# taz.de -- Neues Album von US-Band Protomartyr: Bedrohung liegt in der Luft | |
> Die Band Protomartyr bringt ihr Album „Ultimate Success Today“ heraus – | |
> und zeichnet mit angejazzten Postpunk ein düsteres Bild der USA. | |
Bild: Sieht nicht gerade nach einem freudvollen Mahl aus: Protomartyr mit Joe C… | |
Detroit kann ein deprimierender Ort sein. Zwar erzählt die | |
wiederauferstandene Downtown der Midwest-Metropole mit ihren Glasfassaden | |
und ihren blitzblanken Plätzen heute die Geschichte des Neuaufbaus, aber | |
der Frieden wirkt trügerisch. Die soziale Spannung und Spaltung, das | |
Brodeln, die latente Aggression sind weiter greifbar. Nicht nur bei den | |
zahlreichen, oft schwarzen Obdachlosen, sondern auch bei den Jugendlichen | |
aus den ärmeren Schichten und den Arbeitslosen. | |
Joe Casey, Sänger der Band Protomartyr, hat sein Leben in Detroit | |
verbracht. Caseys Verse, oft vorgetragen mit tiefem, unterkühltem Timbre, | |
erfassen eine unheilvolle Stimmung auf den Straßen; die düsteren, wütenden | |
Klänge seiner Band kommen daher wie der Soundtrack zum moralischen Verfall | |
und Niedergang der USA. | |
Mit „Ultimate Success Today“ erscheint nun das fünfte Album der Band aus | |
Michigan. Das Quintett gilt dabei in den Staaten schon lange als eine der | |
wichtigsten Gitarrenbands; so soll Iggy Pop, noch so ein Sohn Detroits, die | |
Gruppe zur „best band we’ve got in America right now“ erkoren haben. | |
Damit läge er nicht ganz falsch. Denn zum einen haben Protomartyr mit Casey | |
einen Sänger, dem es exzellent in Worte zu fassen gelingt, wie Amerika | |
gerade vor die Hunde geht. „Michigan Hammers“ etwa handelt von den sozialen | |
Unterschieden im Bundesstaat, darin dichtet er in seinem typisch | |
elliptischen Stil: „Dignity or toil / Syndicate or gang / Rose & thorn / | |
Not all of them on pills / chant from the end of the bar: / Being reborn in | |
this soil, in this ground“. | |
## Anspruchsvolle Texte | |
Casey gleicht den eigenen Gemütszustand oft ab mit der merkwürdig | |
bedrohlichen Stimmung, die in der Luft liegt. „Self doubt is a stalking | |
fiend / Narcissism is a killer / That and no healthcare / Dumb aphorist | |
embrace obscurants / and write in ogham for your final lines“, heißt es | |
etwa in „The Aphorist“. | |
Es sind sehr offene, anspruchsvolle Texte voller Anspielungen, hier zum | |
Beispiel auf die Selbstherrlichkeit Trumps, auf das US-Gesundheitssystem | |
(fast wirkt es, als seien die Songs nicht schon lange vor Corona | |
aufgenommen worden), auf die Sprachlosigkeit, die sich aktuell unter | |
progressiven Amerikanern breitmacht. | |
Zum anderen klingt auch die Musik frisch, eigenständig, überraschend: Die | |
Energie von Hardcore kommt bei Protomartyr zusammen mit dem | |
Früh-Siebziger-Protopunk à la Velvet Underground und Postpunk-Bands wie | |
Pere Ubu, auch mit Manchester-Größen wie Joy Division werden sie | |
verglichen. Casey hat die Ähnlichkeiten im Sound in einem Interview mal | |
darauf zurückgeführt, dass sowohl Nordengland als auch der mittlere Westen | |
Industrieregionen seien. | |
Aber vielleicht ist es erst die Jazz-Note, durch die sich „Ultimate Success | |
Today“ deutlich abhebt von anderen Bands dieser Genres. Es hat sich | |
gelohnt, die improvisationserprobten Jemeel Moondoc (Altsaxofon), Izaak | |
Mills (Bassklarinette, Saxofon, Flöte) und Fred Lonberg-Holm (Violoncello) | |
zu den Aufnahmen an Bord zu holen. Oft schleichen sich Bläser und Streicher | |
fast unbemerkt in die Songs ein und geben ihnen genau jene Restwürze, die | |
noch fehlte. So etwa bei der ersten Single „Processed By The Boys“, die | |
The-Clash-mäßig daherkommt und bei der das Saxofon im Mittelteil für den | |
swingenden Unterton sorgt. | |
## Hierzulande wenig bekannt | |
Oder in „Day Without End“, wo die Improvisationsteile das hintergründige | |
Rumoren bilden, das dem Stück Spannung verleiht. Das alles sorgt dafür, | |
dass „Ultimate Success Today“ zu den bislang interessantesten Alben des | |
Jahres gehört. | |
Während gerade die elektronische Szene Detroits hierzulande einigermaßen | |
bekannt ist, blieb die Punk-/Postpunk-/Hardcore-Szene jüngerer Jahre | |
weitestgehend unbemerkt. Dabei gab und gibt es mit Tyvek, Ritual Howls und | |
Frustrations eine Reihe spannender Bands, die hierzulande zum Teil vor | |
spärlichem Publikum spielten. Von Tyvek seien Protomartyr maßgeblich | |
beeinflusst, sagte Casey einmal. | |
Was man von Protomartyr nicht erwarten sollte, ist Optimismus. Weder war | |
irgendwas gut noch wird irgendwas gut. „The past is full of dead men / The | |
future is a cruelty / Resign yourself“, heißt es in „Modern Business | |
Hymns“, und auch die abschließenden Verse des Albums klingen wenig | |
versöhnlich: „I exist, I did / I was here / I was / or never was“, singt | |
Casey da und er wiederholt die letzten Worte in Endlosschleife. Als sei er | |
gefangen in einem schlechten Traum, der nicht enden will. | |
28 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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