# taz.de -- Druck auf Klimaschützer: Staatsschutz geht gegen Fridays vor | |
> Fridays for Future protestiert friedlich für radikalen Klimaschutz. Doch | |
> die Bewegung sieht sich immer häufiger mit Repressionen konfrontiert. | |
Bild: Friedlicher Protest: Fridays for Future demonstrieren in Osnabrück | |
OSNABRÜCK taz | System change, not climate change: Wer dieser Forderung | |
nach Klimaschutz anhängt, ruft staatliche Skepsis auf den Plan. Was das | |
konkret bedeutet, hat ein Mitglied der Osnabrücker Ortsgruppe von Fridays | |
for Future (FFF) erlebt. Seither kämpft er mit den Folgen eines | |
Ermittlungseinsatzes. Klimaschützer*innen sehen darin einen staatlichen | |
Angriff auf die gesamte Umweltbewegung. | |
Am Morgen des 15. September 2021 um 7 Uhr stehen Staatsschutz und | |
Ordnungsamt vor der Tür seiner Osnabrücker WG. Aggressives Klopfen, | |
Taschenlampenkegel. Der Student, 22, schläft noch, ist in Unterhose. 30 | |
Minuten dauert die Durchsuchung. Papiere werden durchgesehen, der | |
Kleiderschrank, der Keller. „Ich war total überfordert“, sagt der | |
Betroffene der taz. Am Ende werden Handy und Laptop beschlagnahmt. Auf der | |
Wache werden Fotos gemacht, Fingerabdrücke genommen. | |
Es geht um eine vermeintliche Sachbeschädigung. Am 22. Juli 2021 war die | |
„Hasewelle“ des Osnabrücker Mode- und Sporthauses L&T, eine stehende | |
Indoor-Surfwelle, mit grüner Farbe eingefärbt worden, um auf die | |
Produktionsbedingungen in der Textilbranche aufmerksam zu machen. Das | |
FFF-Mitglied gerät durch eine Funkzellenabfrage in den Verdacht, der Täter | |
zu sein. | |
„Die haben mich stark als Verdächtigen behandelt“, sagt der FFFler. Schnell | |
wird klar, dass er ein Alibi hat, zum Tatzeitpunkt war er bei zwei | |
Freund*innen. Was nach der Durchsuchung bei einer von ihnen geschah, ärgert | |
ihn sehr: „Die Polizei ist zu ihr auf die Arbeit gefahren. Es tut mir total | |
leid, dass sie das durchmachen musste.“ Bei beiden Freund*innen habe die | |
Polizei versucht, ihre politische Orientierung herauszufinden. | |
## Verfassungsschutz warnt vor Unterwanderung | |
Niedersachsens Verfassungsschutzbericht 2020 warnt, dass „Linksextremisten“ | |
den Klimaschutz „für sich entdeckt haben und seitdem versuchen, die | |
Klimaschutzbewegung für ihre Interessen zu vereinnahmen“. Auch Fridays for | |
Future ist ins Visier von Bernhard Witthaut geraten, Niedersachsens | |
[1][Verfassungsschutzpräsident. FFF sei zwar „nichtextremistisch“], sei | |
„ohne linksextremistische Einflussnahme entstanden“, aber es gebe | |
„Linksextremisten in ihren Reihen“. | |
Seinen Laptop hat der FFFler bis heute nicht zurückbekommen. „Als Student | |
ist das ja mein Hauptarbeitsmittel“, sagt er. „Außerdem hat mir das fast | |
mein Praktikum zerstört, bei einer EU-Institution. Da musste ich natürlich | |
alles erklären.“ | |
Er leiht sich bei Freund*innen ein Telefon, einen Rechner. „Besonders | |
schlimm ist, dass ich mich nach diesem Eindringen in meine Privatsphäre in | |
meinem Zimmer nicht mehr wohlfühle. Zuweilen bin ich schweißgebadet | |
aufgewacht.“ Es ist also auch ein psychologischer Schaden entstanden. „Und | |
das Schlimme ist: Niemand wird dafür aufkommen.“ Sein Leben sei „temporär | |
total aus den Fugen geraten“. | |
Aufgrund eines Missverständnisses konnte sich die Osnabrücker Polizei | |
zunächst nicht zur Ermittlung äußern. | |
FFF Osnabrück sieht im Vorfall die Bestätigung eines Trends: „Wir sind | |
leider häufiger mit Repression gerade durch Polizei und Staatsschutz | |
konfrontiert“, erklärt die Gruppe der taz. Die Durchsuchung sei „eine | |
Einschüchterung“ sowie der Versuch, „mit Hilfe von beschlagnahmtem Handy | |
und Laptop Einsicht in unsere Strukturen zu erhalten“. Ihr „Glaube an den | |
Rechtsstaat“ gerate dadurch „arg ins Wanken“. | |
Volker Bajus, Landtagsabgeordneter der Grünen in Hannover und | |
Stadtratsmitglied in Osnabrück, überrascht das Vorgehen der Polizei: „Die | |
Information über eine Hausdurchsuchung bei einem Mitglied von Fridays for | |
Future in Osnabrück irritiert mich sehr. Als Abgeordneter im Landtag und im | |
Stadtrat habe ich häufig Kontakt mit den Aktiven und war auch selber bei | |
vielen Aktionen und Demos dabei. Die waren immer super gut organisiert, | |
diszipliniert und friedlich.“ | |
[2][In Osnabrücks Zivilgesellschaft hat die Ortsgruppe einen guten Ruf, ist | |
eng vernetzt mit Institutionen wie dem „Umweltforum Osnabrücker Land“], dem | |
Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge „Exil“ und dem „Aktionszentrum 3. | |
Welt“. Auch in der Stadtpolitik wird ihre Stimme gern gehört. Lennard Bogs, | |
