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# taz.de -- Kritik an Luca-App in Berlin: Luca soll in Quarantäne
> Linke, Grüne und Datenschützer drängen darauf, den Vertrag mit der
> Nachverfolgungs-App zu kündigen. Diese habe nur die negativen Erwartungen
> erfüllt.
Bild: Brachte vor allem ihren Entwickler*innen viel Geld: Luca-App auf dem Handy
Berlin taz | Die Pandemie tobte bereits ziemlich genau ein Jahr, da hatte
Berlins Regierender Bürgermeister die Idee, sie mit modernster Technik zu
stoppen. Das Land saß frustiert im Lockdown, die Corona-Impfungen liefen
nur mühsam an, also setzte Michael Müller (SPD) an diesem 16. März 2021 auf
Nachverfolgung via Handy: „Ich will jetzt endlich auch diese Luca-App
haben“, verkündete er nach der dienstäglichen Senatssitzung.
„Endlich auch“ war gewaltig übertrieben. Zwar liefen auf Bundesebene
Verhandlungen, das von einem Berliner Start-Up mit medienwirksamer
Unterstützung der Altrapper Die fantastischen Vier entwickelte System zu
nutzen. Damit, so die Hoffnung, sollte die Nachverfolgung von Kontakten von
Infizierten durch die Gesundheitsämter deutlich erleichtert werden. Doch
die Gespräche kamen nicht voran, wie Müller kritisierte; nur das dünn
besiedelte Mecklenburg-Vorpommern hatte Luca bereits gekauft. Deshalb, so
der SPD-Politiker weiter, werde er „in eigener Verantwortung“ eine
App-Lizenz für Berlin „organisieren“.
An diesem Donnerstag soll das Luca-Kapitel geschlossen werden, zumindest in
Berlin. „Die App bringt uns nichts“, sagt der Abgeordnete Sebastian
Schlüsselburg, Linksfraktions-Sprecher für Digitalisierung. Zudem seien
viele datenschutzrechtliche Probleme weiter ungelöst, und es gebe [1][mit
der Corona-Warn-App des Bundes eine bessere und billigere Lösung].
Schlüsselburg spricht sich dafür aus, den Vertrag mit den Betreibern der
App – der culture4life GmbH – rasch zu kündigen. Am Rande der Plenarsitzung
am Donnerstag will er mit den Koalitionspartnern SPD und Grüne über einen
entsprechenden Beschluss reden. Denn die Zeit für eine Entscheidung drängt:
Der Vertrag endet zwar erst im März, hat nach taz-Informationen aber eine
kurze Kündigungsfrist im Februar. Verstreicht diese, verlängert sich der
Vertrag automatisch.
1,2 Millionen Euro hat das Land für das erste Jahr mit Luca gezahlt; ob die
Summe wie einst angekündigt vom Bund übernommen wird, ist unklar. Sicher
gab in der Pandemie größere Fehlinvestitionen oder noch erfolgreicheres
Glücksrittertum, etwa unter Schnelltester*innen und
Maskenbeschaffer*innen. Doch die längst bundesweit verbreitete Luca-App ist
auch eine Geschichte von überholten technischen Fortschrittsglauben
neoliberaler Färbung. Und ein Beleg dafür, dass der Staat durchaus der
privaten Konkurrenz überlegene Produkte entwickeln kann – wenn die
Politiker*innen darauf vertrauen.
Die Luca-App soll via Smartphone die digitale Nachverfolgung von
Kontaktpersonen bestätigter Coronafälle ermöglichen – im direkten Austausch
mit dem zuständigen Gesundheitsamt. Ziel ist es, Kontakte lückenlos zu
dokumentieren und dabei fehleranfällige Papier-Kontaktlisten zu ersetzen.
Über einen QR-Code kann man sich beim Besuch von Geschäften, Restaurants,
Museen, Kinos oder Konzerten registrieren.
Zur Zeit der Einführung der Luca-App im März fehlte der vom Bund
finanzierten Corona-Warn-App diese Registriermöglichkeit. Das und die
umfassende Werbung vor allem durch „Fanta-4“-Mitglied Smudo dürften den
Erfolg von Luca ausgemacht haben; die zahlreichen anderen Anbieter
ähnlicher Lösungen kamen jedenfalls nicht zum Zug, nicht in Berlin, nicht
in anderen Bundesländern.
Mit dem Ergebnis, dass Luca nach Unternehmensangaben im November 2021
bundesweit von rund 38 Millionen registrierten User*innen und rund
420.000 Betrieben wie Restaurants, Clubs und Bars genutzt wurde. 323 von
375 Gesundheitsämtern seien deutschlandweit an das Luca-System
angeschlossen, jubeln die Betreiber. Doch die Arbeit der Ämter wurde durch
die App nicht wie erhofft effektiver, sagt Schlüsselburg: „Berlins
Gesundheitsämter sagen mir: Das Produkt hat uns nie geholfen.“
Nachfragen bestätigen dies. „Die Luca-App lieferte lediglich in
Einzelfällen hilfreiche Hinweise“, teilt etwa Pankows Gesundheitsstadträtin
Cordelia Koch (Grüne) am Dienstag mit. „Von daher sieht die Bilanz des
Gesundheitsamtes verhalten aus.“
Obwohl viele Gäste von Restaurants, Bars und anderen Freizeitlokalitäten
Luca nutzen würden, müsse das Amt vielfach nachermitteln, berichtet Koch.
„Wir können oftmals nicht erkennen, ob es tatsächlich Kontakte gegeben
hat.“ Ein Grund dafür: Die Gäste würden der App nicht angeben, wenn sie
einen Ort wieder verlassen.
