# taz.de -- Buch über Islamismus: Fünf Generationen Hass | |
> Seit drei Jahrzehnten verfolgt der Journalist Asiem El Difraoui die | |
> Entwicklung des internationalen Dschihadismus. | |
Bild: Palästinensische Kämpfer der Al-Quds-Brigaden in Gaza | |
„Wir haben es heute bereits mit der fünften Generation von Dschihadisten zu | |
tun“, schreibt [1][Asiem El Difraoui] in seinem Buch „Die Hydra des | |
Dschihadismus“. Die Hydra, das Ungeheuer aus der griechischen Sage, dem | |
selbst Herkules nicht beikommt, als Symbol für die unterschiedlichen | |
Auswüchse des globalen Dschihadismus: Schlägt man der Hydra einen ihrer | |
vielen Köpfe ab, wachsen gleich mehrere nach. | |
Auf [2][die militärische Niederlage der Terrormiliz „Islamischer Staat“] in | |
Syrien und Irak – Difraoui nennt ihn wie in der arabischen Welt Daesch – | |
folgte neuer Terror, andere wütende Organisationen in Afrika, dem Sahel, | |
Indonesien und Afghanistan. | |
Difraouis Buch über „Entstehung, Ausbreitung und Abwehr einer globalen | |
Gefahr“ ist ein kompetentes, gut geschriebenes Sachbuch mit Analysen, | |
Reportagen, historischen Fakten. Der bekannte Autor und Dokumentarfilmer | |
arbeitet seit Jahren zum Thema. Der in Offenbach am Main aufgewachsene Sohn | |
einer Deutschen und eines Ägypters ist Kenner der arabischen Welt und der | |
Muslime in Europa. | |
Seine Analysen sind differenziert und kenntnisreich, seine Recherchen und | |
Reportagen aus Syrien und dem Irak spannend und ungewöhnlich. Sie | |
vermitteln ungewöhnliche Einblicke – wie auch seine Begegnungen mit | |
Protagonisten aus dem Zentrum der Dschihadisten. | |
## Zwiespältige Rolle des Westens | |
Etwa Afghanistan, das in den 1980er und 90er Jahren Spielwiese für eine | |
dschihadistische Internationale und den Medienstar [3][Osama bin Laden] | |
war, dem Anführer des Terrornetzwerks al-Qaida. Die Brutstätte des IS war | |
der sich auflösende Irak nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein. | |
Difraoui beschreibt auch die zwiespältige Rolle des Westens, ob im Irak | |
oder während des Bürgerkriegs in Syrien, wo die moderaten syrischen | |
Rebellen vollständig auf sich gestellt blieben. | |
Den Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 sieht er als Brückenkopf der | |
Dschihadisten nach Europa. Die Präsenz und Gräueltaten der Dschihadisten | |
aus vielen arabischen Ländern im Bosnienkrieg seien bis heute wenig | |
beleuchtet. | |
Die Muslimbüder und den Wahhabismus erklärt Difraoui zu religiösen | |
Wegbereitern des Dschihadismus. Aber eigentlich definiert er den | |
Dschihadismus als pseudoreligiöse Sektenbewegung, die den Islam | |
vereinfachend und falsch für ihre Zwecke interpretiert. | |
Doch wie erklärt sich dessen Attraktivität für die Verführten aus aller | |
Welt? Was sind seine gesellschaftlichen und individuellen Ursachen? | |
Difraoui zeichnet die Lebenswege von Dschihadisten nach, auch von Frauen. | |
Ausgrenzerfahrung, Aufbegehren, Suche nach Anerkennung, aber auch der Hang | |
zu pathologischer Gewalt sind Mosaiksteine eines unfertigen | |
Erklärungsversuchs. Religion ist für die meisten vor allem Flucht in eine | |
blindwütige Ideologie. | |
## Weltweite Bedrohung | |
Und deren Gewaltpotenzial hat sich längst internationalisiert. „Die | |
Propaganda hat den Dschihadismus erst zu dem gemacht, was er heute ist: | |
eine weltweite Bedrohung. Ohne ihre einigende, identitätsbildende Wirkung | |
bestünde er heute vermutlich nicht mehr“, schreibt Difraoui. | |
Die gewalttätigen Rattenfänger verbreiten ihre Ikonen, Märtyrer und ihren | |
Rap technikaffin über Facebook, Youtoube, Twitter & Co. Doch tatsächlich | |
haben sie außer einer im Wüstensand längst untergegangenen | |
Gemeinschaftsromantik keinerlei eigene Programme für den ökonomischen, | |
sozialen oder politischen Aufbau einer Gesellschaft. | |
Die Frage, wie westliche, aber auch arabische Gesellschaften mit den | |
selbsternannten Gotteskriegern umgehen könnten, fällt Difraoui genauso | |
schwer wie allen anderen Experten. Repressive, autoritäre Lösungen lehnt er | |
ab. Individuelle Deradikalisierungsprogramme seien sicherlich sinnvoll, | |
genauso wie die Überwachung von Hasspredigern und islamistischen | |
Netzwerken. | |
Doch der Nährboden für dschihadistische Gewaltfantasien und | |
Gewaltbereitschaft nimmt vor allem in den arabischen Ländern zu: soziale | |
und ökonomische Perspektivlosigkeit schaffen Elend und verstärken die Suche | |
nach pseudoreligiösen Heilsverprechungen. Die Warnrufe in der arabischen | |
Welt werden lauter. Algerien, Libyen, Ägypten, Syrien, der Irak – eine | |
Krise reiht sich an die andere. Keine schlechten Zeiten für das Monster | |
Hydra. | |
8 Feb 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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