| # taz.de -- Kritik an Luca-App in Berlin: Datenschutz ist kein Luxus | |
| > Der Druck, den Vertrag mit der Luca-App zu kündigen, ist immens. Die | |
| > Lehre für die Politik: Sie muss endlich auf Datenschützer hören. | |
| Bild: Scannen, einchecken und Daten verschenken mit der Luca-App | |
| Wenn in Deutschland über Probleme bei der Digitalisierung diskutiert wird, | |
| geht es meist um fehlende Computer in Schulen, langsames Internet auf dem | |
| Land, Faxgeräte in Gesundheitsämtern oder ähnliches. Kaum beachtet wird | |
| hingegen, dass Politiker*innen und leitende Angestellte in der | |
| Verwaltung immense Defizite haben, was die Anerkennung von Datenschutz | |
| angeht. | |
| Das ist erstaunlich, schließlich gelten (persönliche) Daten schon länger | |
| als die Währung des 21. Jahrhunderts. Doch Datenschutz wird großflächtig | |
| ignoriert oder gilt als lästiges Übel, um das sich Beauftragte kümmern | |
| sollen, aber bitte ohne dabei allzu viel Staub aufzuwirbeln. Das zeigen | |
| zwei jüngste Beispiele aus Berlin aus den letzten Tagen. | |
| So wurde kurz nach Jahresbeginn bekannt, dass die Freie Universität Berlin | |
| (FU) [1][ihr Videokonferenzsystem Cisco Webex nicht datenschutzkonform und | |
| deshalb rechtswidrig] nutzt. Und das bewusst: Die Berliner | |
| Datenschutzbeauftragte hatte die Uni bereits Mitte November 2021 auf diesen | |
| unerträglichen Missstand hingewiesen. Und schon seit Beginn der Pandemie | |
| und dem damit einsetzenden Boom der Videotools großer US-Techfirmen namens | |
| Zoom, Webex, Teams etc. ist klar, dass diese oftmals nicht mit der | |
| Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vereinbar sind. | |
| Im Falle der FU hat [2][die Berliner Datenschutzbeauftragte ganz | |
| serviceorientiert in einem sechsseitigen Schreiben] zahlreiche konkrete | |
| Vorschläge aufgelistet, was die Uni tun könne, um die Eingriffe in die | |
| Grundrechte von rund 40.000 Studierenden schnell zu mindern. Doch [3][die | |
| FU schweigt] und hofft weiter, dass der Sturm vorbeizieht. | |
| Das zweite Beispiel, das sich nicht [4][zu einem Desaster entwickelt | |
| hätte], wären die Bedenken von Datenschützer*innen ernst genommen | |
| worden wären, ist die Luca-App. Berlins Regierender Bürgermeister Michael | |
| Müller (SPD) hatte im Alleingang im März eine Lizenz für Berlin erworben | |
| und war damit zum Vorbild vieler anderer Bundesländer geworden. Dem | |
| medienwirksam verbreiteten Versprechen der Entwickler*innen und | |
| Betreiber*innen um Altrapper Smudo von den Fantastischen Vier, die | |
| Pandemie mit diesem System beherrschen und ein weitgehend normales | |
| Alltagsleben mit Kneipen- und Clubbesuchen zu ermöglichen, opferten die | |
| Ministerpräsident*innen mehr als 20 Millionen Euro Steuergeld. | |
| Auch in diesem Fall hatte die für das Unternehmen zuständige Berliner | |
| Datenschutzbeauftragte und viele andere Datenschutzexpert*innen | |
| (darunter Abgeordnete der Linken und Grünen, die beide in Berlin | |
| mitregieren) vor den Problemen gewarnt, die zum Beispiel die zentrale | |
| Speicherung der Daten bei Luca mit sich bringt. Dem rot-rot-grünen Senat | |
| war das egal: Das System wurde an die Gesundheitsämter angeschlossen, um | |
| eine schnelle Nachverfolgung der Kontakte von Corona-Infizierten zu | |
| ermöglichen. | |
| Doch auch die Bilanz der Gesundheitsämter fällt inzwischen [5][mehr als | |
| verhalten] aus. „Die Luca-App lieferte lediglich in Einzelfällen hilfreiche | |
| Hinweise“, erklärt etwa Pankows Gesundheitsstadträtin Cordelia Koch | |
| (Grüne). Und die Berliner Datenschutzbeauftragte schreibt auf taz-Anfrage: | |
| „Im Gegensatz zur Corona-Warn-App bietet die Luca-App kaum einen Mehrwert | |
| bei gleichzeitig deutlich größeren Risiken, während sie Datenhalden | |
| produziert, die von den Gesundheitsämtern kaum genutzt werden.“ | |
| ## „Sehr kritische Diskussion“ | |
| Wenig überraschend herrscht deshalb inzwischen weitgehend Einigkeit bei den | |
| Datenschutzexperten von Linken, Grünen und SPD, dass der Vertrag mit der | |
| App auf keinen Fall über März hinaus verlängert werden darf. Und Berlins | |
| neue Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) sagte am Donnerstag im | |
| Abgeordnetenhaus, innerhalb der | |
| Gesundheitsminister*innenkonferenz werde gerade eine „sehr | |
| kritische Diskussion“ über die App geführt. Eine späte, eigentlich zu spä… | |
| Einsicht. | |
| Am Freitag wurde bekannt, dass nach Bremen und Schleswig-Holstein auch | |
| Brandenburg den Vertrag mit der Luca-App nicht verlängern will. Die Gründe | |
| dafür seien Datenschutzprobleme und die Tatsache, dass nur eines der 18 | |
| Gesundheitsämter laut einer Umfrage vom vergangenen Jahr die App regelmäßig | |
| nutze, sagte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) am Freitag | |
| nach einer Kabinettssitzung. | |
| Die beiden Fälle Luca und Cisco Webex zeigen, dass Datenschutzbeauftragte | |
| weiterhin oft nur als ungeliebter Grußonkel oder ungeliebte Grußtante | |
| wahrgenommen werden. Verinnerlicht haben die meisten Politiker*innen | |
| die Bedeutung von Datenschutz nicht; bestenfalls opfern sie ihn viel zu | |
| leichtfertig anderen Interessen. Das muss eine Mahnung sein an die neuen | |
| Regierungen im Bund und in Berlin, die der Digitalisierung eine zentrale | |
| Bedeutung eingeräumt haben: Die Dialektik der Technik darf nicht weiter | |
| ignoriert werden. | |
| 15 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mangelhafter-Datenschutz-an-Uni/!5823593 | |
| [2] https://astafu.de/sites/default/files/2022-01/BlnBDI_an_FU.pdf | |
| [3] /Datenschutz-im-oeffentlichen-Dienst/!5823701 | |
| [4] /Kritik-an-Luca-App-in-Berlin/!5827211 | |
| [5] /Bremer-Kontaktnachverfolgung/!5793395 | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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