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# taz.de -- Porträt des Labels Mangel Records: Einfach und irre produktiv
> Mangel Records ist ein junges Label, gut vernetzt im musikalischen
> Underground von Berlin. Da passiert viel Spannendes in der Musik.
Bild: Denes Bieberich, Anne Sophie Lohmann, Martin Liepelt und Oskar Militzer s…
Wer glaubt, in der Coronazeit ginge es im musikalischen Underground Berlins
etwas ruhiger zu, der sieht sich getäuscht. Die besten Gegenbeweise, die
man dafür finden kann, sitzen einem mit Denes Bieberich, Anne-Sophie
Lohmann, Oskar Militzer und Martin Leibelt an einem trüben Januartag in
einem Café in Kreuzberg gegenüber. Diese Viererbande betreibt seit 2020
zusammen das [1][Kassetten- und Plattenlabel Mangel Records.] In der kurzen
Zeit des Bestehens hat man es bereits auf elf Releases gebracht,
überwiegend Musik von jungen, frischen Postpunk-Bands.
Doch darüber hinaus wirken alle vier auch selbst noch in
unterschiedlichsten Musikprojekten mit. So bilden Bieberich und Lohmann
gemeinsam das [2][Minimal-Synth-Duo Ostseetraum], sie betreiben zudem das
etwas [3][gitarrenlastigere Projekt Klapper]. Und gemeinsam mit Militzer
machen sie unter dem [4][Namen Liiek] Musik. Auch mit dieser Band waren sie
während der Coronazeit aktiv, Anfang Februar erscheint das zweite
Liiek-Album, „Deep Pore“, das irgendwo zwischen den Polen Postpunk à la
Wire/Gang Of Four und Post-Hardcore der Washingtoner Schule gut vor sich
hingroovt.
Die 80er-Szene in Washington D.C. und das wegweisende Dischord-Label aus
der US-Hauptstadt waren auch für die Labelgründung 2020 wichtige
Impulsgeber: „Wir betreiben Mangel Records aus einem
Do-it-yourself-Gedanken heraus“, erklärt Bieberich, „unser
Selbstverständnis ist es, dass man unsere Veröffentlichungen günstig
downloaden oder auf Tonträger kaufen kann. Auch die Eintrittspreise bei
Konzerten sollen erschwinglich sein. Dieser Anspruch eint meines Erachtens
die gesamte Szene, die sich in den vergangenen Jahren in Berlin gebildet
hat.“
## Ein florierender Zirkel
In der Tat ist rund um Labels wie Mangel Records, [5][Static Age Musik],
[6][Billo Records] und [7][Adagio 830] ein florierender Zirkel an
Synth-/Minimal-/Postpunk-Gruppen entstanden, wie es ihn in Berlin und in
Deutschland Anfang der Achtziger schon einmal gab. Auch damals fand diese
Musik weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit statt, weil nur die
leicht bekömmlicheren NDW-Acts es in den Mainstream schafften. Bis heute
werden reihenweise Bands aus dieser Zeit wiederentdeckt.
Was die heutigen Bands mit der damaligen Szene verbindet: die einfachen
Mittel und die irre Produktivität. Um ein Revival geht es ihnen aber nicht
– eher zeigen Bands und Projekte wie Liiek – vom englischen „leak“
abgeleitet – oder Double Job (das jüngste Mangel-Release), dass Punk,
Postpunk und Noise auch heute subversives Potenzial innewohnen kann. Weil
viele der Bands in einem Studio in der Allee der Kosmonauten aufnehmen,
firmiert der Berliner Kreis übrigens auch als „Allee-der-Kosmonauten-Crew“.
Bieberich, Lohmann, Militzer und Leibelt sind schon länger in der Szene
aktiv. Sie gehören dem [8][Kollektiv Flennen] an, das sich 2014 als
7-köpfige Gruppe gründete. Flennen veröffentlicht ein Fanzine gleichen
Namens, gibt Tape-Kompilationen heraus und organisiert Konzerte. Unter dem
Namen Mangel Records schlossen sich die vier vor zwei Jahren in einem
kleineren Kreis zusammen – auch weil in einer minimierten Gruppe die
Prozesse von der Idee bis zum Release nicht so viel Zeit in Anspruch
nehmen.
