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# taz.de -- Grünen-Chef Nouripour zur Ukraine: „Die Antwort war immer Njet“
> Der Westen hat Russland genügend Angebote gemacht, sagt Grünen-Chef Omid
> Nouripour. Gleichwohl hält er am Nein zu Waffenlieferungen in die Ukraine
> fest.
Bild: „Der Ball liegt beim Kreml“: Ein russischer Panzer am Dienstag in Don…
taz: Herr Nouripour, wie sehr hat Sie der russische Einmarsch in den
Donbass überrascht?
Omid Nouripour: Er hat mich nicht überrascht, aber trotzdem geschockt. Es
ist auch schockierend zu sehen, dass das Ende der Olympischen Spiele
abgewartet wurde, um Peking nicht in die Parade zu fahren. Das scheint
alles abgesprochen zu sein.
Ist die deutsche Russlandpolitik damit gescheitert?
Bis 2014 setzte die deutsche Russlandpolitik auf Wandel durch Annäherung.
Seitdem gab es den Versuch, sowohl den Gesprächsfaden als auch den Druck
durch Sanktionen aufrechtzuerhalten – seit dem Beginn des Truppenaufmarschs
im Oktober weit mehr als je zuvor. Im Koalitionsvertrag haben wir Dialog
und Härte vereinbart. Die Außenministerin und der Bundeskanzler haben das
in den letzten Wochen mit großem Engagement vorangetrieben.
Wovon gab es am Ende zu wenig? Von den Gesprächsangeboten oder von den
Druckmitteln?
Vom Willen der russischen Seite. Es ist aber nicht zu spät, zur
Friedensordnung in Europa zurückzukehren. Der Ball liegt beim Kreml.
Der Westen hätte an der aktuellen Situation also gar nichts ändern können?
Auch nicht durch mehr Dialog und ein großzügigeres Entgegenkommen bei der
Nato-Osterweiterung?
2008 hat die Nato über die Aufnahme von Georgien und der Ukraine beraten.
Die deutsche Bundesregierung hat damals dafür gesorgt, dass das zeitlich
weit weg geschoben wurde. Kurz danach erfolgte der russische Einmarsch in
Georgien. 2015 hat Angela Merkel eine Freihandelszone von Wladiwostok bis
Lissabon angeboten, um Russland eine Perspektive nach einem möglichen
Friedensschluss in der Ukraine zu bieten. Wir hatten sogar mal Zeiten, in
denen Russland selbst die Nato-Mitgliedschaft angeboten wurde. Die Antwort
der russischen Seite war immer ein Njet. Mir ist schleierhaft, welches
Angebot hätte noch gemacht werden können, das nicht auf Kosten Dritter
gegangen wäre.
Wenn es genügend Angebote gab: Waren dann die Sanktionsdrohungen [1][nicht
abschreckend] genug?
Die russische Wirtschaft leidet schon seit acht Jahren unter den
Sanktionen. Nur scheint das dem Kreml nicht wichtig zu sein. Ich stelle mir
zunehmend die Frage, ob die russische Regierung tatsächlich die Interessen
Russlands und der Menschen dort verfolgt. In dem Moment, in dem diese keine
Rolle mehr spielen, wird es extrem schwierig, miteinander zu Vereinbarungen
zu kommen. Es wird keine Friedensordnung in Europa geben ohne Russland.
Aber wenn auf der russischen Seite der Wille fehlt, dann wird es extrem
schwierig. Und in einer solchen Situation sind wir jetzt.
Aber das ist doch der entscheidende Punkt: Wie kann man jetzt noch den
Willen zur Kooperation im Kreml erzeugen?
Ihre Fragen muten an, als hätten wir einen Joystick in der Hand. Haben wir
aber nicht. Wir haben als Europäische Union eine begrenzte Zahl an
Instrumenten, die wir gerade alle in Stellung bringen – aber in der
Hoffnung, sie nicht alle nutzen zu müssen. Die erneute kritische
Überprüfung Russlands als verlässlicher Energielieferant und deshalb auch
Nord Stream 2 ist eines der Instrumente. Jetzt so zu tun, als wären wir
verantwortlich für alle Missetaten der russischen Seite, verkennt sowohl
unseren Aktionsradius als auch die Frage, wozu Russland selbst fähig ist.
Wann werden für Sie neben Sanktionen auch Waffenlieferungen an die Ukraine
eine Option? Ein großes Argument dagegen war bisher immer, dass man den
Verhandlungsweg nicht verbauen möchte. Nach der russischen Eskalation fällt
dieses Argument wohl weg.
Nein, es fällt nicht weg, denn die Eskalation kann noch sehr viele weitere
Schattierungen annehmen. Deshalb ist es auch nicht ratsam, jetzt alle
Sanktionen auf den Tisch zu packen. Man muss Schritt für Schritt schauen,
was die russische Seite macht und dann den Druck daran anpassen. Genauso
notwendig ist es, dass eine Rückkehr Russlands zum Völkerrecht – und sei es
auch nur in kleinen Schritten – entsprechende Lockerungen von Sanktionen
mit sich bringt. Es ist und bleibt richtig, alles dafür zu tun, dass der
diplomatische Faden nicht abreißt.
Stufenweise Sanktionen statt dem vollen Paket könnten im Kreml als Schwäche
ausgelegt werden.
Deshalb ist klar zu kommunizieren, dass die Art und die Härte der
Sanktionen maßgeblich mit der Art und der Härte der russischen Aggression
zusammenhängen.
Ihr Parteifreund Werner Schulz, langjähriger Bundestagsabgeordneter, hat
einen offenen Brief an Sie gerichtet. Er schreibt: Es wäre unterlassene
Hilfeleistung, der Ukraine Waffen zu verwehren.
Sehr vielen Wünschen der ukrainischen Seite wurde Rechnung getragen. Es gab
Unterstützung bei Schutzausrüstung und der Versorgung von Verwundeten. Wir
sind der größte Geldgeber des Landes und unterstützen die Ukraine politisch
uneingeschränkt. Es gibt aber eine alte Regel, die schon Angela Merkel
aufgestellt hat: keine letalen Waffen. Das ist und bleibt zum jetzigen
Zeitpunkt richtig.
Schulz kritisiert auch, dass über das Thema in der Partei keine offene
Debatte stattfinde.
Werner Schulz hat meine Nummer. Wir können jederzeit und gerne diskutieren.
Dass in der Partei der richtige Weg in einer schwierigen Situation nicht
diskutiert würde, ist nicht mein Eindruck.
Wie sehr belastet der Konflikt eigentlich den Start der neuen Regierung? Es
gibt ja eigentlich auch genug Anderes zu tun.
Auf der einen Seite ist der Konflikt eine riesige Belastungsprobe, weil er
sehr viele Arbeitsbereiche betrifft und weil er große Sorgen verursacht, in
der Bevölkerung wie in der Regierung. Die Situation ist sehr bedrohlich.
Auf der anderen Seite zeigt sich jetzt aber, wie unwesentlich manche
Scharmützel in so einer Koalition tatsächlich sind. Als die Regierung ihre
Arbeit aufgenommen hat, gab es einen Schlagabtausch darüber, wer denn die
Außenpolitik steuert. Im Arbeitsmodus, in der Mitte einer solchen
gravierenden Krise, mutet es jetzt an, als wären das Debatten aus einer
anderen Welt. Alle sind da gefragt, das ihrige zu tun. Und das tun sie
auch. Die Häuser arbeiten reibungslos zusammen und die Größe der Krise
macht das auch erforderlich.
22 Feb 2022
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## AUTOREN
Tobias Schulze
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Russland
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