# taz.de -- Spenden für Geflüchtete aus der Ukraine: Kistenweise Solidarität | |
> Im Berliner Sage-Restaurant stapeln sich die Hilfsgüter für Menschen, die | |
> vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Ein Besuch zwischen Kisten und | |
> Tüten. | |
Bild: Am Wochenende hat das Berliner Sage-Restaurant zu Spenden aufgerufen, jet… | |
BERLIN/DRESDEN taz | Eine junge Frau schiebt am Montagvormittag ihren | |
Kinderwagen über die Straße, in Richtung des Sage-Restaurants in Berlin. | |
Ihr fünf Monate altes Kind trägt sie vor ihrem Oberkörper – denn der | |
Kinderwagen ist voll bepackt mit Windelpaketen und Plastiktüten, aus denen | |
verschiedene Schachteln und Verpackungen ragen. Eine Tüte ist mit einem | |
Kreppband beklebt, auf dem „Medikamente“ steht. „Paracetamol, | |
Wunddesinfektion, Erkältungsmittel für Kinder“, zählt die Frau auf. | |
All diese Dinge will sie spenden, um Menschen zu helfen, die vor dem | |
russischen Angriff auf die Ukraine flüchten. „Damit ich wenigstens | |
irgendetwas tun kann“, sagt sie und reiht sich in eine Schlange im Innenhof | |
ein. Das Sage-Restaurant ist einer von vielen Orten deutschlandweit, an dem | |
Ehrenamtliche dieser Tage Spenden sammeln. | |
Mehrere Menschen warten darauf, ihre Taschen oder den Inhalt ihrer | |
Rucksäcke abzugeben. Autos blockieren sich gegenseitig auf dem Parkplatz. | |
„Keine Klamotten mehr“, ruft ein Mann den Leuten zu. Eine Frau wickelt | |
Klebeband um einen Karton, auf den jemand mit Edding auf Englisch | |
„Babynahrung und Süßigkeiten“ geschrieben hat. Überall wuseln | |
Hefer:innen herum, schleppen Kartons und Tüten, kleben, stapeln, packen. | |
Rund eine Woche nach Beginn der Kämpfe sind dem [1][UNHCR zufolge bereits | |
870.000 Menschen aus der Ukraine geflohen], fast eine halbe Million davon | |
ins Nachbarland Polen. Die deutsche Innenministerin spricht am | |
Dienstagabend von rund 5.000 Menschen, die bislang in Deutschland | |
registriert worden seien. | |
Die tatsächliche Zahl der Angekommenen dürfte weitaus höher liegen, da | |
Ukrainer:innen ohne Visum für bis zu 90 Tage in die EU einreisen können | |
und viele Menschen den direkten Weg zu Familie oder Freund:innen gesucht | |
haben dürften. Doch noch immer versuchen Zigtausende, die Grenzen zu | |
passieren. Am Donnerstag wird die EU voraussichtlich entscheiden, diesen | |
Menschen auch ohne Asylverfahren Schutz zu bieten. | |
In Berlin schlängelt Karina Nawrat sich mit einem Stoffbeutel im Arm durch | |
das Innere des Sage-Restaurants. „Hier kommen Nudeln“, ruft die 31-jährige. | |
Die Tische, an denen normalerweise bis zu 120 Gäste Avocado-Quinoa-Salat, | |
Röstpolenta oder Ochsenbäckchen verspeisen, sind kaum zu sehen – so hoch | |
stapeln sich die Hilfsgüter. | |
Unter anderem auf Nawrats Initiative hin hatte das Sage, zu dem neben dem | |
Restaurant auch ein Nachtclub und eine Strandbar gehören, am Wochenende | |
über die sozialen Medien zu der Spendenaktion aufgerufen. „Nach dem Schock | |
der ersten Tage dachte ich: Wir müssen irgendwas machen“, sagt sie und | |
stützt sich mit dem Ellbogen auf eine Tischecke, die gerade noch so unter | |
einem Karton voll Papiertaschentüchern hervorragt. | |
Ihr Chef und ihr Team waren sofort dabei. Es ist nicht das erste Mal, dass | |
das Sage sich engagiert: Schon seit 2020 kocht die Gruppe Food for Homeless | |
täglich in der Küche des Restaurants, um obdachlose Menschen in der | |
Coronapandemie mit Essen zu versorgen. Eigentlich hätte nach einer | |
