| # taz.de -- Neuwerks Obmann über Hafenschlick: „Wir kommen mit Hamburg klar�… | |
| > Seit dem 18. Jahrhundert lebt Christian Griebels Familie auf Neuwerk. | |
| > Sein Opa soll wegen Piraterie belangt worden sein. Er selbst ist | |
| > Insel-Obmann. | |
| Bild: Angst vor Imageschaden durch Hamburger Hafenschlick: Insel Neuwerk | |
| taz: Herr Griebel, wie ruhmreich ist Neuwerks Geschichte? | |
| Christian Griebel: Es wird gemunkelt, dass [1][Klaus Störtebeker] hier | |
| gewesen sein soll. Tatsächlich ist unser Leuchtturm 50 Jahre vor | |
| Störtebekers Geburt im Auftrag der Hanse gebaut worden, um Piraten zu | |
| trotzen und die Elbfahrrinne zu sichern. Wie viel am Störtebeker-Gerücht | |
| dran ist – schwer zu sagen. | |
| Laut Wikipedia lief 1968 ein Frachter vor Scharhörn auf Grund und wurde von | |
| Neuwerkern geplündert. Stimmt das? | |
| Ja, davon habe ich auch gehört. Man muss ehrlicherweise sagen, dass das | |
| Ausrauben gestrandeter Schiffe früher für Insulaner an der Nordseeküste | |
| eine Nebeneinkunft war, um zu überleben. Mein Großvater war angeblich einer | |
| der Letzten, der wegen Piraterie vor Gericht stand. Er hatte eine | |
| Schiffsmannschaft gerettet und dabei ein paar Dinge mitgehen lassen. Heute | |
| wäre das kein einträgliches Geschäftsmodell mehr. Es wird ja kaum noch | |
| etwas angespült, weil die Überwachung mit Radar und GPS so gut geworden | |
| ist. | |
| Wie lange siedeln die Griebels schon auf Neuwerk? | |
| Seit dem 18. Jahrhundert. Aktuell sind wir die älteste hier ansässige | |
| Familie. | |
| Und was tun Sie als Insel-Obmann? | |
| Ich bin für fünf Jahre gewählt und fungiere als Bindeglied zwischen den | |
| Neuwerkern und dem Bezirksamt Hamburg-Mitte, wo ich angestellt bin. | |
| Manchmal verhandle ich auch mit Niedersachsen: In den letzten fünf Jahren | |
| hatten wir zum Beispiel große Probleme mit einem durch Niedersachsen | |
| verlaufenden [2][Priel,] der uns die Verbindung zum Festland abzuschneiden | |
| drohte. | |
| Inwiefern? | |
| Ursache war ein vor 50 Jahren gebauter Leitdamm, der die Elbe vor | |
| Versandung schützen sollte. Dadurch veränderten sich die | |
| Strömungsverhältnisse, und der betreffende Priel wurde so tief, dass wir | |
| ihn nicht mehr mit dem Trecker durchfahren konnten. Wir mussten immer | |
| weiter ausweichen. Dann fanden wir eine Stelle, an der der Priel nicht so | |
| tief, aber sehr schlickig war. Wir hofften, den Schlick räumen und durch | |
| festeres Material ersetzen zu können und debattierten lange mit dem | |
| Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und | |
| Naturschutz. Strittig waren dabei weniger die Kosten, als die Machbarkeit | |
| im Nationalpark Wattenmeer. Voriges Jahr haben wir sogar eine Demonstration | |
| mit Wattwagen veranstaltet. | |
| Mit Erfolg? | |
| Es war nicht mehr nötig. Innerhalb nur eines Jahres hat sich der Priel | |
| durch Witterungsverhältnisse so verändert, dass wir ihn wieder passieren | |
| können. Das geht manchmal ganz schnell. Dann gibt es ein paar aufeinander | |
| folgende Stürme, die massiv Schlick abtragen und stabilisierenden Sand | |
| ablagern. | |
| Wieso nutzen Sie eigentlich nicht ganzjährig das Schiff? | |
| Weil wir von der Tide abhängen, und die beschert uns pro Tag maximal drei | |
| Stunden, in denen wir übersetzen könnten. Außerdem sind diese kleinen, | |
| leichten Touristenschiffe nicht für unsere Bedürfnisse ausgelegt: Wir | |