einer der Sprecher der Gruppe, sitzt im Beirat des „Masterplan 100% | |
Klimaschutz“ der Stadt. | |
Einen Systemwechsel zu fordern, sei notwendig. „Der Kapitalismus hat uns | |
mit seinem Ressourcen [3][raubenden Wirtschaften in diese Krise | |
hineingebracht“, sagt er und verweist auf die 100-Tage-Forderungen von FFF] | |
an die neue Bundesregierung. „Für einen angemessenen Klimaschutz müssen | |
systematische Veränderungen erfolgen.“ | |
FFF kritisiert auch die Osnabrücker Stadtverwaltung, die die Gruppe | |
nachteilig behandeln würde. FFF wirft ihr vor, mit zweierlei Maß zu | |
handeln: „Die für uns geltenden Auflagen und Einschränkungen scheinen seit | |
Monaten für Querdenker*innen nicht zu gelten.“ | |
## Querdenker werden kaum behelligt | |
Eine Aktivistin, die im Sommer eine FFF-Demo anmeldete, habe ein | |
Bußgeldverfahren bekommen, „weil der Kundgebungsbereich scheinbar nicht | |
ausreichend gekennzeichnet wurde“. Auch sei die Polizeipräsenz bei | |
FFF-Veranstaltungen erhöht, „während Tausende von Coronaleugner*innen | |
ohne Maske, mit vergleichsweise wenig Polizeibegleitung und mit | |
rechtsextremen Handzeichen und Parolen durch ganz Osnabrück laufen können.“ | |
Sven Jürgensen, der Sprecher der Stadt, weist das zurück: „Die Auflagen | |
sind für alle dieselben.“ Die Stadt Osnabrück habe als „Allgemeinverfügu… | |
nicht zuletzt eine FFP2-Maskenpflicht für alle Versammlungen erlassen, auch | |
für die sogenannten „Montagsspaziergänger“ der Querdenker*innen. Bei | |
Verstößen habe die Polizei so „eine klare Handhabe, | |
Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten und Bußgelder zu veranlassen“. | |
Wer den Aufmarsch der Querdenker*innen am vergangenen Sonnabend in | |
Osnabrück mitverfolgt hat, kann die Kritik von FFF allerdings verstehen: Es | |
gab zwar viele demonstrative Herzchenluftballons. Aber es wurde eben auch | |
eine umgedrehte Deutschlandflagge mitgeführt; „Nordmänner. Sons of Odin“ | |
stand auf einer schwarzen Kapuzenjacke. Und auch Maskenlose brüllten | |
Parolen. | |
10 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Klimabewegung-und-Radikalitaet/!5818080 | |
[2] https://osnabrueck-alternativ.de/tag/fridays-for-future/ | |
[3] /Umwelthilfe-verklagt-Niedersachsen/!5818916 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Repression | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Osnabrück | |
Rhetorik | |
Verkehrswende | |
taz.gazete | |
Klima | |
Die Linke | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Lobby | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Forscher Philipp Schrögel über Untergangsrhetorik: „Szenarien, um Druck zu … | |
Apokalyptische Szenarien können wachrütteln und zugleich zu Hilflosigkeit | |
führen, sagt der Wissenschaftskommunikationsforscher Philipp Schrögel. | |
Verkehrswende in Osnabrück: Weniger Autos, mehr Straßenbahn | |
1960 hat Osnabrück seine Straßenbahn abgeschafft. Jetzt lässt die | |
niedersächsische Stadt prüfen, ob es sich lohnt, eine neue zu bauen. | |
Soziologin über Misstrauen und Politik: „Der jahrelange Tiefschlaf endet“ | |
Hat wachsendes Misstrauen gesellschaftlich sein Gutes? Darüber diskutiert | |
in Oldenburg (und online) nun unter anderem die Soziologin Gesa Lindemann. | |
Bundesregierung gegen EU-Taxonomie: Atom bremsen, Gas geben | |
Die Regierung lehnt die EU-Kriterien für nachhaltige Investitionen ab. | |
Kernkraft gehöre nicht da rein. Beim Erdgas hätte sie es aber gerne | |
lascher. | |
Verfassungsschutz-Beobachtung von Linken: Begründung? Fehlanzeige | |
Zwei Mitglieder der Linken in Niedersachsen wurden sechs Jahre lang vom | |
Verfassungsschutz beobachtet. Die Frage nach dem Warum bleibt | |
unbeantwortet. | |
Fridays-for-Future-Demo in Berlin: Na jetze Klimajerechtigkeit! | |
Atomkraft und Erdgas plötzlich wieder zukunftsträchtig? Vor der Vertretung | |
der EU-Kommission demonstriert Fridays for Future gegen Greenwashing. | |
Panne zum Start des Lobbyregisters: Falscher Lobbyist registriert | |
Seit Anfang des Jahres gibt es das Lobbyregister. Einer der ersten | |
Einträge: ein vermeintlicher Lobbyist von Fridays for Future. Wie kam es | |
dazu? | |
Schüler:innen stellen Zukunftsfragen: Die 4a will die Welt retten | |
Am „Frei Day“ ist keine Schule, stattdessen beschäftigen sich | |
Schüler:innen mit Fragen der Zukunft. Es geht um Klima, die Erde und das | |
eigene Dorf. | |
Radikalisierung der Klimabewegung: Zerstören, was zerstört | |
Ein Aktivist polarisiert mit der Prognose einer „grünen RAF“. Werden | |
Kohlebagger bald beschädigt statt nur blockiert? Einiges spricht dafür. |