# taz.de -- Zwei Jahre Corona in Berlin: Ganz gut davongekommen | |
> In der Pandemie hat Berlin sein Image als Stadt des Chaos korrigiert – | |
> mit klugen Entscheidungen und schneller Umsetzung. Lehren gibt es | |
> dennoch. | |
Bild: Verrückte Zeiten: Graffiti in Schöneberg 2021 | |
Berlin taz | Am 2. März 2020 war es offiziell: „Das neue Coronavirus hat | |
jetzt auch Berlin erreicht“, vermeldete dpa an jenem Montag. Tags zuvor war | |
[1][ein 22-Jähriger desorientiert und fiebrig in die Charité] gebracht und | |
getestet worden. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis in Berlin weitere | |
Fälle entdeckt werden würden, prognostizierte der für Mitte zuständige | |
Amtsarzt Lukas Murajda. Er lag richtig. | |
Zwei Jahre später ist die Welt – wegen Corona – eine andere. Halb | |
Deutschland jongliert locker mit Begriffen von Inzidenz bis Spikeprotein. | |
Allein in Berlin sind bis zu diesem Montag 4.243 Menschen mit oder an dem | |
Virus gestorben, viele kämpfen auch lange nach einer Erkrankung noch mit | |
den Folgen. Ganze Wirtschaftsbranchen bangen um ihre Existenz; psychische | |
Krankheiten haben zugenommen; junge Leute verschwenden ihre Jugend hinter | |
FFP-2-Masken. Und mit all dem vor Augen kann man dennoch konstatieren: In | |
Berlin sind wir ganz gut davongekommen. | |
Das liegt zum einen am vielen Geld, das die damalige rot-rot-grüne | |
Regierung bereits in den ersten Wochen der Pandemie schnell und | |
unbürokratisch vor allem an Unternehmen und Soloselbstständige verteilte, | |
insbesondere aus [2][der in Berlin so wichtigen Kulturbranche]. Später | |
zogen die meisten anderen Länder und der Bund nach. Berlin wurde in der | |
Pandemie zum Vorbild – das entsprach so gar nicht dem Klischee des sonst | |
als Chaosland geschmähten Stadtstaats. | |
Und es gibt weitere Beispiele: Der Aufbau und Betrieb der vielen | |
Impfzentren klappte erstaunlich problemlos – was sicher auch daran lag, | |
dass viele Menschen aus der brachliegenden Veranstaltungsbranche hier ihr | |
Know-how einbringen konnten. Kurz nach Weihnachten 2020, keine zehn Monate | |
nach der ersten Infektion in Berlin, wurden hier die ersten Impfungen | |
verabreicht. | |
Die Stadt [3][agierte zudem vorausschauender als andere Bundesländer]. | |
Während viele ihre Impfzentren nach der dritten Welle Mitte 2021 schlossen, | |
hielt Berlin zwei davon offen. Das schuf Kapazitäten, als die | |
Booster-Impfungen im November 2021 anliefen: Impftermine gab es fast immer. | |
Bemerkenswert ist leider auch, dass sich dieser Organisationsvorsprung kaum | |
in Zahlen ausdrückt: Berlins Impfquote liegt mit 77,4 Prozent doppelt | |
Geimpften weiterhin nur im bundesweiten Mittelfeld. Die [4][Versuche, an | |
impfferne Gruppen heranzukommen, waren bisher wenig erfolgreich]. Doch auch | |
die durchschnittliche Impfquote reichte, um in der vierten Welle im Herbst | |
2021 die Infektionszahlen im Griff zu behalten und um einen erneuten | |
Lockdown herumzukommen, wie es ihn in Sachsen und Bayern gab. | |
Damals zeigte sich zudem: Berlins Koalition unter dem scheidenden | |
Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte gelernt, mit | |
steigenden Inzidenzen umzugehen und sich nicht kirre machen zu lassen von | |
den steten Debatten zwischen Zero-Covid-Anhänger*innen und Superliberalen, | |
die wöchentlich das nahe Ende der Pandemie ausriefen. | |
Überhaupt gelang es Rot-Rot-Grün, trotz der unbekannten Dynamik der | |
Pandemie, nach den ersten turbulenten Monaten einen erstaunlich konstanten | |
Kurs zu fahren und Prioritäten zu setzen, etwa im Umgang mit den Schulen. | |
Das stieß meist erst dann an Grenzen, wenn es zu bundesweiten Regelungen | |
kam, etwa bei den bundesweiten Lockdowns im Winter 2020. | |
Dieser konstante Kurs war möglich, weil es Rot-Rot-Grün endlich gelang, | |
sich auf die Sacharbeit zu konzentrieren und weil sich Berlins | |
SPD-Regierungschef im anlaufenden Bundestagswahlkampf nicht ständig | |
profilieren musste – anders als die CDU-Kollegen in Bayern, Sachsen und | |
Nordrhein-Westfalen, die ihre Positionen je nach Stimmungslage in der | |
Bevölkerung teilweise innerhalb weniger Tage änderten. Allerdings | |
[5][haperte es bisweilen an der Vermittlung der aktuell geltenden | |
Regelungen]; mehrfach waren sie zudem in sich widersprüchlich. | |
## Massive Probleme im Gesundheitssektor | |
Das heißt nicht, dass Berlin und seine neue rot-grün-rote Landesregierung | |
nicht doch Lehren aus den vergangenen zwei Jahren mit dem Coronavirus | |
ziehen müssen. Die Pandemie hat insbesondere Defizite und Überlastungen des | |
Gesundheitssystems auf Landes- wie Bezirksebene deutlich gemacht; ebenso | |
wie die fehlende materielle und soziale Anerkennung für viele dort | |
Beschäftigte. | |
Hier massive Verbesserungen umzusetzen könnte nicht weniger schwierig | |
werden wie die akute Politik in der Pandemie: Denn wenn Letztere – | |
hoffentlich – bald an Brisanz und Gefährlichkeit verliert, sinkt | |
unmittelbar der gesellschaftliche und politische Druck für Veränderungen. | |
Erst recht, wenn weltpolitisch dramatische Ereignisse wie aktuell der Krieg | |
gegen die Ukraine auch in anderen Politikbereichen Probleme offenbart wie | |
nun etwa bei der Bundeswehr, für die dann mal schnell 100 Milliarden Euro | |
bereitgestellt werden – Geld, das woanders fehlt. | |
1 Mar 2022 | |
## LINKS | |
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[4] /Giffeys-neue-alte-Corona-Strategie/!5823436 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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