Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deadbeat und Paul St. Hilaire: Spiel nicht mit Gott!
> Es gibt wieder Digi-Dub von Deadbeat und Paul „Tikiman“ St. Hilaire. „4
> Quarters of Love and Modern Lash“ ist Nervennahrung für die Tanzpause.
Bild: Paul „Tikiman“ St. Hilaire (vorne) und Scott „Deadbeat“ Monteith …
Der Körper erinnert sich. Kaum dass der tiefe Dub-Techno dieser zweiten
Zusammenarbeit auf Albumlänge in die Ohren dringt, erinnern sich Arme und
Kopf, Herz und Beine an lange Nächte in dunklen Clubs, zucken und finden
Rhythmus.
Zu düsteren Texten über „War Games“ und „Mind Control“ entfaltet sich…
elektronische Landschaft aus Echos, Felsen, Wellen und Wellentälern.
Flaschenpost aus dem alten Berlin: Das ist die beinahe therapeutische
Relevanz von „4 Quarters of Love and Modern Lash“ von Deadbeat und Paul St.
Hilaire.
„Ich bin ein Raver, das fing 1995 in Toronto an, wo ich zuerst auf Partys
ging: Ich liebe es, zu House zu tanzen auf dem Dancefloor, und ich mag die
Community. Tief in meinem Künstlerherzen fühle ich mich eher bei langen,
ruhigen Ambient-Experimenten aufgehoben. Die Coronakrise hat mich dahin
zurückgeführt“, sagt ein gut gelaunter Scott Monteith, der sich als
Produzent Deadbeat nennt.
Seit Anfang der Nullerjahre lebt der Kanadier mit seiner Familie in Berlin,
hier hat er sich auch als innovativer Produzent von elektronischer Musik
zwischen Minimal-Techno und Dub etabliert. Entstanden ist das Duo-Album mit
dem Sänger Paul St. Hilaire noch vor dem Lockdown, aber Deadbeat hat es so
produziert, dass es eher zum Zuhören einlädt denn zum Grooven.
## Böse Vorahnung, heavy Düsternis
Und es trägt deutliche Spuren von böser Vorahnung, heavy Düsternis: „Mir
kommt es vor, als wäre sowohl im Sound als auch in der Poesie die Gegenwart
vorweggenommen, als wären Pauls Texte hellseherisch, als hätte er gewusst,
dass der ganze Scheiß passieren wird.“ St. Hilaire, Monteith’ Partner in
Crime, lebt schon beinahe zwanzig Jahre länger in Berlin: In den späten
Achtzigern zog es den Reggae-Musiker vom karibischen Kleinstinselstaat
Dominica nach (West-)Deutschland. Bekannt wurde er jedoch jenseits von
Reggae.
Das Dub-Techno-Projekt Rhythm & Sound der beiden Kreuzberger
Technoproduzenten Moritz von Oswald und [1][Mark Ernestus] prägte er unter
dem Namen Tikiman mit seinem charismatischen sonoren Gesang.
Seitdem veröffentlichte St. Hilaire mehrere Soloalben mit dubbiger
Electronica und arbeitete mit Künstlern wie Modeselektor. Fast vier
Jahrzehnte Musiklaufbahn hat er durchlebt, sein Optimismus ist ungebrochen:
„Every day is a highlight!“, schreibt St. Hilaire in einer Mail. „Meine
künstlerische Mission hat sich nie verändert: Ich möchte Frieden,
Zusammenhalt und Liebe verstärken, meine Musik soll die Sinne schärfen.“
Ganz alte Reggae-Schule also?
Das Studio als Instrument nutzen, so verstanden nicht nur
Wall-of-Sound-Produzenten ihre Mischtechnik – auch Dub-Pionier Lee
‚Scratch‘ Perry schnitzte in seinem Black-Ark-Studio in Kingston in den
1970ern Skulpturen aus Klang. Die Kunst, Lücken zu setzen, Raum zu lassen,
macht Dub bis heute einzigartig. Musik als Rohstoff, dem neue
Klangperspektiven abzugewinnen sind.
