# taz.de -- Linksparteitag in Nordrhein-Westfalen: Linke übt Bewegung | |
> Im größten Bundesland NRW träumt die Linkspartei vom Wiedereinzug in den | |
> Landtag. Sie hofft dabei auf die Unterstützung sozialer Bewegungen. | |
Bild: Jules El-Khatib, Carolin Butterwegge und Janine Wissler: Wahlkampfvorfreu… | |
MÜLHEIM AN DER RUHR ta |Z Als Bundesvorsitzende kommt Janine Wissler | |
schnell zum Allerwichtigsten. „Die Linke muss wieder in den Landtag von | |
Nordrhein-Westfalen“, ruft die Hessin in der Stadthalle in Mülheim an der | |
Ruhr. Im mit Abstand bevölkerungsreichsten Bundesland NRW wird am 15. Mai | |
gewählt. An diesem Wochenende bestimmen deshalb 210 Genoss:innen teils | |
vor Ort, teils über das Netz zugeschaltet über die Aufstellung der | |
Landesliste – und Wissler ist an diesem Samstag an die Ruhr gereist, um | |
ihnen Mut zu machen. | |
2017 habe die Linkspartei den Sprung in den Landtag doch [1][nur denkbar | |
knapp verpasst], erklärt die 40-Jährige. „Damals hat es an 8.000 Stimmen | |
gelegen – das sollte für uns ein Ansporn sein, um jede einzelne Stimme zu | |
kämpfen“, mahnt Wissler. Wenn der Landesverband „geschlossen“ kämpfe, | |
trommelt die Parteichefin, dann sei im Mai alles drin. | |
Aber auch nur dann. Geschlossenheit – nichts hat der größte Landesverband | |
der Linkspartei mit seinen aktuell rund 8.700 Mitgliedern bitterer nötig. | |
Seit Jahren schon sind die Genoss:innen an Rhein und Ruhr gespalten, | |
zerstritten, in Grabenkämpfe verstrickt. | |
Durchgeschlagen ist das auf die Wahlergebnisse: 2020 holte die Partei bei | |
den Kommunalwahlen landesweit nur 3,8 Prozent. Die beiden damaligen | |
Parteichef:innen Inge Höger und Christian Leye [2][warfen sich | |
gegenseitig „Sabotage“ und „eine Schmutzkampagne“ vor]. Bei der | |
Bundestagswahl waren es nur noch 3,7 Prozent. Laut dem aktuellen NRW-Trend | |
von Infratest dimap im Auftrag des WDR-Magazins Westpol rangiert die | |
NRW-Linke gegenwärtig nur noch bei 3 Prozent. Der Landtag scheint ziemlich | |
weit weg. | |
Doch die heutigen Landessprecher:innen Nina Eumann und [3][Jules | |
El-Khatib] scheinen begriffen zu haben, dass offener Streit, dass eine | |
sichtbare Spaltung wie auf der Bundesebene ins Nichts führt. Der | |
Landesvorstand hat sich zusammengerauft, die Aufstellung der Landesliste | |
soll harmonisch wirken – sie ist zwischen den rivalisierenden Strömungen | |
der Partei fein austariert. | |
Auf den ersten drei Plätzen kandidieren die Soziologin Carolin Butterwegge | |
von der Sozialistischen Linken, El-Khatib von der Bewegungslinken und die | |
lange der Antikapitalistischen Linken zugerechnete Eumann jeweils ohne | |
Gegenkandidat:innen. Auch Eumann wird von der Bewegungslinken unterstützt. | |
## Kein Wort über Ex-Spitzenkandidatin Wagenknecht | |
Butterwegge, die schon von [4][2010 bis 2012 der einzigen Fraktion | |
angehörte], die es für die Linkspartei in den Landtag geschafft hat, fasst | |
in ihrer Bewerbungsrede noch einmal Kernpunkte des im Dezember | |
beschlossenen Wahlprogramms zusammen. Die 47-Jährige, deren Mann Christoph | |
Butterwegge 2017 als Kandidat der Linkspartei bei der Bundespräsidentenwahl | |
antrat, kritisiert den Pflegenotstand ebenso wie die chaotischen | |
Corona-Schulverordnungen von FDP-Kultusministerin Yvonne Gebauer, fordert | |
einen besseren und trotzdem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr ebenso wie | |
bezahlbares Wohnen. | |
Trotzdem kommt die Kölnerin nur auf 67,4 Prozent. Denn ihre Parteiströmung, | |
die Sozialistische Linke, hat Sahra Wagenknecht in NRW 2020 [5][noch einmal | |
als Bundestagsspitzenkandidatin durchgeboxt] – dabei wurde deren Buch „Die | |
Selbstgerechten“ [6][von vielen als Angriff] auf Klimaaktivist:innen, | |
Antirassist:innen und Kämpfer:innen für Gleichstellung von homo-, | |
trans- und intersexuellen Menschen interpretiert. | |
Spätestens seit ihren impfskeptischen Coronathesen aber gilt die | |
