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# taz.de -- Bibliothek sammelt vielfältige Judaica: Bücher auf der Orgelempore
> Die Jüdische Bibliothek Hannover bildet alle Facetten jüdischer Kultur
> ab. Ihren Hort hat sie in der Synagoge der Liberalen Gemeinde.
Bild: Hort der Jüdischen Bibliothek Hannover: die Synagoge in der einstigen Gu…
Hannover taz | Bücher auf der einstigen Orgelempore – welch ein schöner
Ersatz, welch würdige Umnutzung für diesen Teil der einstigen evangelischen
Gustav-Adolf-Kirche in Hannover-Leinhausen. Geweiht wurde der
asymmetrische, vorn hoch aufragende Bau 1971, wegen Mitgliederschwund
entweiht 2007 und für 350.000 Euro an die Liberale Jüdische Gemeinde
Hannover verkauft.
Es war eine der ersten Kirchen, die zu einer Synagoge umgebaut wurden, und
bald zog das schon länger im Stadtteil ansässige Gemeindezentrum Etz Chaim
(Baum des Lebens) samt Kita dorthin um. „Von Anfang an war dort auch eine
Bibliothek geplant“, sagt deren Leiterin Alisa Bach. 2012 zogen die ersten
Bücher ein.
Aus Nachlässen und Spenden stammen die inzwischen 10.000 Medien, und ganz
explizit soll es keine innerjüdische, auch keine rein religiöse Bibliothek
sein. „Wir sind eine [1][öffentlich zugängliche Bibliothek], die möglichst
alle Facetten der jüdischen Kultur abbilden möchte – sowohl religiöse als
auch säkulare“, sagt Bach. Um den weltoffenen Aspekt zu betonen, wählte man
nicht die Gemeinde als Betreiberin – die aber den Raum samt Betriebskosten
stellt –, sondern gründete einen Trägerverein, die
Israel-Jacobson-Gesellschaft.
Der Name war bewusst gewählt: Der in Braunschweig tätige Rabbiner und
Bankier Israel Jacobson, Verfechter von Aufklärung und Gleichstellung der
Juden, hatte 1801 im nahen Seesen die erste jüdische Reformschule
gegründet, samt „Jacobstempel“, der ersten für den [2][reformierten Ritus]
gebauten, Männer und Frauen gleichberechtigt behandelnden Synagoge. Bis
heute gilt Seesen weltweit als [3][Keimzelle des Reformjudentums].
Finanziell eher bescheiden
In dieser liberalen, offenen Tradition sieht sich auch die Jüdische
Bibliothek Hannover: Vom Talmud über Kinderliteratur bis zum Kochbuch
reicht der Bestand; Schwerpunkte sind deutsch-jüdische Geschichte, Judentum
in Niedersachsen, Autobiographien Shoah-Überlebender sowie ins Deutsche
übersetzte israelische Literatur. Auch Werke von Philosophen wie
Maimonides, Walter Benjamin und Mordechai Kaplan lassen sich finden.
Natürlich biete man auch [4][Standardwerke zu Holocaust,] Antisemitismus
und Nahostkonflikt, sagt Alisa Bach. Da diese Information aber andernorts
gut zugänglich sei, bilde dies keinen Schwerpunkt. Und obwohl die meisten
Medien deutschsprachig seien, habe man auch englische, jiddische,
hebräische und russischsprachige Judaica.
„Letztere werden aber immer seltener genutzt, weil die jüngeren
russischsprachigen Gemeindemitglieder oft besser Deutsch als Russisch
lesen“, sagt Bach. Auch die sechs bis acht Kulturveranstaltungen jährlich –
Lesungen und Vorträge – fänden inzwischen nur noch auf Deutsch statt.
Finanziell steht das Projekt eher bescheiden da: Die Arbeit verrichten
großteils Ehrenamtliche; nur für die Aufsicht während der Öffnungszeiten
hat man drei Honorarkräfte angestellt. Mehr lassen die Beiträge der 40
Vereinsmitglieder und die Spenden nicht zu. Und die 3.000 Euro, die die
Bibliothek anteilig aus der Landesförderung für den „Vielsprachigen
Bibliotheksverbund Babylon“ erhält, gehen in die Digitalisierung, denn man
will den gesamten Bestand in einer Online-Datenbank zugänglich machen.
Breit gefächerte Judaica-Sammlung
Das Katalogisieren mussten die Ehrenamtlichen übrigens erst lernen: Alisa
Bach etwa, Juristin und Sozialwissenschaftlerin, beendet gerade ihr Studium
der Jüdischen Theologie und hat keine Bibliothekarserfahrung. „Da war es
sehr hilfreich, dass uns die Stadtbibliothek Hannover ins Katalogisieren
eingewiesen hat“, sagt sie.
Wer die Bibliothek nutzt? Bislang – neben Gemeindemitgliedern –
SchülerInnen, StudentInnen und die Kinder aus der Gemeinde-Kita nebenan.
Und doch wünsche man sich weit mehr als die aktuellen 400 bis 500 Ausleihen
pro Jahr. „Aber wir sind nicht so bekannt, und für professionelle
Öffentlichkeitsarbeit und die so wichtige Kooperation mit Schulen haben wir
leider keine Kapazitäten.“
Was bedauerlich ist: Schließlich ist die Jüdische Bibliothek Hannover –
neben derjenigen der Jüdischen Gemeinde Berlin und der Konstanzer
Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek – deutschlandweit die einzige
öffentliche nicht-wissenschaftliche Bibliothek, die so breit zum „jüdischen
Blick auf die Welt“ sammelt.
18 Mar 2022
## LINKS
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[4] /Nachruf-auf-Inge-Deutschkron/!5836783
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Judentum
Synagoge
Kirche
Bibliothek
Holocaust
Antisemitismus
Niedersachsen
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Buch
Israel
Lesestück Recherche und Reportage
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