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# taz.de -- Ein Sommer in der Stadt: Die Tage am Hafen
> Container sehen auf einem Güterschiff viel interessanter aus als auf
> einem LKW. Das hat wohl mit Romantik und dem Sommer zu tun.
Bild: Urlaubsstimmung. Ein Containerschiff auf der Elbe
Ich fahre nirgendwohin, ich bleibe diesen Sommer in der Stadt. Jeden Tag
gehe ich zum Fischmarkt runter. Ich habe mir [1][Barfußschuhe] gekauft. Im
Internet hat einer gesagt, dass seine ganzen Probleme verschwunden sind,
seit er barfuß läuft. Menschen, die barfuß laufen, sind sehr gesund, und
das Gesunde daran gefällt mir.
Aber was mir nicht gefällt, ist der Dreck. Ich fange schon an zu würgen,
wenn vor mir einer auf die Erde rotzt.
Ich dachte, es ist ein Kompromiss, wenn ich mir Barfußschuhe kaufe. Die
Sache ist die, dass Barfußschuhe nicht aussehen. Die andere Sache ist die,
dass man in ihnen immer [2][noch in Schuhen läuft und nicht barfuß]. Aber
dann las ich im Internet, dass es immer noch besser sei, in Barfußschuhen
zu laufen, als in Schuhen, die keine Barfußschuhe sind. Ich laufe also
jeden Tag in meinen Barfußschuhen, die nicht so total wie Barfußschuhe
aussehen, sondern eher wie DDR-Turnschuhe, runter zum Hafen und dann,
solange es geht, direkt am Wasser entlang. Da gefällt es mir so gut und ich
rede mir ein, dass ich keinen Urlaub brauche, weil ich ja in Hamburg lebe
und jeden Tag am Hafen entlanglaufen kann.
Am Hafen es jetzt ruhig. Die Leute sind alle weggefahren, im Urlaub.
Natürlich machen auch welche hier Urlaub, aber wie es aussieht, gar nicht
mal so viele.
Ich laufe also da lang und denke über den Hafen nach, weil ich immer über
alles nachdenke. Ich sehe, wie ein Containerschiff von zwei Schleppern
gedreht wird. Ich sehe es mir ganz genau an, die ganze Drehung. Ich bin
begeistert, aber warum?
Es sind einfach nur rostige Container, die sonst auf Lkws liegen, auf der
Autobahn, und da gefallen sie mir überhaupt nicht. Es sind Waren, nichts
als Waren. Es ist Industrie, Handel, Transport, es macht die Elbe dreckig.
Wenn ich runter auf’s Wasser schaue, dann ist es braun. Man möchte nicht
unbedingt in diesem Wasser baden, obwohl ich das schon getan habe, am
Falkensteiner Ufer, wo die Dünen sind, da habe ich wohl schon gebadet und
den Dreck vergessen.
Man kann ja nicht immer an das Schlechte denken. Und obwohl ich an das
Schlechte denke, weil ich nun mal so bin, gefällt mir der Hafen so gut,
gefallen mir die Schiffe so gut, wie sie sich so langsam drehen, und ich
überlege, wo sie wohl hinfahren. Ich lasse in mir so eine Romantik
aufkommen, jeden Tag aufs Neue. Und wie ich da so über die Planken laufe,
hinter einem Haus am Holzhafen, da steht doch vor mir direkt was zum
Verschenken, für meine Kolumne! Auf dem Boden liegt ein kleines blaues Buch
mit einem eichenblattumkränzten Anker: „Taschenbuch für Wehrausbildung“,
an seinem Kopf steht aufrecht ein blauer Diercke Weltatlas. Es ist ein
kleiner Altar. Es ist ein Hafengeschenk, von einem kleinen Matrosen.
Ich habe einmal eine Geschichte über einen kleinen Matrosen geschrieben,
dafür habe ich recherchiert und herausgefunden, dass die Ausbildung zum
Matrosen in der BRD 1984 eingestellt wurde, dass es den Beruf eigentlich
gar nicht mehr gibt. Nur in der Marine, in der Matrose der unterste
Dienstgrad ist, mit Matrosenanzug und dem ganzen Schnack. Das war
enttäuschend.
Aber ich will, dass meine Romantik siegt: Der kleine Matrose hat seinen
Abschied genommen und seine wichtigen Bücher der Welt hinterlassen, mir,
für meinen Text, so nah am Wasser, wie es ging, mit Gruß an die Elbe, mit
Gruß an mich.
Ich habe ja dieses Jahr überhaupt keinen Sommerurlaub. Aber dafür habe ich
dies hier und die herrliche, vollgerotzte Stadt.
14 Aug 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Barfu%C3%9Fschuh
[2] /Strukturwandel-in-Weissenfels/!5751061
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Zu verschenken
Hamburger Hafen
Containerschifffahrt
Marine
Kolumne Bobsens Späti
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Seefahrt
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