| # taz.de -- Konflikt um schulisches Projekt: Wie halten sie's mit der Religion? | |
| > Ist „konfrontative Religionsbekundung“ an Schulen zu dokumentieren? Ja, | |
| > meint der Bezirk Neukölln. Die Bildungsverwaltung will das erst mal | |
| > prüfen. | |
| Bild: Muslimische Kinder sind laut „Devi“ selbst stark betroffen | |
| Berlin taz | Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) reagiert mit | |
| Zurückhaltung auf die Neuköllner Idee einer neuen Anlauf- und | |
| Dokumentationsstelle für „religiöses Mobbing“ an Berliner Schulen. Bevor | |
| das Land ein solches Projekt finanziere, wolle man den Bedarf | |
| wissenschaftlich evaluieren lassen, sagte ihr Sprecher Martin Klesmann der | |
| taz. „Welcher Art diese Probleme genau sind und welche Maßnahmen helfen | |
| können, sie zu lösen, sollte eingehender untersucht werden.“ | |
| Es gebe in Berlin eine Vielzahl gut etablierter Unterstützungssysteme, die | |
| von den Schulen gerne angenommen würden, so der Sprecher. „Angesichts der | |
| jetzigen Initiative erachtet die Senatsverwaltung die Prüfung von | |
| zusätzlichen und ergänzenden Angeboten sowie die Beauftragung einer | |
| wissenschaftlichen Studie zur Erhebung der gesamtstädtischen Bedarfe für | |
| sinnvoll.“ | |
| Das Projekt „Konfrontative Religionsbekundungen“ ist eine Idee des Vereins | |
| Devi (Demokratie und Vielfalt) und wird vom Neuköllner Bezirksbürgermeister | |
| Martin Hikel (SPD) sowie dem dortigen Sozialstadtrat Falco Liecke (CDU) | |
| vehement unterstützt. Nach ihrer Auffassung nehmen religiöse Konflikte an | |
| vielen Schulen überhand, die PädagogInnen würden damit allein gelassen. | |
| Devi hatte Ende Dezember eine entsprechende Befragung von zehn Neuköllner | |
| Schulen vorgestellt. Der Verein möchte eine Anlaufstelle ins Leben rufen, | |
| die solche Konflikte dokumentiert und Schulen Hilfen anbietet. Doch das | |
| Projekt stößt auf vielfältige Kritik. | |
| Unstrittig ist, dass es an Schulen Probleme mit Religionsbezug gibt. So | |
| gibt es immer wieder Berichte, dass muslimische SchülerInnen von | |
| übereifrigen GlaubensgenossInnen kritisiert oder gar gemobbt werden, weil | |
| sie im Ramadan nicht fasten oder weil sie sich nicht an „islamische“ | |
| Kleidungsvorschriften halten. Es gibt Eltern, die ihren Töchtern die | |
| Teilnahme am Sportunterricht verbieten oder keine Sexualaufklärung wollen. | |
| Es kommt vor, dass SchülerInnen Gebetsräume fordern, sich antisemitisch | |
| oder Israel-feindlich äußern. All dies ist seit Jahren bekannt. | |
| Der aktuelle Streit dreht sich zum einen darum, [1][wie solche Konflikte zu | |
| bewerten sind – und was also zu tun ist]. Für Devi und die Neuköllner | |
| Politiker sind sie ein Zeichen des zunehmenden Einflusses von Islamisten, | |
| etwa aus Moscheegemeinden im Wohnumfeld. Dieser führe dazu, dass auf vielen | |
| Schulhöfen ein Klima der Angst eingezogen sei. Ein derart gestörter | |
| Schulfrieden verhindere die freie Entfaltung der Kinder und sei | |
| demokratiegefährdend, heißt es in der Ende Dezember veröffentlichten | |
| Devi-Broschüre zum Projekt. | |
| Zusätzliche Brisanz bekommt das Thema, weil die Befürworter sich vom | |
| Projekt offenkundig Argumentationsfutter für das Neutralitätsgesetz | |
| erhoffen. Es verbietet LehrerInnen das Tragen religiöser Kleidung – etwa | |
| eines islamischen Kopftuchs. Dieses Verbot sei nur verfassungsgemäß, wenn | |
| im Einzelfall konkrete Belege für „gestörten Schulfrieden“ vorliegen, hat… | |
| das Bundesarbeitsgericht im August 2020 geurteilt. | |
| Noch ist dagegen eine Beschwerde des Landes Berlin beim | |
| Bundesverfassungsgericht anhängig. Aber für den Fall, dass Berlin den | |
| Prozess verliert, hatte die Initiative „Pro Neutralitätsgesetz“ vor rund | |
| einem Jahr eine Registerstelle für „konfrontativen Religionsbekundungen“ | |