Verhalten fällt auch die Reaktion aus dem Gesundheitsamt des Bezirks
Friedrichshain-Kreuzberg aus. „Eine Verlängerung des Vertrags sollte nur in
Erwägung gezogen werden, wenn sie in eine Gesamtstrategie eingebettet ist,
im Rahmen derer eine Kontaktnachverfolgung sinnvoll ist“, erklärt
Bezirkssprecherin Sara Lühmann der taz. Allerdings habe man generell „keine
besonderen Erwartungen an die App“ gehabt.
Dazu kommt viel Kritik von anderer Seite. Denn genauso lang wie die Nutzung
von Luca läuft auch [2][die Auseinandersetzung der Datenschützer*innen
mit der der culture4life GmbH]. Anders als die Corona-Warn-App des Bundes,
bei deren Entwicklung datenschutzrechtliche Fragen eine wichtige Rolle
spielten, werden die Daten bei Luca zentral verwaltet. Ein grundsätzliches
Problem, wie Berlins damalige Datenschutzbeauftragte Maya Smoltczyk [3][im
April vor dem Datenschutzausschuss des Abgeordnetenhauses betonte]: „Wo
eine Vielzahl personenbezogener Daten zentral gespeichert werden, kann auch
eine Vielzahl dieser Daten entwendet werden.“ Dazu kämen zahlreiche weitere
Schwierigkeiten. „Ein bunter Strauß an Problemen, die zum großen Teil
lösbar sind“, wie Smoltczyk bilanzierte, nicht ohne hinzuzufügen: „Aber
eben auch gelöst werden müssen.“
Und das ist auch nach fast einem Jahr immer noch nicht abschließend
passiert, sagte Simon Rebiger, Sprecher der Datenschutzbeauftragen, der taz
am Mittwoch. „Einige der festgestellten Mängel wurden mittlerweile
adressiert. Bei anderen Mängeln steht die Behebung durch das Unternehmen
noch aus.“
Der Linke Schlüsselburg formuliert es schärfer. Er attestiert der
culture4life GmbH „viel Rhethorik und wenig konkretes Handeln“. Das Fass
zum Überlaufen brachte vielen Kritiker*innen ein [4][vor wenigen Tagen
bekannt gewordener Vorfall aus Mainz:] Polizisten griffen bei Ermittlungen
zu einem Sturz mit Todesfolge auf Daten der Luca-App zu – dafür gibt es
jedoch keine rechtliche Grundlage. Die culture4life GmbH verurteilte
„diesen Missbrauch der für den Infektionsschutz erhobenen Daten“. Dennoch
wurde in den Sozialen Medien daraufhin unter dem Hashtag #LucaFail zum
sofortigen Löschen der App vom Handy aufgerufen und appelliert, fortan die
Corona-Warn-App für Registrierungen zu nutzen.
Von Berlins Abgeordneten unterstützt nicht nur Schlüsselburg diesen Aufruf,
sondern auch der Grüne Stefan Ziller. Er folgert daraus: „Berlin muss den
Vertrag für #LucaApp zum frühestmöglichen Zeitpunkt kündigen“, wie er bei
Twitter schrieb. Auch Ziller sieht viele Versprechungen der
Entwickler*innen nicht erfüllt: „Die App hilft den Gesundheitsämtern
nicht wie erhofft“, sagte er der taz.
Für eine Kündigung des Luca-Vertrags muss der grüne Abgeordnete aber noch
seine Parteifreundin Ulrike Gote überzeugen: Die neue Gesundheitssenatorin
entscheidet letztlich darüber. Und nach Auskunft einer Sprecherin sieht sie
den Luca-Einsatz durchaus positiv: „Grundsätzlich kann von einem Mehrwert
für die Gesundheitsämter ausgegangen werden“, teilte sie auf taz-Anfrage
mit. Zudem sei die Corona-Warn-App kein vollwertiger Ersatz: Sie könne
aufgrund ihrer „ausnahmslos anonymen Datenhaltung“ die Erfassung und
Übermittlung an die Gesundheitsämter nicht leisten.
Dennoch könnte auch Senatorin Gote in Kürze eine Kündigung des Vertrags
unterstützen. Nach taz-Informationen deutet sich in dieser Hinsicht ein
gemeinsames Vorgehen der Gesundheitsminister der Länder an – letztlich mit
dem Ziel, die Corona-Warn-App des Bundes weiterzuentwickeln.
Das wäre ganz im Sinne des Datenschutzes. „Mit der Corona-Warn-App steht
ein datenschutzkonformes und effektives Mittel zur Unterbrechung von
Infektionsketten zur Verfügung“, teilt Simon Rebiger, Sprecher der
Datenschutzbeauftragten, weiter mit. Die App sei datensparsam und entlaste
die Gesundheitsämter. „Im Gegensatz dazu bietet die Luca-App kaum einen
Mehrwert bei gleichzeitig deutlich größeren Risiken, während sie
Datenhalden produziert, die von den Gesundheitsämtern kaum genutzt werden.“
Diese Erkenntnis ist nicht neu; allerdings verhallte sie bisher weitgehend.
Hätten Politiker*innen wie Michael Müller vor einem Jahr mehr auf
Datenschützer*innen und weniger den medienwirksamen Versprechungen
privater Unternehmen zugehört, man hätte viel Geld sinnvoller verwenden
können. Bundesweit dürften die Luca-Betreiber bisher mehr als 20 Millionen
Euro von den Ländern erhalten haben; allein Bayern zahlte 5,5 Millionen
Euro für eine Jahreslizenz.
12 Jan 2022
## LINKS
[1] /Neues-Infektionsschutzgesetz/!5813987
[2] /Maengel-der-Luca-App/!5789480
[3] /Streit-um-Luca-App-in-Berlin/!5767152
[4] http://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/mainz/polizei-ermittelt-ohne-r…
## AUTOREN
Bert Schulz
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