilder erinnern an die | |
chaotischen Tage in Europa zu Beginn der Pandemie 2020. | |
Tatsächlich durchläuft Hongkong eine solche Ausnahmesituation | |
zeitverzögert: Während die Metropole bis Ende 2021 mit gerade mal 12.000 | |
Infizierten sehr gut durch die Pandemie gekommen war, haben sich allein in | |
den letzten zwei Monaten 200.000 Menschen infiziert. Die Dunkelziffer | |
dürftte weit höher liegen. | |
Die Situation wird dadurch verschärft, dass die Zentralregierung in Peking | |
ihre in China erfolgreiche „Null Covid“-Strategie mit der Brechstange auf | |
Hongkong ausweitet, auch wenn sie dort längst zum Scheitern verurteilt ist. | |
Ab Mitte März sollen alle 7,4 Millionen Einwohner auf das Virus getestet | |
werden. Für viele Hongkonger wäre wohl eine Erkrankung mit der | |
Omikron-Variante weniger besorgniserregend als die darauf folgende | |
Zwangsquarantäne: Denn alle Infizierten sollen ganz unabhängig von den | |
Symptomen in zentralisierten Einrichtungen weggesperrt werden. | |
## Zentrale Quarantänecamps | |
Am Stadtrand werden riesige Camps errichtet, die für eine der reichsten | |
Städte der Welt beschämend sind: kahle Container mit Gitterbetten, | |
abgesperrten Fenstern und kommunalen Plumpsklos. „Erwarten Sie, dass die | |
Übergangseinrichtungen wie Hotels sind?“, twittert die Peking-treue | |
Abgeordnete Regina Ip schnippisch. | |
Tatsächlich zeigen die Camps vor allem behördlichen Aktionismus. Denn für | |
eine „Null Covid“-Strategie sind Lager mit Gemeinschaftstoiletten für | |
Infizierte eher kontraproduktiv. | |
Auch erhöhen sie die psychologischen Folgen für die Bevölkerung. So hatten | |
die Behörden in einer Quarantäne-Anlage letzte Woche innerhalb von 72 | |
Stunden vier Suizidversuche registriert. | |
In den sozialen Netzwerken zirkulierende Videos zeigen, wie verzweifelt | |
viele Menschen in den Lagern sind. Eine 59-jährige Frau droht, vom Dach | |
ihres Gebäudes zu springen. Ein Mann schläft aus Protest im Freien vor | |
seinem Isolationscontainer, da er laut eigener Aussage keine medizinische | |
Hilfe für eine chronische Erkrankung erhält. „Es ist wie ein | |
Konzentrationslager. Niemand würde erfahren, wenn ich sterbe“, sagt er. | |
## Zweifel an der Isolationspolitik | |
Auch Experten zweifeln an Hongkongs strenger Isolationspolitik. Bei weit | |
über 10.000 Infektionen pro Tag sei es aussichtslos, weiter zu probieren, | |
das Virus vollständig auszuradieren. Die meisten Infizierten würden sich | |
besser in der eigenen Wohnung kurieren. Doch auf Druck Pekings muss | |
Hongkong jetzt am „Null Covid“-Mantra festhalten. | |
Umso erstaunlicher ist es, dass in Festlandchina erstmals eine abweichende | |
Expertenmeinung zu vernehmen ist. Kein Geringerer als Zeng Guang, | |
Chef-Epidemiologe der nationalen Seuchenschutzbehörde, schreibt auf der | |
Onlineplattform Weibo, dass angesichts milderer Verläufe durch Omikron eine | |
„Koexistenz mit dem Virus“ das langfristige Ziel sein müsse. | |
„Die natürliche Infektionsrate in China ist gering. Bisher war dies ein | |
beachtliches Ergebnis, doch mittlerweile ist es eine Schwäche“, so Zeng. | |
Noch sei aber kein geeigneter Zeitpunkt für eine Öffnung. | |
1 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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