| gefordert. Das Fehlen einer solchen Registerstelle erschwere bzw. | |
| verhindere, „dass konkrete Gefahrensituationen gerichtsfest dokumentiert | |
| werden können“, heißt es auf der Webseite der Initiative, die personelle | |
| Überschneidungen mit Devi aufweist. So ist Devi-Chef Michael Hammerbacher | |
| in beidem engagiert, ebenso zwei Angestellte von Devi.* | |
| ## „Abwehr politisch motiviert“ | |
| Kritikern, die auf diesen politischen Zusammenhang hinweisen, unterstellt | |
| Devi, sie seien Gegner des Neutralitätsgesetzes und würden deshalb die | |
| Existenz von „konfrontativer Religionsbekundung“ leugnen: Es zeige sich, | |
| [2][heißt es in der Broschüre], dass „die Abwehr dieser Debatte selbst | |
| politisch motiviert“ und „von wenig pädagogischem Verständnis“ getragen | |
| sei. | |
| In der Tat gibt es Bedenken, dass die Wertung von Konflikten als | |
| „konfrontative Religionsbekundung“ Vorurteilen Vorschub leistet. „Meine | |
| größte Kritik ist die Fahrlässigkeit in Bezug auf die Gefahr des | |
| Stigmatisierens von gläubigen Menschen insbesondere Muslim:innen“, sagt | |
| etwa Derviş Hızarcı, Vorstandsvorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen | |
| Antisemitismus (KIgA) und früherer Antidiskriminierungsbeauftragter der | |
| Bildungsverwaltung. | |
| Hızarcı ist einer der UnterzeichnerInnen einer am Montag veröffentlichten | |
| kritischen Stellungnahme von zahlreichen VertreterInnen aus Wissenschaft | |
| und Zivilgesellschaft, darunter der ehemalige Staatssekretär für Bildung, | |
| Mark Rackles (SPD), der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, der | |
| Antidiskriminierungsverband und der NSU-Opferanwalt Mehmet Daimagüler. Sie | |
| bescheinigen dem Konzept gravierende Mängel sowie eine politische | |
| Instrumentalisierung schulischer Konflikte – und wenden sich strikt gegen | |
| die Einführung einer solchen Registerstelle. | |
| Aus Sicht der KritikerInnen verkürzt der Begriff „konfrontative | |
| Religionsbekundung“ komplexe Probleme auf eine einzige Dimension – die | |
| Religion, beziehungsweise den Islam (um andere Religionen geht es in der | |
| Debatte nicht). So erklärt Anne Albers, Mitglied des geschäftsführenden | |
| Vorstands der GEW und bis 2019 selbst Lehrerin in Neukölln, natürlich | |
| müssten solche Vorkommnisse sehr ernst genommen werden: „Das heißt aber | |
| nicht, dass diese Konflikte immer und ausschließlich mit Religion zu | |
| erklären sind. | |
| Meist spielten unterschiedliche Dimensionen eine Rolle, etwa | |
| Bildungsprobleme, soziale Konflikte, Diskriminierungserfahrungen, die | |
| Beziehungen zwischen Schüler*innen und Lehrkräften.“ All dies müsse bei | |
| der Konfliktbearbeitung einbezogen werden, „dafür brauchen Pädagog*innen | |
| allerdings mehr Zeit und gute Unterstützung“, sagt Albers. | |
| ## „Sicht von Schüler*innen fehlt“ | |
| Aliyeh Yegane Arani, Leiterin der Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz | |
| an Schulen (ADAS), kritisiert, schon die Befragung von Devi sei einseitig: | |
| Devi habe allein Schulleitungen und pädagogisches Personal interviewt. „Die | |
| Sicht von Schüler*innen und Eltern kommt nicht vor“, sagt sie. Ebenso | |
| offen bliebe die Frage, woher das Phänomen des „religiösen Mobbings“ an | |
| Schulen komme und was dagegen zu tun sei. | |
| Doch auch aus den Statements der Schulen selbst gehe bereits hervor, „dass | |
| die Problemlagen multifaktoriell sind: Es geht viel um soziale Problemlagen | |
| in den Familien“. Dennoch würden in der Auswertung von Devi all diese | |
| Probleme hauptursächlich auf die Eltern und ihre Herkunftsmilieus | |
| geschoben. „Dieser defizitorientierte Ansatz, bei dem alles mit dem | |
| Einfluss einer vermeintlich problematischen Herkunft und der Religion der | |
| Kinder begründet wird, ist nicht nur sozialwissenschaftlich nicht haltbar | |