mittlerweile selbst infizierte Wagenknecht immer mehr Genoss:innen auch | |
an Rhein und Ruhr als personifiziertes Symbol der Spaltung: Beim | |
Programmparteitag im Dezember votierte eine Mehrheit der Delegierten sogar | |
dafür, eine Rede Wagenknechts von der Tagesordnung zu streichen. | |
Begründung: Die Saarländerin sei viel zu wenig präsent. Auch auf der Bühne | |
des Listenparteitags am Samstag fiel Wagenknechts Name kein einziges Mal. | |
Besser als Butterwegge schneiden die Landesparteichef:innen El-Khatib | |
und Eumann ab, die dabei sind, sich ein Image als Versöhner:innen | |
aufzubauen. Der Essener kommt auf 80,2 Prozent, die Mülheimerin auf 77 | |
Prozent. Butterwegge und El-Khatib bilden damit das Wahlkampf-Spitzenduo. | |
Für Hans Decruppe von der Sozialistischen Linken votieren nur 51 Prozent – | |
allerdings hatte der Vize-Landeparteichef auf Platz 4 auch zwei | |
Gegenkandidaten. | |
## Werben um die Klimabewegung | |
Als Symbol der Öffnung der Linkspartei in Richtung Umwelt- und | |
Klimabewegung soll die Kandidatur für Platz 5 gelten. Mit dem besten | |
Ergebnis von 86,1 Prozent gewählt wird hier die bisherige Spitzenkandidatin | |
der Klimaliste NRW, die Kölner Stadträtin Nicolin Gabrysch – ebenfalls ohne | |
Konkurrenz. Im Gegenzug zu ihrer Nominierung verzichtet die Klimaliste NRW | |
auf einen eigenen Antritt zur Landtagswahl. | |
Die Linkspartei hofft auf wahlentscheidende Stimmen: Schon 2020 entschieden | |
sich in Köln 14.370 Wähler:innen für Gabrysch als | |
Oberbürgermeister-Kandidatin. 3,45 Prozent konnte die Klimaschützerin in | |
Nordrhein-Westfalens größter Stadt damit einfahren. | |
Auch auf Platz sechs kann sich mit Martin Koerbel-Landwehr ein Kandidat | |
durchsetzen, der kein Mitglied der Linkspartei ist. Der Gewerkschafter, | |
Personalratsvorsitzender der Uni-Klinik Düsseldorf, ist bei Ver.di | |
Vorsitzender des Fachbereich Gesundheit und Soziales – und Unterstützer der | |
Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE!“. Für die | |
Linkspartei könnte Koerbel-Landwehr nicht nur um die ausgebrannten | |
Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens werben, sondern um alle, denen | |
die Privatisierungswellen der vergangenen Jahrzehnte viel zu weit gingen. | |
Und auf Platz 8 tritt der Kölner Mietrebell Kalle Gerigk an, der 2014 durch | |
den Protest gegen seine Zwangsräumung Kultstatus bekam und der sich in der | |
Mieter:innenbewegung „Recht auf Stadt“ engagiert. „Zwei | |
Bewegungskandidat:innen auf den ersten acht Plätzen – das gibt’s bei | |
keiner anderen Partei“, sagt Landessprecherin Eumann zufrieden. | |
Allerdings: Völlig unumstritten scheint zumindest Gabryschs Kandidatur | |
nicht zu sein. Kurz nach deren Auftritt beim Parteitag meldet sich auf | |
Twitter eine „Klimaliste Deutschland“. Die postet, mit der | |
Graswurzelbewegung sei das alles nicht abgesprochen, der Klimaliste NRW | |
würden „mit sofortiger Wirkung“ die Namensrechte entzogen. Ein Sprecher der | |
Linkspartei erklärt dagegen, bei dieser „Klimaliste Deutschland“ handele es | |
sich nicht um die gleichnamige Partei, sondern lediglich um einen | |
eingetragenen Verein. Gabryschs Kandidatur sei sowohl von der Bundespartei | |
Klimaliste als auch dem Landesverband in NRW legitimiert. | |
Und wenn die Linkspartei den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde tatsächlich | |
schaffen sollte? Noch scheinen die Machtoptionen unklar. Für Gespräche mit | |
SPD und Grünen sei die Partei grundsätzlich offen, sagt Jules el-Khatib, | |
warnt aber schon jetzt: „Wir reden nicht, wenn Sozialabbau und | |
Privatisierungen im Raum stehen.“ Carolin Butterwegge klingt ähnlich: „Der | |
Status als Regierungsfraktion wäre eine Herausforderung, die niemand | |
ausschließt – die wir allerdings auch nicht unbedingt anstreben.“ | |
30 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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