# taz.de -- Verfassungsschutz-Beobachtung von Linken: Begründung? Fehlanzeige | |
> Zwei Mitglieder der Linken in Niedersachsen wurden sechs Jahre lang vom | |
> Verfassungsschutz beobachtet. Die Frage nach dem Warum bleibt | |
> unbeantwortet. | |
Bild: Verdächtig: Thomas Goes und Maren Kaminski sind in der Linkspartei aktiv | |
HAMBURG taz | Maren Kaminski und Thomas Goes machen das, was | |
Politiker*innen so machen: Sie nehmen an Mitgliederversammlungen teil, | |
sie kandidieren für Landtagswahlen. Beide sind aktive Mitglieder der | |
Linkspartei in Niedersachsen. Das allein genügte anscheinend der | |
niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde (VS), um sie sechs Jahre lang | |
unter Beobachtung zu stellen. | |
Im [1][Frühjahr 2021] hatten Kaminski und Goes [2][Post von der Behörde] | |
aus Hannover erhalten. In dem Schreiben teilte der VS ihnen mit, dass über | |
sie eine „Informationsbeschaffung mit nachrichtlichendienstlichen Mitteln“ | |
erfolgt sei. Die Überwachung lief von 2007 bis 2013. Nach Paragraf 22, | |
Absatz 1 des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes müssen Betroffene | |
von einer geheimdienstlichen Überwachung unterrichtet werden, wenn diese | |
abgeschlossen ist. | |
Am 10. April 2021 ersuchten Kaminski und Goes über ihren Rechtsbeistand | |
Sven Adam aus Göttingen Auskunft zu den Vorgängen bei der Behörde. Sie | |
wollten wissen: Warum wurden sie beobachtet? Warum sammelte der | |
Geheimdienst Daten über sie? | |
Die Antwort erhielten sie kürzlich, fast neun Monate später. [3][Sie bleibt | |
allgemein.] Der VS sucht stets nach einer möglichen Gefährdung der | |
freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Als einzigen „tatsächlichen | |
Anhaltspunkt“ hierfür nennt der VS in seinem Antwortschreiben jedoch | |
Kaminskis und Goes’ parteipolitisches Engagement. „Das ist nicht | |
hinnehmbar“, sagt Kaminski der taz. Und Goes sagt kurz und knapp: | |
„Skandalös.“ | |
Wann, wie und warum sie beobachtet wurden, wollte die Behörde unter | |
Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut weder Kaminski noch Goes | |
gleich erklären. Das Schreiben deutet aber darauf hin, dass der VS | |
offenbar auch V-Leute im direkten Umfeld von Mitgliedern der Linken | |
einsetzte, um sie auszuforschen. Die Behörde bezieht sich in ihrer Antwort | |
nämlich auf „Paragraf 14 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6a“ des | |
Verfassungsschutzgesetzes und schreibt von einer „Inanspruchnahme von | |
Personen, deren planmäßig angelegte Zusammenarbeit mit der | |
Verfassungsschutzbehörde Dritten nicht bekannt ist (Vertrauenspersonen)“. | |
Ein weiterer Hinweis auf den Einsatz von V-Leuten findet sich an anderer | |
Stelle in dem Schreiben. Dort heißt es: „Neben biographischen Daten wurden | |
(…) weitere personenbezogene Daten“ erfasst, „über die keine Auskunft | |
erteilt werden kann, da einer Mitteilung Gründe nach § 30 Abs. 2 S. 1“ des | |
Verfassungsschutzgesetzes entgegenstünden. In dem Paragrafen ist unter | |
anderem festgeschrieben, dass weitere Auskünfte unterbleiben dürften, wenn | |
„die Interessen eines Dritten“ gefährdet seien und/oder die | |
„Auskunftserteilung Informationsquellen als auch Arbeitsweisen der | |
Verfassungsschutzbehörde“ offenlegen könnten. | |
Die Auskünfte sind „sehr schmallipig“ sagt Goes. Er ist wissenschaftlicher | |
Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut an der | |
[4][Georg-August-Universität in Göttingen] und seit kurzem | |
Kreisvorsitzender der Linken. | |
Bei Kaminski, die früher Landesgeschäftsführerin der Linken in | |
Niedersachsen war und heute Gewerkschaftssekretärin bei der Gewerkschaft | |
Erziehung und Wissenschaft in Hannover ist, findet sich eine Auflistung. | |
Zwanzig Einträge hat der Verfassungsschutz über sie vermerkt: Ihre | |
Kandidatur zur Landtagswahl 2012 beispielsweise, ihre Beteiligung am | |
Programmkonvent oder ihre Teilnahme an einer Kreismitgliederversammlung. | |
Nichts davon überrascht bei einer engagierten Politikerin. „Alles | |
öffentlich zugänglich“, sagt Kaminski und findet: „Hierfür bedarf es kei… | |
Geheimdiensts, das Geld wird woanders dringend gebraucht.“ | |
## Klage gegen den VS | |
Martina Renner, Obfrau der Linken im Innenausschuss des Bundestages, sagt | |
der taz: „Ein Geheimdienst, der mit Spitzeleinsatz erst Linkspartei/PDS und | |
später Die Linke traktiert, offenbart den politisch instrumentellen | |
Charakter dieser Behörde, ihre fehlende Bindung an geltendes Recht und die | |
Unmöglichkeit einer effektiven Kontrolle.“ | |
Update: Nach Veröffentlichung des Artikels am Donnerstag, äußerten sich | |
bekundeten die Bundesvorsitzenden der Linken Susanne Henning-Wellsow und | |
Janine Wissler nicht bloß ihre Solidarität für ihre beiden Mitglieder. | |
Henning-Wellsow betonte auch, dass „die Partei und ihre Mitglieder“ für | |
eine „demokratische und gerechte Gesellschaft“ streiten würden. Und sie | |
versicherte: „Wir werden uns als Partei von einer Geheimdienstbehörde, die | |
Beobachtungen von unseren Mitgliedern durchführt und Spitzel gegen sie | |
engagiert, nicht einschüchtern lassen“. | |
Der Verfassungsschutz sei eine „unkontrollierbare Behörde, die sich | |
Methoden annimmt, die jeglichen demokratischen Grundkompass vermissen | |
lassen“, erklärte Wissler. Denn „wenn linke demokratische | |
Politiker:innen aufgrund ihres parteipolitischen Engagements | |
bespitzelt werden und daraufhin Informationen darüber angelegt werden, wo | |
sie für und für welche Ämter sie kandidieren oder an welchen | |
Mitgliederversammlungen sie teilnehmen, dann zeigt sich“, dass „dieser | |
Überwachungsapparat kein Demokratieschützer“ sei, „sondern ein | |
antidemokratischer Verein, der politisch motiviert nach seinen eigenen | |
Gesetzen“ handele. Es wäre „höchste Zeit für die Auflösung des | |
Verfassungsschutzes“, sagte Wissler. | |
20 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Verfassungsschutz-blickt-nach-links/!5758856 | |
[2] /Beobachtung-durch-den-Verfassungsschutz/!5760341 | |
[3] /Verfassungsschutz-in-Niedersachsen/!5780438 | |
[4] https://www.uni-goettingen.de/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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