# taz.de -- Protest gegen Neutralitätsgesetz: „Muss nicht um Religion streit… | |
> Eine Grundschulklasse aus Kreuzberg protestiert gegen das | |
> Neutralitätsgesetz. Denn das habe ihnen ihre „wundervolle Lehrerin“ | |
> genommen. | |
Bild: Finden das Neutralitätsgesetz überflüssig und ungerecht: Die Kinder de… | |
Berlin taz | Warum dürfen Frauen mit islamischem Kopftuch oder Nonnenhabit | |
oder Männer mit Kippa in Berlin in staatlichen Schulen nicht als | |
Lehrer*innen unterrichten? Unter Erwachsenen ist die Frage seit Jahren | |
ein steter Quell für Streit. Immer wieder ziehen Lehrerinnen mit Kopftuch | |
gegen die Bildungsverwaltung vor Gericht – oft, aber nicht immer, | |
erfolgreich. [1][Auch die Politik ist uneins: SPD, CDU und FDP sind für das | |
Neutralitätsgesetz, Linke und Grüne würden es gerne abschaffen]. Das Gesetz | |
liegt nun beim Bundesverfassungsgericht, das – vielleicht noch in diesem | |
Jahr – seine höchstrichterliche Entscheidung verkünden soll. | |
Doch was sagen die Kinder – um deren Schutz es den Befürwortern des | |
Gesetzes vorgeblich geht? | |
Für die Klasse 456 o (das o steht für „Otter“) der Nürtingen-Grundschule… | |
Kreuzberg ist die Sache klar: Das Neutralitätsgesetz ist dafür | |
verantwortlich, dass sie eine „wundervolle Lehrerin“ verloren haben. So | |
haben sie es in einem Brief an Berliner Politiker*innen und die taz | |
geschrieben. „Den Kindern in der Schule ist es egal, dass unsere Lehrerin | |
ein Kopftuch hat, denn wir lieben sie so, wie sie ist, und sie soll auch | |
nicht anders sein.“ Sie könne gut erklären, sei immer glücklich „und ste… | |
uns damit an“, finden sie. | |
Eineinhalb Jahre lang hatten die Kinder neben ihrer Klassenlehrerin eine | |
Referendarin mit Kopftuch, erzählen sie bei einem Gespräch mit der | |
Reporterin vor dem ehemaligen Krankenhaus Bethanien am Mariannenplatz. Fast | |
die ganze Klasse ist gekommen, einige Eltern begleiten sie. In der Schule | |
können wir uns nicht treffen, die Bildungsverwaltung hat das untersagt, | |
Schulleiter und Klassenlehrerin dürfen auch nicht mit der Presse reden. | |
Darum berichtet eine Mutter, was aus der Referendarin wurde: Im Dezember | |
habe sie ihr Staatsexamen gemacht, zum Halbjahr Ende Januar musste sie die | |
Schule verlassen. Nun unterrichte sie an einer privaten Schule. | |
## „Eine schlechte Aussage“ | |
Das Gesetz sei ein großer Fehler, sagt Lilja, die Klassensprecherin, die | |
den Protest der Schüler*innen zusammen mit Laura und Valeria | |
organisiert. „Damit verzichtet Berlin auf sehr tolle Arbeitskräfte.“ Das | |
finden sie umso unverständlicher, als sie das Hauptargument der Befürworter | |
des Gesetzes einfach nicht überzeugt: Damit würden Kinder in ihrer | |
„negativen Religionsfreiheit“ geschützt – denn der Staat darf niemanden … | |
einer Religion oder Weltanschauung zwingen. | |
Sie habe in den Nachrichten gehört, erzählt Layla, „das ist, damit man die | |
Schüler nicht einschüchtert, sie etwa dazu bringt, auch ein Kopftuch zu | |
tragen. Für mich war das eine schlechte Aussage. Ich kann mir gar nicht | |
vorstellen, dass Schüler dazu gedrängt werden, Kopftücher zu tragen oder | |
sonst einer Religion anzugehören.“ | |
Ähnlich sieht es Atahan, der selber muslimischen Glaubens ist und sagt, | |
seine Mutter trage nur in der Moschee ein Kopftuch: „Ich finde die Regel | |
albern, weil jedes Kind seine eigene Meinung hat. Es heißt ja nicht, dass | |
das Kind, nur weil es die Lehrerin mag, direkt auch das Kopftuch tragen | |
möchte.“ | |
Zehra findet das Gesetz sogar „ein bisschen ungerecht“, wie sie sagt: „We… | |
meine Mutter zum Beispiel auch ein Kopftuch trägt. Und wenn sie eine | |
Lehrerin wäre, dann könnte sie auch nicht in einer Schule arbeiten.“ | |
Eigentlich sei es ihr ja egal, ob Lehrerinnen Kopftuch tragen – aber sie | |
hätten ein Recht, es zu tragen, findet sie. Und als die Reporterin | |
nachfragt, gibt sie zu, dass es für sie auch „schön“ gewesen sei zu sehen, | |
dass eine Lehrerin denselben Glauben hat wie sie. | |