coronabedingten Pause der normale Restaurantbetrieb im März wieder starten | |
sollen. „Jetzt machen wir stattdessen das hier“, sagt eine Mitarbeiterin | |
und zeigt mit dem Arm auf die gestapelten Kisten im Raum. | |
Vor dem Gebäude stehen zwei weiße Transporter: „Die fahren nach Kiew“, sa… | |
Nawrat. Andere Stationen für die Spenden sind die polnische Hauptstadt | |
Warschau und der Grenzort Przemyśl sowie das ukrainische Lwiw. Ihre Mutter | |
lebe in Warschau und sei dort in einer Hilfsorganisation aktiv, die schon | |
Geflüchtete aus Belarus unterstützt habe, sagt Nawrat. Das habe enorm | |
geholfen, Kontakte herzustellen und zu koordinieren, was wo gebraucht | |
werde. | |
Tatsächlich berichten Hilfsorganisationen vor Ort mitunter, sie hätten | |
schon zu viele Sachspenden. „Wir fahren nicht einfach mit Zeug los, sondern | |
fragen, was die Leute vor Ort brauchen und wo wir es hinbringen sollen“, | |
sagt Nawrat. Kleidung zum Beispiel werde an der Grenze nicht benötigt. „Die | |
bringen wir nach Warschau, wo sie an die Leute verteilt werden kann, wenn | |
sie einmal angekommen sind.“ | |
Da ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land derzeit nicht | |
verlassen dürfen, sind es vor allem Frauen und Kinder, die versuchen, über | |
die Grenze zu fliehen, und teils stundenlang in der Kälte warten müssen. | |
Entsprechend aufgestellt ist die Liste mit Dingen, um die das Sage bittet: | |
Damen- und Babyhygieneprodukte. Medikamente, auch für Kinder. Spielzeug. | |
Warme Kinderkleidung und haltbare Lebensmittel. Erste-Hilfe-Sets, | |
Ladegeräte, Batterien. | |
Ein Unternehmen aus Dresden liefert hingegen ganze Notstromaggregate in die | |
Westukraine, weil die russische Armee auch zivile kommunale Infrastruktur | |
zerstört. Es bittet jedoch darum, weder seinen Namen noch Einzelheiten des | |
Hilfstransports zu nennen, um die Aktion nicht zu gefährden. Nur so viel: | |
Die ersten drei Generatoren sollen in diesen Tagen auf die Reise gehen. | |
Die Dresdner Hilfsorganisation Arche Nova wiederum [2][sammelt Geld statt | |
Sachspenden]. Bürger:innen böten sie an, aber die Güter seien | |
schlichtweg nicht mehr zu transportieren, erklärt Geschäftsführer Mathias | |
Anderson. Schon gar nicht in die Ostukraine, in den Raum Donezk und | |
Luhansk, wo Arche Nova einen Ableger ehemaliger Mitarbeiter:innen hat. | |
Die haben in Erwartung des russischen Überfalls bereits Hilfsgüter | |
eingelagert. | |
Nun haben sie den Bedarf nochmals überprüft und eine Wunschliste | |
übermittelt. Die Hilfen sind für Menschen gedacht, die nicht fliehen | |
können: Heimbewohner:innen, Alte, Kranke. Rund 32.000 Euro sind als erste | |
Überweisung vorgesehen. | |
Überall in Deutschland zeigt sich: Die Spendenbereitschaft der Menschen ist | |
enorm hoch. Diese Erfahrung macht auch Nawrat im Berliner Sage-Restaurant. | |
Eigentlich sei der Plan gewesen, mit einem Transporter loszufahren. | |
„Inzwischen sind wir bei fünf Fahrzeugen.“ Zwischen 20 und 30 Leute sind | |
von 11 bis 21 Uhr damit beschäftigt, die Sachen zu sortieren und zu | |
verpacken. „Viele kenne ich gar nicht“, sagt Nawrat: „Die kamen, um zu | |
spenden, und sind dann zum Helfen geblieben.“ | |
Ob sie vor lauter Spenden schon den Überblick verloren hätten? Irgendwie | |
schon, sagt Nawrat. Dann lacht sie, schaut sich im Raum um. „Wer | |
normalerweise das Nachtleben organisiert, kann Chaos. Wir stemmen Events | |
mit 1.000 Gästen. Im Vergleich dazu ist das hier immer noch ziemlich | |
überschaubar.“ | |
Zu viele Spenden seien es aber nicht: „Selbst wenn wir Tausende Windeln | |
