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# taz.de -- SPD-Parteitag in NRW: Fast schon revolutionär
> Die SPD in NRW will mit einem linken Programm zurück an die Macht. Dann
> sprengen die Jusos mit einer Rassismus-Debatte die feel-good-Atmosphäre.
Bild: Alles ist auf ihn zugeschnitten: der designierte SPD-Spitzenkandidat Thom…
Berlin taz | „Wir sind hier auf einem Wahlparteitag“ sagt Nadja Lüders,
SPD-Generalsekretärin kurz nach 15 Uhr am Samstagnachmittag. Es klingt fast
beschwörend. Denn eigentlich soll der Parteitag, die Krönungsmesse für
SPD-Chef [1][Thomas Kutschaty,] schon zu Ende sein. Doch die Jusos zwingen
dem digitalen Parteitag eine Rassismus-Debatte auf, die Zeitplan und
Choreographie sprengen. Sie stellen einen [2][Antrag zu dem Terroranschlag
in Hanau]. Es geht um einzelne Formulierungen – und viel mehr.
Am 15. Mai wird in NRW gewählt. Es ist für die Bundes-SPD die wichtigste
Wahl 2022. Es gibt viel zu gewinnen, sagt Kanzler Olaf Scholz in seinem
Grußwort. Und – eben auch viel verlieren. Jamaika in Düsseldorf würde bei
der Ampel in Berlin Störgeräusche verstärken.
Wahlparteitage dienen der Inszenierung von Einigkeit nach außen und
Selbstermutigung nach innen. Und eigentlich läuft bis zur Hanau-Debatte
alles wie geplant Die Kampagne ist ganz auf Kutschaty, den früheren
Justizminister, zugeschnitten. Er steht – offenes Hemd, keine Krawatte,
Jeans – [3][vor der Fotowand eines offenen Himmels.] „Für euch gewinnen wir
das Morgen“ steht darauf. Wir für euch – es ist das alte, leicht
paternalistische Selbstbild der SPD, die sich kümmert und alles regelt.
## Die SPD will ganz viel Soziales
Kutschaty wird als „authentisch“ angepriesen. Der Eisenbahner-Sohn aus dem
Essener Norden war, typisch sozialdemokratisch, der erste
Bildungsaufsteiger seiner Familie. Er redet 45 Minuten lang, fast ohne
Publikum in einem kleinen Digital-Studio. Konzentriert und flüssig. Und
scheint ganz gut ohne Parteitagsjubel auszukommen.
Die SPD will in NRW ganz viel Soziales. Alle Kitagebühren sollen entfallen,
SchülerInnen sollen in NRW umsonst den Nahverkehr nutzen. Vor allem in
Grundschulen sollen mehr LehrerInnen mehr Geld bekommen. 1.000 Schulen in
sozial schwachen Gegenden sollen besonders gefördert werden. 2017 hat
Rot-Grün die Wahl wegen der Bildungspolitik verloren. Kutschaty scheint sie
jetzt auf diesem Gebiet gewinnen zu wollen.
Hinzu kommen die anderen SPD-Kernkompetenzen. 100.000 neue Wohnungen sollen
gebaut werden, ein Viertel davon Sozialwohnungen. Ein Werbevideo zeigt
Kutschaty mit wippendem Gang in Zeitlupe wie er MieterInnen einer alten
Bergbausiedlung in Gelsenkirchen, die von einem Immobilienhai bedrohten
werden, zur Hilfe kommt. Für den klimaneutralen Umbau, das wichtigste Thema
im Industrieland NRW, soll ein 30 Milliarden Euro Fonds gebildet werden,
vor allem mit privatem Kapital.
„Das ist der sozialdemokratische Fortschritt – für die vielen, nicht für
die wenigen“, so Kutschaty. Die SPD hat wirklich ein linkes Programm. Fast
97 Prozent der Delegierten wählen den Essener zum Spitzenkandidaten und
sagen Ja zum Programm.
Wie viel das alles kostet, bleibt vage. Auf dem Parteitag fällt kein Wort
über die Finanzierung. Dem Wahlprogramm ist zu entnehmen, dass man die
Schuldenbremse kreativ interpretieren will und die Landesbank einspannen
könnte.
„Die SPD ist zurück“, sagt Kutschaty fröhlich. Dieser typische
Wahlkampf-Satz hat einen Beigeschmack von Wahrheit. Denn die SPD an Rhein
und Ruhr war fast verschwunden. Ein jahrelanger Machtkampf zwischen
Kutschaty und Sebastian Hartmann hatte sie lange gelähmt. In Umfragen ging
es Richtung 17 Prozent. Die Partei ist überaltert, der Mitgliederschwund
ungebremst. Jetzt aber ist alles offen. Die SPD kann am 15. Mai gewinnen.
## Kein Polizeibashing im Wahlkampf
Dann kommt der Initiativantrag [4][der Jusos] zum Terroranschlag am 19.
Februar 2020. „Hanau betrifft uns alle, aber nicht alle gleich“ so der
Titel. „Der rassistische Normalzustand muss endlich zu Ende gehen“ steht
dort. „Rassistische Polizeigewalt“ wird an anderer Stelle in einem Atemzug
mit „rechter Gewalt“ genannt.
Das will die SPD-Spitze so lieber nicht verabschieden. Pauschales
Polizeibashing im Wahlkampf? 2017 gewann die CDU auch mit innerer
Sicherheit die Wahl gegen Rot-Grün.
Es entspinnt sich ein einstündiger Schlagabtausch zwischen Jüngeren und
Älteren, AktivistInnen und SPD-Mainstream. Jusos werfen der SPD-Spitze vor,
eine weiße Mehrheitsperspektive einzunehmen anstatt das „rassistische
System unserer Gesellschaft einzureißen“. Juso Sarah Mohamed erklärt
bündig: „Hanau ist überall“. Ein Juso wirft Generalsekretärin Nadja Lüd…
Zynismus vor.
Aber das ist die Ausnahme. Die Debatte ist scharf, emotional, moralisch
hoch aufgeladen, aber ohne persönliche Attacken. Manche Ältere kritisieren
die „vorwurfsgeladene Stimmung“ bei den Jusos. Generalsekretärin Lüders
fordert: „Wir müssen bei den Worten abrüsten“.
Der Konflikt geht tief. Manche Jusos halten die gesamte deutsche
Gesellschaft für durch und durch rassistisch. Das geht nicht nur der
SPD-Traditionskompanie zu weit. Am Ende steht ein dreiviertel Sieg der
Jusos. Der Konnex von rechter Gewalt und „rassistischer Polizeigewalt“ wird
gestrichen. Der Rest bleibt. Kutschaty lobt am Ende versöhnlich, dass es
„gut war, dass wir uns für die Debatte so lange Zeit gelassen haben“.
Bei der Listenaufstellung für die Landtagswahl sind Jusos und MigrantInnen
nicht ganz so erfolgreich. Auf den ersten 20 Plätzen stehen drei Jusos und
zwei Politikerinnen mit Migrationsbackground. Eigentlich normal für eine
Partei, die jünger und diverser werden will. Für die strukturkonservative
SPD in NRW, sagt einer, sei das fast schon revolutionär.
20 Feb 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Kutschaty
[2] /Zweiter-Jahrestag-des-Terrors-in-Hanau/!5836340
[3] https://www.youtube.com/watch?v=M9loPqLblQM
[4] /Juso-Chefin-ueber-Russland-Ukraine-Konflikt/!5830618
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
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