# taz.de -- Berliner Reaktionen zu Putins Eskalation: Neue Lage, keine Pipeline | |
> In der deutschen Politik ist man sich recht einig: Russlands Präsident | |
> ist zu weit gegangen. Nordstream 2 liegt auf Eis. Und nun? | |
Bild: Bundeskanzler Scholz sagt nun doch „Njet“ zu Nord Stream 2 | |
Berlin taz | Er hat's getan. Bundeskanzler Olaf Scholz hat das vorläufige | |
Aus für die Gaspipeline Nordstream 2 verkündet. Auf absehbare Zeit wird | |
also kein russisches Gas auf direktem Weg über diese zweite Pipeline nach | |
Deutschland fließen. Dass Scholz diesen Schritt gegangen ist, ist freilich | |
kein Sieg der Pipelinegegner, sondern eine Niederlage für den Kanzler. | |
Sichtlich bedrückt sprach er am Dienstag im Kanzleramt von einer „neuen | |
Lage.“ | |
Eine Woche ist vergangen, [1][seitdem Scholz voller Optimismus nach Kiew | |
und Moskau reiste,] der Ukraine wirtschaftliche Unterstützung zusicherte | |
und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Hand ausstreckte: Lasst | |
uns zurückkehren zum Dialog, das Minsker Abkommen zur Befriedung der Kämpfe | |
in der Ostukraine endlich umsetzen und auch über russische | |
Sicherheitsinteressen sprechen. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodomir | |
Selenski hatte er zuvor das Versprechen abgerungen, dass es Wahlen in den | |
ostukrainischen Separatistengebieten geben und deren Weg in die Autonomie | |
geebnet würde. | |
Putin hat auf Scholz' Hand gespuckt und seinerseits Fakten geschaffen. Er | |
hat die beiden Gebiete Donezk und Luhansk als unabhängig anerkannt und | |
russische „Friedenstruppen“ in die Region entsandt. De facto ein Einmarsch | |
in die Ukraine, und wie Scholz betonte, nicht nur ein Bruch des Minsker | |
Abkommens, sondern aller völkerrechtlichen Vereinbarungen seit Helsinki. | |
Dort einigten sich die Blöcke des Kalten Krieges vor 47 Jahren auf ein | |
friedliches Miteinander in Europa. Am Montag hatte Putin den Bundeskanzler | |
und den französischen Präsidenten noch telefonisch über sein Pläne | |
informiert – eine demütigende Geste des Inkenntnissetzens. | |
Obwohl sich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Dienstag im | |
Willy-Brandt-Haus schützend vor seinen Kanzler stellte und mehrmals | |
betonte, dass es richtig gewesen sei, Gesprächsangebote zu machen, so | |
musste er doch das Scheitern der bisherigen Strategie eingestehen: „Die | |
ausgestreckten Hände wurden weggeschlagen.“ Dennoch gelte es nun einen | |
kühlen Kopf zu bewahren und weiteres Blutvergießen auf europäischem Boden | |
zu verhindern. | |
## Russland droht mit steigenden Gaspreisen | |
Doch wie stoppt man einen Aggressor, der die Sanktionen, die Scholz ja | |
ebenfalls vor einer Woche auf Putins pompösen Tisch gelegt hatte, offenbar | |
schon eingepreist hat? Scholz setzt nun zunächst auf die Einigkeit der | |
Europäer und auf „konzentrierte und starke“ Sanktionen. Mit dem Stopp der | |
Pipeline machte er klar, dass Deutschland, das 55 Prozent seines Gases aus | |
Russland bezieht, bereit ist, seinen Preis dafür zu zahlen. Der russische | |
Ex-Premierminister Dmitri Medwedew begrüßte Deutschland über Twitter schon | |
mal in der „brave new world“ und drohte mit steigenden Gaspreisen. | |
Der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael | |
Roth begrüßte gegenüber der taz dennoch den Stopp des Pipelineprojekts. | |
„Ich finde es richtig, dass nun Klarheit herrscht, dass dieses Projekt | |
nicht fortgesetzt wird.“ Sollte Putin sich eines Besseren besinnen, dann | |
könnte Deutschland auch bereit sein, wieder über Nord Stream 2 zu reden, | |
sollte es denn energiepolitisch noch benötigt werden. „Aber danach sieht es | |
derzeit nun wirklich nicht aus.“ | |
Roth sagte der taz, er hoffe, dass die Sanktionen Putin wieder zurück an | |
