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# taz.de -- Coronastrategie in China: Lockdowns sollen „präziser“ werden
> China möchte an seiner „Null Covid“-Strategie festhalten, jedoch die
> wirtschaftlichen Folgekosten minimieren. Der Frust in der Bevölkerung
> wächst.
Bild: Bilder, die man kennt: Teststation in Peking, 20. März 2022
Peking taz | Selten war die Kritik aus den eigenen Reihen derart scharf
formuliert. „Ein ganzes Stadtviertel wegen eines einzigen Covid-Patienten
abzuriegeln – wer hat sich so etwas ausgedacht?“, schreibt der Shanghaier
Militärarzt Miao Xiaohui auf seinem Wechat-Account. Miao, der Mitglied der
Kommunistischen Partei ist, geht in seiner Verurteilung der rabiaten
Lockdownpolitik noch einen Schritt weiter: „Die Geschichte wird über die
politischen Verantwortungsträger richten“. Wenig überraschend wurde sein
Posting umgehend gelöscht, doch nach wie vor kursieren Screenshots im
chinesischen Netz.
Nachdem die Volksrepublik aufgrund seiner erfolgreichen [1][„Null
Covid“-Strategie] über lange Zeit eine virusfreie Bastion blieb, zwingt
sich die hochansteckende Omikronvariante nun ihren Weg durch fast sämtliche
Provinzen. Am Sonntag vermeldet die nationale Gesundheitskommission
Corona-Infektionen aus 69 Städten, die täglichen Ansteckungen liegen
derzeit bei rund 4.000. Zudem sind am Wochenende erstmals seit dem 25.
Januar 2021 wieder zwei Patienten in China an der Viruserkrankung
verstorben.
Im internationalen Vergleich muten die Zahlen weiterhin verschwindend
gering an. Doch da die Staatsführung eisern an einer Nulltoleranzstrategie
festhält, wird jeder noch so kleine Infektionsstrang mit radikalen Methoden
behandelt: Massentestungen, Zwangsquarantäne und Ausgangssperren.
Wie dies aussieht, zeigt sich dieser Tage in Shanghai: Die belebte
Fußgängerzone Nanjing-Lu ist wie leergefegt, die Wohnsiedlungen der meisten
Bezirke mit Stahlschlössern abgeriegelt. Immer wieder müssen die Bewohner
zu Massentests antreten, nicht selten kommt es dabei auch zu Handgemengen.
## Der Lockdown ist kein Lockdown
Offiziell weigert sich die Stadtregierung nach wie vor, die aktuelle
Situation einen Lockdown zu nennen. Doch Fakt ist: Erstmals sind neben
Shanghai etliche Wirtschaftszentren der Ostküste nahezu stillgelegt – von
der Hafenstadt Qingdao bis hin zur Tech-Metropole Shenzhen im Süden.
Auch in Peking haben die Behörden unlängst ganze Wohnsiedlungen
dichtgemacht. In der historischen Altstadt ist auch ein traditionelles
Hutong-Viertel betroffen, um das Gesundheitspersonal in weißen
Schutzanzügen über Nacht mannshohe Plastikplanen hochgezogen haben. Der
Ausbruch mit bisher elf nachgewiesenen Infektionen geht auf ein
benachbartes Peking-Ente-Restaurant zurück, an deren Besitzer man nun ein
Exempel statuieren möchte: Von den 830 Gästen, die als enge Kontakte
gelistet werden, haben nämlich 477 sich nicht verpflichtend mit ihrem
Smartphone registriert.
Es ist erstaunlich, mit welch stoischer Gelassenheit die Bevölkerung die
rigiden Maßnahmen akzeptiert. Auch für Quan, der an diesem Märznachmittag
vor einem Pekinger Einkaufszentrum Flyer für sein Fitnessstudio verteilt,
gibt es keinen Grund zur Panik. Doch die strengen Maßnahmen, sagt der in
Pilotenjacke und dunkler Jogginghose gekleidete Mittzwanziger, seien
schlecht fürs Geschäft: „2020 war eine Katastrophe für uns, 2021 war ein
gutes Jahr – doch seit zwei Monaten geht es wieder bergab“. Wie Quan denken
viele seiner Landsleute: Der Respekt vor einer Virusansteckung ist nach wie
vor hoch; doch hinzugekommen ist eine ungleich größere Angst: unfreiwillig
in einen Lockdown zu geraten.
## Nach drei Tagen lässt es nach
Dass die Maßnahmen längst nicht mehr verhältnismäßig sind, soll der
Bevölkerung möglichst vorenthalten werden. Am Donnerstag richtete sich der
Vize-Direktor eines Pekinger Krankenhauses an die Medien. Dabei schilderte
er aus eigener Erfahrung, dass „die meisten Omikron-Infizierten keine allzu
große medizinische Behandlung“ bräuchten und die Symptome nach rund „drei
Tagen wieder nachlassen“ würden. Wenig später wurden seine Zitate von den
Zensoren aus dem chinesischen Internet gelöscht.
Nichts deutet mehr darauf hin, dass China in diesem Jahr seinen
epidemiologischen Kurs ändern wird. Doch en Detail sind bereits
chirurgische Anpassungen auszumachen: Am Donnerstag sagte Staatschef Xi
Jinping bei einem Treffen des Politbüros, dass die Behörden nicht nur das
Virus unter Kontrolle bringen sollen, sondern dabei auch die Auswirkungen
auf die „wirtschaftliche und soziale Entwicklung minimieren“ müssen.
Insbesondere in Shenzhen und Shanghai experimentieren die Behörden damit,
Lockdowns immer gezielter und treffsicherer zu machen, Quarantänezeiten zu
kürzen und anstatt PCR-Tests auch kostengünstigere Selbsttests zu erlauben.
Längst zeigen die Maßnahmen Früchte: Während früher Betriebe über mehrere
Wochen stillgelegt wurden, dürfen diese unter speziellen Auflagen nach
wenigen Tagen bereits wieder aufsperren.
## „Closed Loop“-Management
Dabei kommt eine Art „closed loop“-Management zum Einsatz, wie es bereits
bei den Olympischen Winterspielen in Peking erprobt wurde: Die Mitarbeiter
werden vom Rest der Bevölkerung abgeschirmt und leben in firmeneigenen
Wohnheimen. Anders ausgedrückt: Chinas Behörden wollen keine
Lockdown-Keulen mehr schwingen, sondern mit präzisen Dartpfeilen einzelne
Wohnblocks abriegeln.
Doch eine nachhaltige Exit-Strategie ist dies freilich nicht. Das Problem
ist jedoch, dass die Regierung bis heute keine Mrna-Imfpstoffe von Biontech
oder Moderna zugelassen hat. Stattdessen ist die Bevölkerung nur durch die
Totimpfstoffe der chinesischen Produzenten Sinovac und Sinopharm geschützt.
Ein Blick auf die Statistiken belegt, dass diese in Bezug auf Omikron
deutlich unterlegen sind: Sowohl in Singapur als auch in Chile – beides
Länder mit einer sehr hohen Durchimpfungsrate – sind die Ansteckungen seit
Anfang des Jahres exponentiell in die Höhe geschnellt. Und auch wenn die
relative Infektionsrate in Singapur zeitweise doppelt so hoch war wie in
Chile, betrug die Sterblichkeit im direkten Vergleich nur ein Drittel. Eine
offensichtliche Erklärung liegt auf der Hand: Singapur hat seiner
Bevölkerung mit Mrna-Impfstoffen versorgt, während in Chile zunächst nur
chinesische Vakzine zur Verfügung standen.
21 Mar 2022
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## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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