| sondern auch pädagogisch nicht sinnvoll“, sagte Arani der taz. | |
| Aleksander Dzembritzki, ehemaliger Schulleiter am Campus Rütli und | |
| Staatssekretär a. D., betont ebenfalls, um solche Konflikte anzugehen, | |
| bedürfe es keiner Registerstelle, die Probleme mit Muslimen „auflistet“, | |
| sondern eines „wertschätzenden Umgangs“ mit schwierigen Kindern und ihren | |
| Eltern. Daran mangele es teilweise, findet er, etwa aufgrund von | |
| Vorurteilen oder aus Unkenntnis über die Verhältnisse in den Familien. | |
| „Wenn man schwierige Schüler zu schnell aufgibt, ist klar, dass sie sich | |
| anderen Gruppen oder Ideologien zuwenden, wo sie sich angenommen fühlen.“ | |
| Nach seiner Erfahrung ist „religiöses“ Mobbing von Schüler*innen | |
| seltener ein Zeichen von islamistischer Überzeugung sondern meist | |
| „pubertäres Gehabe oder ein Schrei nach Aufmerksamkeit“. | |
| Auch die Behauptung von Devi, die Schulen würden mit solchen Problemen | |
| alleine gelassen, erntet Widerspruch. Dzembritzki verweist etwa auf | |
| Projekte im Rahmen der Landeskommission Berlin gegen Gewalt, die | |
| „kiezorientierte Präventionsansätze“ fördern, sowie die „Respect Coach… | |
| oder die Prevent-Beratungsstelle Berlin, eine Fachstelle für Pädagogik | |
| zwischen Islam, antimuslimischem Rassismus und Islamismus. Albers von der | |
| GEW nennt die SIBUZ, die schulpsychologischen Beratungs- und | |
| unterstützungszentren in den Bezirken, als Ansprechpartner. Hızarcı weist | |
| auf die KIgA hin, die Schulen bei Problemen mit Antisemitismus unter | |
| Schüler*innen ansprechen können. | |
| Insgesamt gebe es „viele Organisationen, die hierzu arbeiten und auch | |
| beraten können“, sagt Hızarcı. In der Bildungsverwaltung selbst gäbe es | |
| dafür Stellen. „Diese müssen halt ordentlich besetzt, ausgestattet und | |
| weiter ausgebaut werden“, sagte er der taz mit Blick auf seine frühere | |
| Stelle als Antidiskriminierungsbeauftragter, die seit seinem Abgang vor | |
| rund zwei Jahren nicht neu besetzt wurde. | |
| Devi-Chef Michael Hammerbacher erwidert auf taz-Anfrage, nicht er lege den | |
| Fokus auf die Religion, die „Meldungen“ der Schulen über ihre Probleme | |
| sprächen für sich. Seinen Kritikern wirft er wiederum vor, die Situation zu | |
| verharmlosen, offenbar weil sie nicht den „eigenen politischen | |
| Wunschvorstellungen“ entspreche. Er beharrt: „Wir haben eine Schieflage im | |
| Präventionsangebot für die Berliner Schulen benannt, das sich | |
| richtigerweise zwar umfassend der Bekämpfung von Diskriminierung zuwendet, | |
| aber die Schulen mit dem Problem der konfrontativen Religionsbekundung und | |
| dem Islamismus weitgehend allein lässt.“ | |
| Die Erklärung der Bildungsverwaltung, erst mal eine wissenschaftliche | |
| Evaluation zu beauftragen, sieht er als Bestätigung seiner Position. Auch | |
| Bezirksbürgermeister Hikel „begrüßt“ gegenüber der taz, dass der Senat … | |
| berlinweiten Bedarf „vertieft analysieren“ will. Für Neukölln sei dies mit | |
| der Devi-Befragung bereits nachgewiesen, findet er. | |
| Im Bezirk sehen das viele anders. Die Neuköllner Grünen, | |
| Zählgemeinschaftspartner der SPD, betonen, man habe eine „eine unabhängige | |
| Evaluation“ vereinbart. Die Linksfraktion hat für [3][die BVV am Mittwoch] | |
| Fragen vorbereitet. | |
| *In einer ersten Version des Textes hatte es geheißen, Devi und die | |
| Initiative seien „personell weitgehend identisch“. Dies ist falsch, es gibt | |
| lediglich Überschneidungen. | |
| 25 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schulprojekt-gegen-Religionskonflikte/!5820200 | |
| [2] https://demokratieundvielfalt.de/wp-content/uploads/2021/12/DEVI_Broschuere… | |
| [3] https://www.berlin.de/ba-neukoelln/politik-und-verwaltung/bezirksverordnete… | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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