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# taz.de -- Berliner Trio Acht Eimer Hühnerherzen: Alles überall ja gleich
> Wehmut, Widerstand und Wanderlust: Das Trio Acht Eimer Hühnerherzen
> verhandelt auf seinem Album „musik“ die Provinz rund um Berlin.
Bild: Acht Eimer Hühnerherzen unterwegs
Zum Beispiel Königs Wusterhausen, Apocalypse Vega war da erst vorgestern,
in der suburbanen Schlafstadt, südöstlich von Berlin gelegen, im Landkreis
Dahme-Spreewald. Die Sängerin und Gitarristin der Berliner Gruppe Acht
Eimer Hühnerherzen ist zugeschaltet im digitalen Chat aus dem bandeigenen
Yoga-Retreat in Kreuzberg. Sie glaubt: Auch in Königs Wusterhausen werden
die Mieten bald teuer, „jedenfalls da, wo Seen in der Nähe sind.“
„Für meine Band bin ich ein Zoni / Und sie für mich ein Kombinat“, mit
dieser Zeile startet „musik“, das dritte Album von Acht Eimer Hühnerherzen,
dem Berliner Punk-Trio, in dem Apocalypse Vega singt. Der schlichte
Albumtitel „musik“ folgt auf den schlichten Albumtitel „Album“ (2020).
Wieder nimmt die Musik von „musik“ die Hörer*innen mit in alltägliche
Tristessen zwischen Provinz und Metropole, in gesamtdeutsches
Ost-Bewusstsein und toxische Männlichkeiten, und wieder ist es erschreckend
eingängiger Pop-Rock ohne Metal, irgendwo zwischen Die Ärzte, Wir sind
Helden und Element of Crime: Nylon-Punk nennen die drei KünstlerInnen ihren
Sound.
Apocalypse Vega, Herr Bottrop und Bene Diktator, so haben sich die
Mitglieder von Acht Eimer Hühnerherzen standesgemäße Pseudonyme zugelegt.
So oder so ähnlich wird Punk definiert in einem
Linksextremismus-Erklärcomic der Bundeszentrale für politische Bildung. In
Wahrheit sind es bloß drei Kreuzberger Gestalten mit vermutlich irgendwie
stadtteiltypisch rauer Zärtlichkeit.
Die Gründungsmomente der Gruppe liegen geografisch eng zwischen der
Oberbaumbrücke und Kunsthaus Bethanien in Kreuzberg – beim Pogo im
Punkladen „Trickster“ und beim Tischtennis nach der Party fanden sie 2018
zusammen und probierten mal aus, zusammen Musik machen.
## Immer Platz für Realscheiße
Apocalypse Vega ist Künstlerin, Bene Diktator Schlagzeuger der Berliner
Chanson-Punkband [1][The Incredible Herrengedeck.] Herr Bottrop alias
Johnny Bottrop alias Jacho, gut zwei Jahrzehnte älter, ist zu der Zeit
schon Untergrundlegende, er spielt seit den Neunzigern bei den Punk-Größen
Terrorgruppe und The Bottrops – die waren wie Acht Eimer Hühnerherzen
Deutschpunk-Gruppen mit anarchischem Humor, der immer Platz hat für
Realscheiße.
„Aggropop“ nannte sich das damals. Auch der Hang zum exklusiven Genre ist
geblieben. „Wir fühlen uns schon als Pioniere“, sagt Herr Bottrop,
„Nylon-Pioniere.“ Das Nylon kommt von den Saiten: Apocalypse Vega spielt
Akustikgitarre, Herr Bottrop akustischen Bass. Eine Wandergitarrenband,
könne man auch sagen, sagt der Bassist.
Und gewandert wird sowieso: Der erste heimliche Hit der Gruppe hieß
„Eisenhüttenstadt“: „Du warst in Bern und Caracas / Honduras, La Paz und
auf dem Mars /Außerdem in Sankt Tropez / Und wo war ich, in Falkensee / Bei
Spandau“ – beste Fontane-Distanzen in der Brandenburger Mark also:
Rathenow, [2][Neuruppin], im aktuellen Opener „Zoni“ kommen noch die
Kleinstädte Grimma und Bitterfeld hinzu, mehrere Tagesmärsche entfernt von
der Metropole. Bottrop ja sowieso.
„Wir haben schon manchmal Disputationen im Proberaum, wenn ich mit meinem
US-amerikanischen Coca-Cola-Rock’n’Roll-Feeling gegen Apocalypse Vegas
russische Moderne antrete“, sagt Herr Bottrop. „Kolchosenmusik nennst du
das immer“, antwortet Apocalypse Vega. „Da steht schon immer West gegen
Ost.“ „Und ich bin die Schweiz, nur leider nicht so reich“, ergänzt Bene
Diktator. Sprüche, die sich drei Freund*innen zwischen Boomer und
gealtertem Millennial beim Abhängen so drücken. Ihre Lieder sind
glücklicherweise amüsanter – und bei aller Eingängigkeit in Text und Musik
komplex.
## Rewe, KiK-Markt, Opel Astra.
Königs Wusterhausen also, die Heimat von Apocalypse Vega. Und das
Ruhrgebiet, wo Herr Bottrop herkommt. Und Bene Diktator ist zwar kein
Eidgenosse, kommt immerhin aber aus der Nachbarschaft: Auch der
Schwarzwald-Baar-Kreis kriegt seinen Auftritt im neuen Stück „Jetzt auch in
Berlin“. Rewe, KiK-Markt, Opel Astra. Alles überall ja gleich – kollektive
Provinzerfahrungen, die natürlich da münden, wo auch die drei von Acht
Eimer Hühnerherzen gelandet sind: in Berlin. „Unser Deutschlandlied“ nennt
Bene Diktator den Song.
Und weil Deutschland nicht zu haben ist ohne Nazis, Gentrifizierung und
Dreckswetter, handeln diese 15 Hits eben auch davon. Es liegt Wehmut über
dem Sound, Widerstand und Witz. Das meiste kann man als
Schrammelpunker*in schließlich doch irgendwie mit Humor betrachten, vor
allem, wenn man, wie Apocalypse Vega im Track „(Durch meine viel zu große)
Brille (kann ich dich jetzt auch nicht mehr sehen)“ singt, durch eine viel
zu große Brille blickt.
Eine Grenze gibt es allerdings, und die verläuft vertikal über das
Schallloch: „Wir verachten Westerngitarren. Wir sind total vorurteilsfrei,
aber wir haben eine große Westerngitarrenverachtung in unseren Herzen“,
sagt Herr Bottrop. Oberbaumbrückenmusikant, beware!
6 Apr 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Steffen Greiner
## TAGS
Punk
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