# taz.de -- Linken-Chef NRW zur Lage der Partei: „Wir müssen mit den Leuten … | |
> Jules El-Khatib, neuer Landessprecher der NRW-Linken erläutert, wie er | |
> die am Boden liegende Linke einen und in die Landtagswahl führen will. | |
Bild: Jules El-Khatib will der erste NRW-Landessprecher der Linken sein, der ha… | |
taz: Herr El-Khatib, Sie sind neuer Landessprecher in Nordrhein-Westfalen, | |
dem größten Landesverband der Linken. Der tief gespalten ist. Auch wenn es | |
um die prominenteste Genossin Sahra Wagenknecht geht. Was halten Sie denn | |
persönlich von ihr? | |
Jules El-Khatib: Natürlich ist die Situation in der Partei aktuell sehr | |
polarisiert. Ich kann wenig zu ihr als Mensch sagen, dafür kenne ich sie zu | |
wenig. Beim Impfen aber auch bei Themen wie Migration haben wir | |
Differenzen. Die Kritik an der neoliberalen Politik oder an der ungleichen | |
Vermögensverteilung, die sie prominent und scharf angreift, haben wir | |
gemeinsam. | |
Beim Landesparteitag am Wochenende wurde Sahra Wagenknecht von der | |
Redner:innenliste gestrichen. Fanden Sie das richtig? | |
Ich fand es vor allem sehr überraschend. Die Idee im Landesvorstand war, | |
dass Sahra Wagenknecht sich mit den Delegierten in die Debatte begibt über | |
die Bundestagswahl. Aber es war offenbar gewünscht, dass wir uns auf die | |
Landtagswahl fokussieren. Und ich kann das nachvollziehen. | |
Ein Grund dafür, sie von der Redner:innenliste zu streichen, war wohl | |
eher die sehr skeptische Haltung zum Thema Impfen, die Sahra Wagenknecht | |
bei jeder Gelegenheit in der Öffentlichkeit vertritt. Welche Haltung haben | |
Sie zum Impfen? | |
Wir haben als Landesverband einen sehr klaren Beschluss zum Impfen, und | |
sind der Meinung, dass man alles tun sollte, damit Menschen sich impfen | |
lassen. Diesen Antrag habe ich mit einigen Genoss:inen gestellt, und der | |
Beschluss zum Impfen ist einstimmig im Landesvorstand gefallen. Ich bin | |
kein Experte was Impfstoffe angeht, aber ich vertraue dem, was ich dazu | |
bisher aus der Wissenschaft gelesen habe. Ich bin dafür, dass sich | |
möglichst alle impfen lassen und die Impfung auch schnellstmöglich Kindern | |
und allen Menschen weltweit zugänglich gemacht wird. Und dafür braucht es | |
auch die Aufhebung der Patente. | |
Auf Bundesebene fordert die Linke ja sogar eine Impfpflicht – Sie und ihr | |
Landesverband aber nicht? | |
Die Linke fordert vor allem aufsuchende Angebote und eine Impfpflicht als | |
letztes Mittel. Ich gehe in allen Punkten mit, aber in diesem einen bin ich | |
skeptisch. In NRW fordern wir keine Impfpflicht, sondern orientieren uns am | |
Bremer Modell, das auf Überzeugung und aufsuchende Angebote setzt. Das | |
finde ich richtig, auch aus persönlicher Erfahrung. Ich wohne in einem eher | |
prekären Stadtteil in Essen und habe in der vergangenen Woche allein drei | |
Menschen überzeugt, sich impfen zu lassen. | |
Wie denn? | |
Einfach im Gespräch. Das war in einem Kiosk, da waren der Mitarbeiter, | |
seine Freundin und ein Kunde. Alle drei hatten Vorurteile aus sozialen | |
Medien. Ich habe mit ihnen diskutiert und am Tag danach sagte er mir, sie | |
hätten sich jetzt doch Impftermine besorgt. Ich glaube, wir müssen stärker | |
in die Stadtteile gehen und mit den Leuten reden. | |
Aber auch in Bremen sind 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ungeimpft. | |
Das stimmt. Aber das ist deutlich weniger als in europäischen Ländern, wo | |
es eine Impfpflicht gibt. | |
Differenzen gibt es in ihrem Landesverband auch über die Migrationspolitik. | |
Auch hier vertritt der Flügel um Wagenknecht eine eher restriktive Haltung. | |
In unserem Landesverband sind wir uns einig, wenn es darum geht, dass | |
Menschen in Not geholfen werden muss, dass wir Rassismus bekämpfen müssen | |
und Asylrechtsverschärfungen ablehnen. Zu 95 Prozent sind wir uns also | |
einig. | |
Aber zu 5 Prozent eben nicht, und das sorgt für Zerwürfnisse. | |
Zur Frage der Offenen Grenzen haben wir unterschiedliche Positionen. Ich | |
habe in meiner Bewerbungsrede zum Landessprecher gesagt, dass soziale | |
Sicherheit für mich bedeutet, dass ich mich sowohl für höhere Löhne und | |
Renten einsetze als auch gegen die Diskriminierung von Menschen aufgrund | |
ihrer sexuellen Orientierung, aufgrund ihrer Religion oder Herkunft. Denn | |
wenn Menschen sich unsicher fühlen, wenn sie diskriminiert werden, dann | |