## „Jeder hat seinen Glauben“ | |
Aber was würde passieren, will die Reporterin wissen, wenn Schüler*innen | |
über Religion streiten: Könnte dann eine sichtbar religiöse Lehrerin | |
„neutral“ bleiben und unparteiisch schlichten? | |
Bei ihnen gebe es keinen Streit um Religion, erwidert Laura. „Ich finde, | |
man muss sich auch nicht um Religion streiten, jeder hat seinen Glauben und | |
kann glauben, was er möchte.“ Auch Rüya findet: „Für mich ist es völlig | |
okay, wenn andere etwas glauben, aber ich hab halt meine eigene Meinung.“ | |
Von sich aus bringt Layla noch einmal die Perspektive der vom Gesetz | |
betroffenen Lehrerinnen ins Spiel, die zum Arbeiten „vielleicht nach | |
Brandenburg“ gehen müssten. „Die anderen Lehrer dürfen bleiben. Das ist s… | |
wie alle Leute in eine Schublade zu stecken: Du darfst nicht arbeiten, weil | |
du zum Beispiel Moslem bist und du darfst arbeiten, weil du kein Moslem | |
bist.“ | |
Auf die Erwiderung der Reporterin, eine Frau könnte das Kopftuch ja | |
ablegen, wenn sie unbedingt als Lehrerin arbeiten möchte, sagt Layla: Es | |
sei aber „schrecklich“, Menschen zu etwas zu zwingen, damit sie arbeiten | |
dürfen. „Sie glauben halt daran, und dann macht sie das vielleicht traurig, | |
weil sie so glücklich sind mit dem Kopftuch und sich wohlfühlen.“ Auch | |
Laura findet: „Wenn man daran glaubt und es einem wichtig ist, sollte man | |
es auch weiterhin tragen können.“ Valeria sagt: „Man sollte das tragen, was | |
einen glücklich macht.“ | |
## Jede*r soll selber entscheiden | |
Aber sei das nicht eine eigenartige Regel, die Frauen vorschreibt, ihre | |
Haare zu bedecken, damit Männer sie nicht sehen können, will die Reporterin | |
von den Kindern wissen? Valeria sagt: „Ich finde, es ist jedem selbst | |
überlassen, was sie von sich zeigen, was nicht. Da sollten keine anderen | |
Leute mitreden, weil es geht ja nur um dich.“ Layla ergänzt: „Es gibt | |
bestimmt auch Leute, die dazu gezwungen werden, aber ich glaube, das sind | |
heutzutage die wenigsten. Ich habe auch mit meiner Lehrerin darüber geredet | |
und sie meinte, dass sie es freiwillig trägt und selbst entscheidet, wem | |
sie ihre Haare zeigt.“ | |
Wie geht es nun weiter mit dem Schüler*innenprotest? Vier Briefe an | |
Politiker*innen, darunter die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey | |
(SPD), haben sie geschrieben, erzählt Lilja; ihre Mutter, die | |
Gesamtelternvertreterin der Nürtingen-Grundschule ist, hat geholfen, die | |
Adressen herauszusuchen. Bislang habe nur „der Andy“ – gemeint ist der | |
Schulbezirksstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Andy Hehmke (SPD), | |
geantwortet – und „eine Frau“, die Staatssekretärin für Antidiskriminie… | |
in der Justizverwaltung, Saraya Gomis. Sie habe versprochen, zu kommen „und | |
mit der Klasse darüber zu reden“ – wegen Corona habe das noch nicht | |
geklappt. | |
Aber auch wenn die Briefe bislang nichts gebracht haben: ein bisschen | |
Hoffnung haben die „Otter“ schon, dass in naher Zukunft das Gesetz geändert | |
wird und ihre Lieblingslehrerin zurückkommt. Über die anstehende | |
Entscheidung des Verfassungsgerichts haben Lilja und Christabel in der | |
Schülerzeitung geschrieben. Sie habe auch gelesen, erzählt Valeria, „dass | |
überall in Deutschland das Gesetz nicht mehr gilt, nur in Berlin noch. Ich | |
finde das komisch. Berlin ist ja die Hauptstadt!“ Obwohl dies, wie sie | |
gleich hinterhersetzt, damit eigentlich nichts zu tun habe. | |
Oder doch? Gerade hier gebe es ja viele Muslime, wirft Laura ein. Und damit | |
wohl auch viele Frauen, die wegen ihres Kopftuchs nicht als Lehrerin | |
arbeiten dürfen. „Das hat mich sehr gewundert und ich fand es sehr traurig. | |
Ich fand es sowieso sehr komisch, dass das verboten ist, aber ich fand es | |
noch komischer, weil es hier so viele Muslime gibt.“ | |
22 Feb 2022 | |
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[1] /Berliner-Neutralitaetsgesetz/!5718589 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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