| brauchen große Mengen Lebensmittel, oft auch sperriges Baumaterial. Deshalb | |
| nutzen wir mit Trecker und Wagen den Wattweg. Im Sommer lassen wir die | |
| Kutschen – als Touristenattraktion – von Pferden ziehen. Aber im Winter ist | |
| das den Tieren nicht zuzumuten. | |
| Gibt es eigentlich einen Neuwerker Dialekt, eine Hymne? | |
| Nein. Ein Neuwerker [3][Plattdeutsch] gab es nie, und bei 200 ständigen | |
| Gästen und zwanzig Einwohnern hätten wir gar keine Chance, unter uns Platt | |
| zu sprechen. Ich verstehe etwas, meine Eltern sprechen es ganz gut, denn in | |
| früheren Zeiten war das natürlich normal. | |
| Wie sieht die Zukunft aus? Die drei Inselkinder sind ja weggezogen. | |
| Ja, ein Vorschul- und zwei Schulkinder sind vorletzten Sommer mit ihren | |
| Eltern weggezogen. Eigentlich war die Familie sehr glücklich auf der Insel. | |
| Aber nach der Grundschule hätten die Kinder in ein Internat aufs Festland | |
| gemusst, und die Eltern wollten den Kindern die Trennung in so jungem Alter | |
| nicht zumuten. | |
| Wird die Insel also irgendwann vergreisen? | |
| Das ist eine große Sorge. Wir versuchen, die Politik zu bewegen, dem | |
| entgegenzuwirken. Es fehlt ja nicht an Menschen, die auf die Insel ziehen | |
| wollen, wie eine missverstandene Pressekampagne vor Jahren zeigte. Aber es | |
| mangelt an Wohnraum. Wie auf anderen Inseln gibt es keinen Bebauungsplan, | |
| und das Nationalparkrecht verhindert Neubauten. Auf der anderen Seite sind | |
| die Ansprüche an Raum gestiegen, und wir haben weniger dazubauen können als | |
| nötig. Deshalb haben wir für neue Wohnungen oder Häuser ein Grundstück | |
| vorgeschlagen, wo früher ein Bauernhof stand und das schon erschlossen ist. | |
| Was sagt die Hamburger Baubehörde? | |
| Es gab im Rahmen eines Entwicklungskonzepts, das wir für die Insel | |
| erarbeitet hatten, bereits Gespräche. Es besteht natürlich immer die | |
| Möglichkeit, so etwas zu genehmigen, wenn es im öffentlichen Interesse ist. | |
| Die Frage ist, ob man das für Neuwerk will. | |
| Kürzlich kam der Vorschlag, Neuwerk Niedersachsen zuzuschlagen. Wäre das | |
| für Sie okay? | |
| Nein. Man weiß ja nicht, wo man dann landet. Bisher haben wir ganz gute | |
| Gespräche mit den Hamburgern. Vielleicht kennen sich die Niedersachsen mit | |
| dem Inselgeschäft etwas besser aus, weil sie mehrere an der ostfriesischen | |
| Küste haben. Aber an sich kommen wir mit den Hamburgern klar. | |
| Die künftig Hafenschlick vor Scharhörn verklappen wollen, in Ihrer Nähe. | |
| Umweltsenator Jens Kerstan hat Sie angerufen. Hat er wirklich gefragt? | |
| Nein. Aber Sie können sich vorstellen, dass auch Herr Kerstan es nicht | |
| begrüßt, [4][Schlick] in der Nähe eines Nationalparks zu verklappen. Aber | |
| er ist Zwängen unterworfen. Was gut für uns war: dass es überhaupt ein | |
| Gespräch gab und wir die Chance hatten, unseren Unmut kundzutun. Wir wollen | |
| diesen Schlick nicht. Aber dass Hamburg diese Pläne nicht wegen 20 | |
| Neuwerkern ändert, ist wohl jedem klar. | |
| Kann der Schlick das Neuwerker Image so schädigen, dass der Tourismus | |
| einbricht? | |
| Absolut. Denn unabhängig davon, wie giftig der Schlick wirklich ist: Im | |
| Zweifel werden sich die Leute für ein Urlaubsziel entscheiden, das weit weg | |
| ist davon. | |
| 26 Feb 2022 | |
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| Petra Schellen | |
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