geht das oft einher mit Armut. Davon sind Minderheiten in diesem Land | |
deutlich stärker betroffen, das zeigen auch alle Studien. Der Kampf um | |
soziale Gerechtigkeit ist auch ein Kampf gegen Diskriminierung. | |
Sind Sie als Sohn einer Deutschen und eines Palästinensers ebenfalls von | |
Diskriminierung betroffen? | |
Also, ich würde schon sagen, dass ich wahrscheinlich häufiger in Kontrollen | |
gerate, als die meisten anderen Menschen in der Politik. Es gab vor einigen | |
Jahren einen Abend, da war ich mit einem Freund mit dem Auto unterwegs, da | |
wurden wir dreimal von der Polizei angehalten. Und mein Nachname sorgt | |
nicht überall für Begeisterungsstürme. Ich erhalte auch regelmäßig | |
Nachrichten, dass ich mich als Ausländer nicht zu deutscher Politik äußern | |
sollte! Ich habe mich daran schon gewöhnt, aber man sollte sich nicht daran | |
gewöhnen müssen. | |
Die Linke in NRW steht aktuell bei 3 Prozent. Nächstes Jahr ist | |
Landtagswahl. Wie wollen sie es schaffen, die Linke in den Landtag zu | |
führen? | |
Ich glaube, entscheidend ist, dass die Partei geschlossen in die Wahl geht. | |
Genau das ist der Punkt. Wie soll das gelingen? | |
Indem wir eine Liste aufstellen, die die Breite der Partei repräsentiert, | |
auf der sich alle Flügel wiederfinden. Wenn wir so eine Liste der Vielfalt | |
haben, können wir auch alle an einem Strang ziehen. Darüber hinaus wollen | |
Nina Eumann, unsere Landessprecherin, und ich möglichst alle 53 | |
Kreisverbände aufsuchen und hören, was die Wünsche und Fragen der Basis | |
sind. | |
Auf welche Themen will die Linke setzen? | |
Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist ein großes Thema auch im Zuge der | |
Deindustrialisierung im Ruhrgebiet. Wir wollen uns für ein anderes | |
Bildungssystem einsetzen, zum Beispiel für eine Schule für alle. Im Bereich | |
Verkehrspolitik, wo man in NRW sehr stark auf Autobahnen setzt, wollen wir | |
unseren Fokus auf den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und eine Stärkung | |
des Fahrradverkehrs legen. Und wir setzen uns gegen Gentrifizierung ein. | |
Die SPD hat immer versprochen, es wird im sozialen Bereich besser. Aber das | |
glauben viele Menschen nicht mehr. | |
Aber der Linken trauen die Menschen es doch erst recht nicht zu, für | |
Verbesserungen zu sorgen. Die weiß ja noch nicht mal, ob sie regieren will | |
oder nicht. | |
Wir haben da in NRW eine klare Aussage: Wir sind offen für eine Regierung. | |
Und wir haben ja rote Haltelinien: nämlich keine Privatisierungen, kein | |
Sozialabbau und keine Abschiebungen. | |
Gerade im letzten Punkt machen Sie es möglichen Koalitionspartnern sehr | |
leicht diese zu übertreten. Die Ampel auf Bundesebene hat eine große | |
Rückführungsoffensive angekündigt. | |
Das finde ich schlimm. Das ist die gleiche Wortwahl wie bei der AfD. Wir | |
müssen über einen Winterabschiebestopp reden, über einen Abschiebestopp für | |
Menschen in Ausbildung, in Arbeit. Wenn man will, kann man eigentlich jede | |
Abschiebung verhindern. Da gibt es auch bei den Grünen und bei der SPD | |
viele Menschen, die das wollen. Und wir sagen deutlich, dass man sich | |
entscheiden muss zwischen einer Regierung des sozialen und des | |
humanistischen Gedankenguts oder neoliberalem Stillstand. Wir werden auch | |
darüber diskutieren, welche unsere Mindestanforderungen an eine Regierung | |
sind. | |
Aber dazu müsste die Linke es erst einmal in den Landtag schaffen. Wie | |
überzeugen Sie Leute, die sich abgehängt fühlen, die noch nicht einmal zur | |
Wahl gehen? | |
Politik wirkt oft abgehoben und nicht nahbar. Wir setzen deshalb stark auf | |
direkte Gespräche, auf den Haustürwahlkampf und auf Community-Organizing. | |
In den Stadtteilen, wo wir als Linke Angebote machen, zum Beispiel | |
Sozialberatung anbieten, da haben wir auch bessere Wahlergebnisse. Es aber | |
wird eine langfristige Aufgabe sein, die Leute wieder von uns zu | |
überzeugen. Noch mehr Menschen müssen das Gefühl haben: Die Linke hilft! | |
10 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
## TAGS | |
Die Linke | |
Nordrhein-Westfalen-Wahl 2022 | |
Janine Wissler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Linksparteitag in Nordrhein-Westfalen: Linke übt Bewegung | |
Im größten Bundesland NRW träumt die Linkspartei vom Wiedereinzug in den | |
Landtag. Sie hofft dabei auf die Unterstützung sozialer Bewegungen. |