# taz.de -- Christen im Heiligen Land: Dialogisch bis fanatisch | |
> Die Kirchen in Jerusalem protestieren gegen die Attacken von | |
> national-religiösen Jugendlichen. Die israelische Öffentlichkeit reagiert | |
> darauf kaum. | |
Bild: Vor der Tür der Grabeskirche in Jerusalem | |
Die Oberhäupter der christlichen Gemeinden in Jerusalem haben jüngst eine | |
Kampagne begonnen, um auf die gefährdete Situation der Christen in der | |
Stadt aufmerksam zu machen. Sie berichten über feindselige Aktionen seitens | |
frommer jüdischer Jugendlicher und über Einmischungsversuche von | |
Siedlerorganisationen. Priester werden von religiösen Gruppen, die die | |
Judaisierung Jerusalems vorantreiben, [1][verbal und physisch attackiert]. | |
Nach Auskunft der Kirchenleute geht es um ein organisiertes Vorgehen mit | |
dem Ziel, die Christen aus der Stadt zu vertreiben. Die Kirchenoberhäupter | |
veröffentlichten eine [2][gemeinsame Erklärung] und warnten vor der | |
Zerstörung heiliger christlicher Stätten. Im Verlauf meiner Promotion | |
verbrachte ich ein Jahr an der Theologischen Fakultät in Freiburg. | |
Einige meiner Dozenten zeigten großes Interesse am Judentum, allerdings | |
stellte ich sehr schnell fest, dass sie große Anstrengungen unternehmen, | |
das Judentum als dialogisches, humanistisches und tolerantes Denken zu | |
„lesen“. Auch jüdische Philosophen wie Hermann Cohen bemühten sich darum, | |
das Judentum so darzustellen. Tatsächlich gibt es im Judentum auch diese | |
Tendenzen. | |
Daneben existieren aber nicht wenige Texte, die mit Feindseligkeit, | |
Ablehnung und Abscheu auf andere religiöse oder ethnische Gruppen Bezug | |
nehmen. Sobald ich davon in den Foren an der Uni Freiburg sprach, bewegten | |
sich die Leute mit großem Unwohlsein auf ihren Stühlen. Sie sagten mir: Du | |
als Jude kannst so etwas sagen, aber wir nicht. | |
Was soll’s. Diese Texte füllen tausende Seiten, von der Bibel bis hin zu | |
den Rabbinern, die die Banden anführen, die in Jerusalem heutzutage ihr | |
Unwesen treiben. Solange die Juden im Exil lebten und auf das Wohlwollen | |
anderer angewiesen waren, kam diesen Texten keine größere Bedeutung zu. Das | |
änderte sich, als die Juden Herren ihrer selbst wurden. In Israel gibt es | |
eine breite liberale, überwiegend weltliche Öffentlichkeit, die diese | |
Phänomene verabscheut. | |
Doch die vielen Jahre der rechts-konservativen Regierung haben ihnen | |
Legitimation verschafft. Als Omer Bar-Lev, der Minister für öffentliche | |
Sicherheit, kürzlich die Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser | |
verurteilte, erntete er [3][viel Kritik]. Die Gewalt gegen Palästinenser | |
und die gegen Priester in Jerusalem sind zwei Seiten derselben Medaille. | |
Hier geht es um Menschen, die aufgewachsen sind mit einer giftigen Mischung | |
aus Opferrolle und Gewalt gegen Angehörige anderer Religionen. | |
Für sie ist es ein andauernder Krieg zwischen den Juden (und ihrem Gott) | |
und allen anderen. Der Krieg mag erst am Ende aller Tage entschieden | |
werden, aber vielleicht lässt sich die Sache ja ein wenig beschleunigen? | |
Ihre Schlussfolgerung aus der jahrtausendelangen Judenverfolgung ist nicht, | |
dass die Juden bessere Menschen sein sollen, sondern, dass sie „offene | |
Rechnungen begleichen“ sollten. Sie lassen sich von den biblischen Helden | |
wie Simon oder Pinchas inspirieren, die die Kanaaniter blutig | |
niedermetzelten. | |
Ich wünschte mir eine linke, weltliche und liberale Regierung, die gegen | |
diese religiösen Fanatiker vorgeht. Die Trennung von Staat und Religion und | |
die Beseitigung dieser Wespennester, aus denen diese Halunken hervorgehen. | |
Aber ich mache mir keine Illusionen. Die Mehrheit der israelischen | |
Gesellschaft akzeptiert diese Gewalt halbherzig oder wenigstens passiv. | |
Grund dafür ist die langjährige national-religiöse Indoktrination der | |
verschiedenen Regierungen. Den Kirchenoberhäuptern in Jerusalem würde ich | |
raten, die Verteidigungsanlagen zu befestigen und das Öl zu erhitzen. Die | |
Barbaren kommen. | |
Aus dem Hebräischen [4][Susanne Knaul] | |
25 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.haaretz.com/opinion/editorial/jerusalem-is-a-holy-city-for-chri… | |
[2] https://j-diocese.org/wordpress/2021/12/14/statement-on-the-current-threat-… | |
[3] https://www.jpost.com/middle-east/wounding-of-palestinian-child-is-on-you-l… | |
[4] /Susanne-Knaul/!a154/ | |
## AUTOREN | |
Hagai Dagan | |
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