## Fusion von Dub und Techno
„Die Wurzeln von Dub durchdringen inzwischen sogar Mainstream-HipHop. Man
kann eine direkte Linie ziehen von King Tubby zu Nicki Minaj, in den Beats,
den Effekten“, sagt Monteith. „Nur ist das Studio als Instrument heute im
Laptop. Ein Talent kann in Simbabwe sitzen oder in der Uckermark und hat
die gleiche Chance, Hits zu produzieren [2][wie Kanye West]. Das ist toll.
Es ermutigt allerdings nicht zu tiefergehender Soundforschung.“
Die Fusion von Dub und Techno ist seit Ernestus’ und Oswalds Berliner
Pionierarbeiten in den Neunzigern aktuell geblieben. Deadbeats Arbeiten
selbst gelten mithin als Innovationen des Genres.
Auch das erste Album mit Paul St. Hilaire zählt zu den Meilensteinen des
letzten Dub-Jahrzehnts: „The Infinity Dub Sessions“ (2014) ist
experimentell und effektiv zugleich, mit knurrigen Bässen und verlorenem
Hall. Er habe immer einen Ordner mit der Aufschrift „For Tiki“ auf dem
Computer, sagt Monteith, und wenn der sich mit genug Soundskizzen gefüllt
habe, ruft er seinen Partner an.
Die beiden kennen sich seit 2003, als St. Hilaire noch als Tikiman auftrat,
seit 2008 jammen sie regelmäßig. „Er hat so einen speziellen Sound, wenn
man den hört, weißt du sofort, Deadbeat ist im Raum“, sagt St. Hilaire.
„Paul nimmt in seinem eigenen Studio auf, ich würde ihn nie in meines
zwingen: Man spielt nicht mit Gott! Und er findet jedes Mal reines Gold in
meinen Ideen“, schwärmt Monteith.
Dass die langen, mitreißenden vier Tracks in Bälde eine Tanzfläche
beschallen, ist unwahrscheinlich. Ähnlich wie Monteith kann auch der
Berliner Rave-Veteran St. Hilaire der Zwangspause dennoch etwas Positives
abgewinnen: „Die Stadt hat schon manches überlebt und [3][wird auch mit
Corona fertig]. Ich glaube, elektronische Musik wird einen Weg finden von
den Clubs hinüber in die Theater und Konzerthäuser, wo Distanz leichter
fällt. Das ist auch eine Chance, wieder aufmerksamer Musik und ihren
Botschaften zuzuhören.“
6 Jul 2020
## LINKS
[1] /Mark-Ernestus-ueber-den-Senegal-Sound/!5065565
[2] /Neues-Album-von-Kanye-West/!5637659
[3] /Clubs-in-der-Coronapause/!5673185
## AUTOREN
Steffen Greiner
## TAGS
elektronische Musik
Neues Album
Dub
Techno
Musik
Musik
Musik
Equiknoxx
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von US-Band Protomartyr: Bedrohung liegt in der Luft
Die Band Protomartyr bringt ihr Album „Ultimate Success Today“ heraus – u…
zeichnet mit angejazzten Postpunk ein düsteres Bild der USA.
Was Sommerhits ausmacht: Songs wie Eiswürfel im Glas
Heimtückisch nisten sie sich im Gedächtnis ein, sie sind so einzigartig wie
auswechselbar. Über das widersprüchliche Wesen von Sommerhits.
Neues Album der Band Sault: Von der Erfahrung, Schwarz zu sein
In Musik gefasstes Empowerment: „Untitled (Black is)“ von der britischen
Band Sault ist das antirassistische Protestalbum der Stunde.
Jamaikanischer Reggae-Sänger Buju Banton: Noch nicht bereit
Nach verbüßter Haft veröffentlicht Banton ein neues Album. Doch weil er
sich nicht von einem homophoben Song distanziert, üben jüngere
KünstlerInnen Kritik.
Clubs in der Coronapause: Nachtleben im Ausnahmezustand
Der Berliner Senat hat das Nachtleben gestoppt, um eine schnelle
Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Wie gehen Clubs mit der
Zwangspause um?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.