bringen: Die werden schnell aufgebraucht sein. Und außerdem fängt die Not | |
ja gerade erst an.“ Jetzt sei die Spendenbereitschaft hoch. „Aber danach | |
kommt das monatelange Elend, wenn die Menschen in Warschau, Berlin oder | |
anderswo angekommen sind, ohne Job, traumatisiert. Die werden noch lange | |
Hilfe brauchen.“ Auch Arche-Nova-Geschäftsführer Anderson rechnet mit einer | |
lange andauernden Notwendigkeit internationaler Hilfen für die Ukraine. | |
[3][Deutschlandweit sammeln Hilfsorganisationen Kleider, Lebensmittel oder | |
Geld für Menschen in der Ukraine oder auf der Flucht] (siehe Kasten). Auch | |
die jüdischen Gemeinden in Deutschland. Man wolle der jüdischen | |
Gemeinschaft in der Ukraine „zur Seite stehen“, heißt es in einer | |
[4][Presseerklärung der Zentralwohlfartsstelle der Juden in Deutschland | |
(ZWST)].Schon seit Mitte Januar sei man gemeinsam mit IsraAid Germany in | |
der Ostukraine und in Kiew aktiv, um die dortigen jüdischen Gemeinden zu | |
unterstützen, oftmals handele es sich um Binnenvertriebene aus dem Donbass. | |
Für viele Jüdinnen und Juden in Deutschland ist der Krieg in der Ukraine | |
besonders nah – 90 Prozent von ihnen haben ihre Wurzeln in der ehemaligen | |
Sowjetunion, fast die Hälfte in der Ukraine. Viele haben Familie und | |
Freund:innen dort, wo jetzt Raketen niedergehen. | |
Für manche Menschen ist die Flucht noch schwieriger als für andere. Immer | |
wieder kursieren Berichte, dass Drittstaatsangehörige Probleme haben, das | |
Land zu verlassen. Besonders Studierende aus verschiedenen afrikanischen | |
Staaten [5][berichten von massivem Rassismus]. „Uns erreichen | |
herzzerreißende Berichte von schweren Menschenrechtsverletzungen, von | |
anti-Schwarzem Rassismus und von Diskriminierung“, sagt Amal Abbass von der | |
Schwarzen Community-Organisation Each One Teach One (EOTO) in Berlin. | |
Deswegen hätten sich rund 30 Organisationen aus ganz Deutschland zu einem | |
Bündnis zusammengeschlossen, um diese Menschen ganz gezielt zu | |
unterstützen. Das Bündnis leistet Nothilfe in Deutschland und vor Ort und | |
[6][sammelt Geld] sowie Sachspenden wie SIM-Karten und Powerbanks. Außerdem | |
seien schon seit dem Wochenende Personen vor Ort, um juristische Hilfe zu | |
leisten. | |
Offenbar lassen ukrainische Grenzbeamte Ausländer:innen an einigen | |
Grenzübergängen trotz der Aufnahmezusage aus der EU nicht oder nur sehr | |
begrenzt passieren. „Während die ersten schon in Berlin angekommen sind, | |
hören wir immer noch Berichte von Menschen, die sich in extremen | |
Notsituationen an der Grenze befinden“, sagt Abbass. | |
Der frühere Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, setzte sich deshalb | |
am Sonntag selbst ins Auto und fuhr die 1.100 Kilometer bis in die | |
Westukraine. Zurück kehrte er mit einer vierköpfigen Familie samt vier | |
Monate altem Baby und Großmutter, die die Nierths nun bei sich aufnehmen. | |
„Wir haben Platz und fühlen uns reich.“ | |
2 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://data2.unhcr.org/en/situations/ukraine | |
[2] https://arche-nova.org/news/arche-nova-ruft-zu-spenden-fuer-die-ukraine-auf | |
[3] /Russischer-Angriff-auf-die-Ukraine/!5838078 | |
[4] https://zwst.org/de/news/israaid-germany-und-zwst-leisten-hilfe-der-ukraine | |
[5] /Flucht-aus-der-Ukraine/!5837996 | |
[6] https://eoto-archiv.de/spenden/ | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
Michael Bartsch | |
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