| # taz.de -- Rohingya-Vertreibungen vor Gericht: Warten auf Gerechtigkeit | |
| > Myanmars Junta zweifelt im Völkermordverfahren die Zuständigkeit des | |
| > Internationalen Gerichtshofs an. Die Untergrundregierung gibt sich | |
| > konzilianter. | |
| Bild: Warten auf die Nahrungsmittelvergabe: Rohingya in einem Lager in Banglade… | |
| Berlin taz | Der Streit, wer Myanmar vor dem Internationalen Gerichtshof in | |
| Den Haag vertreten darf, überschattet die juristische Aufarbeitung der | |
| Vertreibung von mindestens 740.000 Rohingya im Jahr 2017. Überschattet wird | |
| damit auch die fortgesetzte Rechtlosigkeit der muslimischen Rohingya im | |
| mehrheitlich buddhistischen Myanmar sowie das Elend der rund eine Million | |
| Roghingya-Flüchtlinge im benachbarten Bangladesch. | |
| Seit diesem Montag vertreten zwei mit westlichen Sanktionen belegte | |
| Juntarepräsentanten, der Ex-Offizier und Minister für internationale | |
| Kooperation [1][Ko Ko Hlaing] und die amtierende Generalstaatsanwältin | |
| Thida Oo, das Land bei den Anhörungen vor dem höchsten UN-Gericht in Den | |
| Haag. Sie lösen die frühere defacto Regierungschefin und Außenministerin | |
| Aung San Suu Kyi als Vertreterin ihres Landes in Den Haag ab. | |
| Ausgebootet ist damit auch der [2][UN-Botschafter Kyaw Moe Tun]. Der war | |
| noch von der früheren gewählten Regierung ernannt worden. Seit dem Putsch | |
| 2021 vertritt er die im Untergrund agierende Gegenregierung (NUG), die ihn | |
| kürzlich zu ihrem Vertreter in Den Haag erklärt hatte. Er war im Dezember | |
| von der UN-Vollversammlung auf seinem UN-Posten bestätigt, womit dort der | |
| Kandidat der Junta abgelehnt worden war. | |
| Bei den Anhörungen in dieser Woche in Den Haag geht um prozedurale Einwände | |
| Myanmars gegen das Verfahren wegen Völkermordes. Das war vom | |
| westafrikanischen Gambia im November 2019 im Namen der Organisation für | |
| Islamische Kooperation angestrengt worden. | |
| ## Darf Gambia überhaupt Myanmar verklagen? | |
| Gambias Klage basiert auf einem UN-Bericht von 2018, in dem Myanmar | |
| Völkermord an den Rohingya, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die | |
| Menschlichkeit vorgeworfen wurden. Nach einem Rebellenangriff waren ab | |
| August 2017 Hunderttausende Rohingya von Militär und Milizen außer Landes | |
| getrieben, ihre Dörfer angezündet, Frauen vergewaltigt und Männer | |
| massakriert worden. Der UN-Bericht nennt den damaligen Armeechef und | |
| heutigen Juntaführer, Min Aung Hlaing, und fünf Generäle als | |
| Hauptverantwortliche. | |
| Kurz vor dem Putsch 2021 hatte die zivile Regierung von Aung San Suu Kiy | |
| Einspruch gegen die Zuständigkeit des Gerichts wie gegen Gambias | |
| Klageberechtigung erhoben. Am Montag argumentierte ein Anwalt Myanmars, das | |
| westafrikanische Gambia könne nicht stellvertretend für eine nicht | |
| klageberechtigte Organisation klagen, die aber alle Kosten des Verfahrens | |
| trage. | |
| Noch im Dezember 2019 hatte Aung San Suu Kyi persönlich in Den Haag das | |
| Vorgehen von Myanmars Militär verteidigt. Die einstige Freiheitsikone | |
| beschädigte damit ihren im Westen ohnehin schon angekratzten guten Ruf | |
| weiter. | |
| Die Friedensnobelpreisträgerin sieht sich als politische Erbin ihres | |
| Vaters, der das damalige Birma zur Unabhängigkeit geführt und dessen | |