## Gemeinsame Grundhaltung
Zwar gibt es Vorlieben für bestimmte Genres wie die genannten, allerdings
will die Mangel-Crew sich nicht auf bestimmte Stile festlegen. So ist mit
dem zweiten Album der Berliner Band Stinkhole (die sich bedauerlicherweise
nach den Gegebenheiten in ihrem Proberaum benannt hat) auch räudiger
Noise-Hardcore auf ihrem Label erschienen, das Einmannprojekt Das Kinn aus
Frankfurt/Main wiederum ist musikalisch irgendwo zwischen Falco und DAF zu
Hause. In diesem Jahr sind noch Alben von Die Verlierer (mit Mitgliedern
von Chuckamuck) und einer Band aus dem Umfeld der Cincinnati-Punks The
Serfs geplant. „Die Musik muss uns allen gefallen, das ist eigentlich die
einzige Voraussetzung für eine Veröffentlichung“, sagt Martin Leibelt.
Mindestens genauso wichtig wie die Musik ist es, dass man mit den Bands
eine gemeinsame Grundhaltung teilt. „Es gibt eine Überzeugung, wie man ein
Label betreiben und wie man Musik veröffentlichen will“, sagt Militzer.
„Zum Beispiel, dass man keine Kompromisse eingeht, um sich dem
Massengeschmack oder den Multiplikatoren von Radiosendern anzubiedern. Es
ist gut, wenn es mit den Bands eine solche gemeinsame Basis gibt und man
das nicht erklären muss.“
Für Lohmann ist die Vernetzung das Entscheidende: „Das Miteinander und der
Austausch sind wichtig. Es geht darum, kollektiv etwas auf die Beine zu
stellen. An einem Wochenende veranstalten wir Konzerte für Gruppen aus
Leipzig oder Dresden, und zwei Wochen später spielen wir mit unseren Bands
dort.“
Auch Kooperationen mit anderen Labels – zum Beispiel [9][rds records aus
Hamburg] –, fußen auf solchen gemeinsamen Überzeugungen. Auffällig ist,
dass die Analogmedien für Mangel Records eine große Bedeutung haben. Sie
veröffentlichen Alben auch im Kassettenformat, unter anderem deshalb, weil
es sehr einfach ist, sie in kleinen Stückzahlen selbst zu produzieren.
Manchmal passe das Medium Kassette aber auch einfach sehr gut zu der
minimalistischen Musik – bei dem Ostseetraum-Album sei dies etwa so
gewesen.
## Vinyl und Kasseten
Überraschend vielleicht, dass das Label genauso viel Vinyl und Kassetten
absetzt, wie es Downloads verkauft, auch Kassetten bringen sie teilweise
mehr als hundertmal an den Mann oder die Frau. Selbst aus Übersee werden
sie geordert: „Das ist schon irre, da bezahlen Leute 10 Dollar Porto, um
eine Kassette zu kaufen, die 6 Dollar kostet“, sagt Bieberich. Bislang hat
sich Mangel dagegen entschieden, Musik beim Streaming-Giganten Spotify
anzubieten. Auch da könnte man wohl sagen, dass diese Musik schlichtweg
nicht gut dorthin passt und die Streams für die kleinen
Autodidakten-Punkbands wohl ohnehin nur Marginalbeträge abwerfen würden.
Mehr als schade ist es, dass diese Szene in der deutschen
Musiköffentlichkeit kaum vorkommt. Es spricht für sich, dass einige Bands
wie etwa Benzin (ein weiteres Projekt, bei dem Bieberich und Lohmann
mitwirken) auf dem internationalen Onlinesender NTS schon zu hören waren,
während deutsche Sender mit Ausnahme von Byte FM die Berliner Postpunks
gekonnt ignoriert haben. Aber vielleicht wird es sich auch hier noch
herumsprechen, dass in Berlin in diesem Spektrum gerade etwas Spannendes
passiert.
31 Jan 2022
## LINKS
[1] https://mangelrecords.bandcamp.com/
[2] https://mangelrecords.bandcamp.com/album/das-gute-leben-ist-schlecht
[3] https://mangelrecords.bandcamp.com/album/s-t-2
[4] https://liiek.bandcamp.com/album/deep-pore
[5] https://staticagemusik.bandcamp.com/
[6] https://billotontraeger.bandcamp.com/
[7] https://www.adagio830.de/
[8] https://flennen.bandcamp.com/
[9] http://rds%20records%20aus%20Hamburg
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Musik
Experimentelle Musik
Label
Pop-Underground
Noise
Postpunk
Punk
Köln
Musik
Musik
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