# taz.de -- Zweiter Jahrestag des Terrors in Hanau: Gedenken und Kritik | |
> Zum Jahrestag des rassistischen Anschlags verspricht die Politik | |
> Aufklärung. Die Angehörigen der Opfer kritisieren die Gestaltung der | |
> Gedenkveranstaltung. | |
Bild: Gedenken in Hanau: Nicht alle Angehörigen konnten an der Zeremonie teiln… | |
HANAU/BERLIN dpa/afp | Im Gedenken an die neun Opfer des rassistischen | |
Anschlags von Hanau haben Vertreter des Bundes und des Landes Hessen sowie | |
der Stadt Hanau zu gemeinsamem Handeln gegen Rassismus, Hass und Hetze in | |
Deutschland aufgerufen. „Dieser Anschlag kam nicht aus dem Nichts. Und er | |
geschah auch alles andere als zufällig“, sagte Bundesinnenministerin Nancy | |
Faeser (SPD) am Samstag bei der zentralen Gedenkveranstaltung auf dem | |
Hanauer Hauptfriedhof. Nährboden sei „ein Klima der Menschenverachtung, das | |
gewaltbereite Extremisten anstachelt und im schlimmsten Fall zur Tat | |
schreiten lässt“, so die Ministerin. | |
Bundeskanzler Olaf Scholz, der am Wochenende an der Münchner | |
Sicherheitskonferenz teilnahm, erinnerte in einer auf Twitter verbreiteten | |
Videobotschaft namentlich an die Opfer. „Fatih, Ferhat, Gökhan, Hamza, | |
Kaloyan, Mercedes, Sedat, Said Nesar, Vili Viorel. Ihr wart ein Teil | |
unseres Landes, ein Teil von uns“, sagte der SPD-Politiker. „Euch, euren | |
Familien und Freunden schulden wir Antworten auf die Fragen, die bis heute | |
offen sind“, sagte der Kanzler an die Opfer gerichtet. Er versprach, die | |
Bundesregierung werde „Rassismus und rechten Terror entschlossen | |
bekämpfen“. | |
Ein 43-jähriger Deutscher hatte am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen | |
aus rassistischen Motiven ermordet. Danach tötete der psychisch kranke | |
Rechtsextremist seine Mutter und nahm sich selbst das Leben. Mit der | |
Aufarbeitung der Tat befasst sich ein parlamentarischer | |
Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags, der vor allem der Frage | |
nachgeht, ob es vor, während oder nach dem Anschlag zu einem | |
Behördenversagen kam. | |
Gemeinsam mit Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), dem Hanauer | |
Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) sowie weiteren Vertretern aus | |
Politik und von Religionsgemeinschaften erinnerte Faeser an die | |
Anschlagsopfer und sicherte den Hinterbliebenen ihre Unterstützung zu. Auf | |
dem Hanauer Hauptfriedhof sind drei der neun Opfer des Anschlags beerdigt. | |
Für die weiteren sechs Todesopfer sind Gedenksteine und eine große | |
gemeinsame Gedenktafel platziert. Faeser, Bouffier und Kaminsky legten an | |
der Grabstätte Kränze und Blumengestecke nieder. | |
Auch Bouffier sagte, Rassismus sei ein Gift, das manchmal unbedacht, | |
manchmal schleichend und immer öfter auch ganz offen zutage trete. „Wir | |
müssen deshalb wachsam sein, wir dürfen nicht gleichgültig bleiben. Wir | |
müssen Rassisten widersprechen und schon gar kein Verständnis zeigen.“ | |
## Angehörige kritisieren die Gedenkveranstaltung | |
Bei der Gedenkstunde wurde auch Kritik aus dem Kreis der Hinterbliebenen | |
sowie Forderungen nach unbürokratischen Hilfen laut. Emis Gürbüz, deren | |
Sohn bei dem Anschlag ermordet wurde, kritisierte, das Land Hessen habe mit | |
der Veranstaltung, zu der nur 100 geladene Gäste zugelassen waren, das | |
„Gedenken vereinnahmt“. Teilweise erhielten Politikerinnen und Politiker | |
Vorrang vor Angehörigen oder Freunden der Ermordeten. „Es macht mich | |
fassungslos, dass unsere Wünsche an diesem besonderen Tag ignoriert | |
wurden“, sagte Emis Gürbüz. | |
Faeser erklärte, es seien noch viele Fragen zu der Tat offen, die in dem | |
Untersuchungsausschuss geklärt werden müssten. Hier gehe es auch um die von | |
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Gedenken zum ersten Jahrestag | |
des Anschlags vor einem Jahr angesprochene „Bringschuld des Staates“, so | |
Faeser. „Nur wenn diese erfüllt wird, kann verlorenes Vertrauen in unseren | |
Staat wieder wachsen.“ | |
Eine Spur des rechten Terrors ziehe sich durch die jüngere deutsche | |
Geschichte – vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) über den Mord | |
an Walter Lübcke bis hin zum Terror von Halle und Hanau, so die | |
Innenministerin. Täglich würden im Schnitt drei rechte Gewalttaten in | |
Deutschland begangen, und viele Menschen seien Tag für Tag von Rassismus | |
betroffen. Geistige Brandstifter schürten Hass. „Diese Hetzer wissen, was | |
sie tun. Und wir müssen sie aufhalten und zur Verantwortung ziehen.“ | |
Der Kampf gegen Rechtsextremismus sei aber nicht nur Aufgabe von Polizei, | |
Justiz und Sicherheitsbehörden, sagte Faeser. „Es ist auch eine Aufgabe für | |
uns als ganze Gesellschaft. Nur so können wir tief verwurzelter | |
Menschenfeindlichkeit begegnen.“ Deshalb wolle sie politische Bildung und | |
demokratisches Engagement „massiv stärken“. | |
## Tiefe Wunde, die nie ganz verschwindet | |
Hanaus Oberbürgermeister Kaminsky erklärte, die Terrornacht des 19. Februar | |
2020 sei eine tiefe Wunde, die nie ganz verschwinden werde. Wann immer man | |
diese Wunde berühre, sich an das Geschehene erinnere, schmerze sie erneut. | |
„Aber diese Berührung, dieses Erinnern ist wichtig. Es schützt uns davor zu | |
vergessen und mahnt uns so zu ständigem Handeln. Gegen Rassismus, gegen | |
Diskriminierung, gegen Hass und gegen die Verletzung der Menschenwürde“, so | |
Kaminsky. | |
Mustafa Macit Bozkurt, Imam des Islamischen Vereins e. V. in Hanau, | |
bezeichnete die Grabstätte für die Opfer als „ein Mahnmal, um unsere | |
Mitmenschen und die kommenden Generationen zu ermahnen und daran zu | |
erinnern, wohin Rassismus führen kann“. „Wir gedenken heute, um | |
hoffnungsvoll in die Zukunft blicken zu können und die Vielfalt in unserer | |
Gesellschaft als Bereicherung zu verstehen“, so Bozkurt. | |
Neben der Gedenkstunde auf dem Hanauer Hauptfriedhof waren am Samstag | |
zahlreiche weitere Gedenkveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen | |
in Hanau, Frankfurt und weiteren Städten in ganz Deutschland geplant. | |
19 Feb 2022 | |
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