den Verhandlungstisch bringen, und forderte nun harte Sanktionen für Putin | |
und sein Umfeld. „Die Oligarchen, die sich in Berlin teure Wohnungen kaufen | |
und in Österreich Skiurlaub machen, müssen spüren, dass wir es ernst | |
meinen.“ | |
Lieferungen von tödlichen Waffen wies Roth genau wie die Bundesregierung | |
zurück. Er regte aber an, die Ukraine noch stärker wirtschaftlich zu | |
unterstützen und auch weitere Schutzausrüstung zu liefern. „Das können | |
gepanzerte Fahrzeuge, Schutzwesten oder Material aus Afghanistan zum Schutz | |
der Bevölkerung sein.“ Für Mittwoch hat Roth zu einer Sondersitzung des | |
Auswärtigen Ausschusses eingeladen. | |
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte bei einem | |
Besuch in Litauen die Bereitschaft Deutschlands, weitere Soldaten zu den | |
Nato-Truppen in Osteuropa „beizusteuern“. Deutschland hat seine Truppen in | |
Litauen wegen der Spannungen mit Russland zuletzt von 550 Soldaten auf rund | |
900 aufgestockt. | |
Der stellvertretende Vorsitzende der Union im Bundestag Johann David | |
Wadephul erklärte, nun habe sich gezeigt, dass Russland unter Putins | |
Führung kein verlässlicher Partner innerhalb einer europäischen | |
Sicherheitsarchitektur sei. Er verlange „eine geschlossene Reaktion der | |
Weltgemeinschaft.“ Welche, das führte er nicht aus. | |
## Uneinigkeit bei Sanktionen | |
Einig waren sich fast alle Parteien in der Analyse, dass Putin zu weit | |
gegangen sei. [2][Selbst die Linkspartei], deren Außenexpertin Sevim | |
Dagdelen am Montag noch forderte, die Nato möge das „Kriegsgeheul“ lassen. | |
Am Dienstag sagte sie der taz, sie verurteile die einseitige Anerkennung | |
der „Volksrepubliken“ als völkerrechtswidrig. Die Entsendung russischer | |
Truppen bedeute „einen Bruch der Minsker Vereinbarungen und sei nicht zu | |
rechtfertigen, auch wenn deren Umsetzung etwa in Bezug auf den Sonderstatus | |
für Donezk und Luhansk seitens der Ukraine immer wieder vereitelt wurde“. | |
Sanktionen erteilte Dagdelen eine Absage. | |
Genau wie die AfD-Fraktion im Bundestag. Der Draht der extrem rechten | |
Partei zu Putin ist kürzer als bei den übrigen demokratischen Parteien. | |
AfD-Chef Tino Chrupalla etwa besuchte im Wahlkampf vergangenen Juni | |
Außenminister Lawrow in Moskau und sprach sich noch vor eineinhalb Wochen | |
dafür aus, sich an die Annexion der Krim zu gewöhnen. | |
Zur aktuellen Lage ließen sich allerdings der Ehrenvorsitzende Alexander | |
Gauland und der außenpolitische Sprecher Petr Bystron gewohnt Putin-nah | |
zitieren: „Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, Russland allein die | |
Verantwortung für diese Entwicklung zuzuschreiben.“ Der Westen habe durch | |
Ostererweiterung der Nato „legitime Sicherheitsinteressen Russlands“ | |
verletzt. Die AfD sprach sich für eine Neutralität der Ukraine und eine | |
Volksabstimmung aus. | |
Der AfD-Politiker Gunnar Lindemann aus dem Berliner Abgeordnetenhaus | |
feierte gar unverhohlen die Anerkennung der Separatistengebiete durch | |
Russland und fantasierte völlig realitätsfern „Frieden in der | |
Ukraine-Krise“ herbei. In Vergangenheit ließ er sich von russischen | |
Nationalist*innen im Donbass hofieren und verbreitete | |
Separatisten-Propaganda. | |
Dagegen konstatierte der Linken-Politiker und Chef der Thüringer | |
Staatskanzlei Benjamin-Immanuel Hoff auf Twitter: „Die Sanktionen gegen | |
Russland sind nötig.“ | |
Allerdings weiß derzeit niemand, wie und ob sie wirken. | |
22 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Ukraine-Reise-des-Kanzlers/!5831877 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Pascal Beucker | |
Gareth Joswig | |
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