| Militär gegründet hatte. Doch der Putsch vom 1. Februar 2021 entmachtete | |
| Aung San Suu Kyi, die seitdem ohne Kontakt zur Außenwelt unter Hausarrest | |
| steht. | |
| ## Gegenregierung teilt Aung San Suu Kyis Bedenken nicht mehr | |
| Der bisher international nicht anerkannten Militärjunta, die seit dem | |
| Putsch für die Tötung von mehr als 1.500 Zivilisten verantwortlich gemacht | |
| wird, steht die ebenfalls international nicht anerkannte sogenannte | |
| [3][Nationale Einheitsregierung (NUG)] entgegen. Die besteht zum Großteil | |
| aus durch den Putsch entmachteten Politikern von Aung San Suu Kyis Partei | |
| Nationale Liga für Demokratie. | |
| Der NUG steht symbolisch zwar Aung San Suu Kyi vor. Doch hat die NUG jetzt | |
| zum ersten Jahrestag des Putsches die Bedenken von deren früheren Regierung | |
| gegen das Völkermordverfahren in Den Haag zurückgenommen. | |
| Der Hintergrund ist, dass im gegenwärtigen Krieg in Myanmar die Opposition | |
| selbst mit einer brualen Politik der verbrannten Erde des Militärs | |
| konfrontiert ist, die dem Vorgehen gegenüber den Rohingya vergleichbar ist | |
| und dessen damalige Rechtfertigungen Lügen straft. Viele Oppositionelle | |
| bedauern heute, dass sie sich damals nicht stärker für die Rohingya | |
| eingesetzt haben. | |
| „Das Leid der Rohingya und die Kriegsverbrechen des Militärs gehen weiter“, | |
| erklärte die NUG-Außenministerin Zin Mar Aung am Montag bei einer | |
| Pressekonferenz niederländischer Solidaritätsgruppen unmittelbar vor Beginn | |
| der Anhörungen in Den Haag. „Wer Myanmar vor Gericht vertritt, sollte das | |
| Mandat der Bevölkerung haben. Die Junta hat nur die Macht ihrer Waffen und | |
| sät Hass.“ | |
| Die Vorsitzende des Rohgingya Council Europe, die im deutschen Düren | |
| lebende Kinderärztin Ambia Perveen, sagte bei der Pressekonferenz: „Der | |
| Putsch verlängert das Leid der Rohingya.“ Von den in Myanmar verbliebenen | |
| 600.000 Rohingya lebten 120.000 in Lagern, wo Kinder kaum | |
| Bildungsmöglichkeiten hätten. | |
| ## EU verschärft Sanktionen | |
| Das Gericht hatte Myanmar aufgetragen, unmittelbar Schritte gegen | |
| Völkermord zu unternehmen und darüber alle sechs Monate Bericht zu | |
| erstatten. Doch bisher sind die Berichte nicht veröffentlicht und noch | |
| keine geänderte Politik festgestellt worden, | |
| Kritiker hoffen im Lauf der Woche auch auf eine Begründung des Gerichts, | |
| warum überhaupt die Junta das Land in Den Haag vertreten darf. Denn dies | |
| dürften die Militärs als Schritt zur Anerkennung ihrer Regierung werden. Zu | |
| Beginn der Anhörung am Montagnachmittag erklärte die Vorsitzende Richterin | |
| Joan Donoghue jedoch, damit sei keine formale Anerkennung verbunden. Das | |
| Verfahren selbst dürfte sich noch Jahre hinziehen, sofern die Bedenken | |
| Myanmar vom Gericht nicht anerkannt werden. | |
| Die EU-Außenminister beschlossen am Montag in Brüssel, 22 weitere | |
| Verantwortliche der Junta und vier militärnahe Unternehmen in Myanmar auf | |
| die Sanktionsliste zu setzen. Insgesamt sind nun 65 Menschen und zehn | |
| Firmen von Einreiseverboten und Kontensperrungen betroffen. Zudem gilt ein | |
| Waffenembargo. Zuvor hatten bereits die USA, Großbritannien und Kanada ihre | |
| Sanktionen verschärft. | |
| 22 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sven Hansen | |
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