Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Prozess wegen Anschlagsplanung: Der höfliche Islamist
> Der Prozess gegen einen 21-jährigen Islamisten steht kurz vor dem Urteil.
> Der Hamburger soll einen Anschlag zum Jahrestag von 9/11 geplant haben.
Bild: Schweigt vorm Hamburger Landgericht: der Angeklagte Adburrahman C
Hamburg taz | Die Frage am Ende dieses Prozesses lautet: Ist der 21-Jährige
Adburrahman C. nach Jugendstrafrecht zu verurteilen? Ist C., wie sein
Anwalt in seinem Plädoyer am Mittwoch sagt, reifeverzögert, ein
Heranwachsender, der sich nicht von seinen Eltern abgenabelt hat, ohne eine
eigenständige Zukunftsplanung? Oder ist C., wie es die
[1][Bundesanwaltschaft] darstellt, ein selbstständiger junger Mann, der
zielgerichtet und konspirativ einen Sprengstoffanschlag geplant hat, um
möglichst viele Ungläubige zu töten?
Von C. ist im Prozess dazu nichts zu erfahren, er schweigt. Wäre es nach
ihm gegangen, wäre die [2][Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen]
worden. Denn Themen wie seine Familie und seine religiösen Auffassungen
empfinde er als zu intim für die Allgemeinheit, erklärt sein Anwalt. C. ist
ein junger Mann in Sweatshirt, mit weichem Gesicht, der lächelt, wenn ihn
die Justizvollzugsbeamten abführen. Als höflich und freundlich beschreibt
ihn die Psychologin der Untersuchungshaftanstalt: Anders als andere
Islamisten habe er mit ihr gesprochen.
Höflichkeit ist kein Indiz für oder gegen eine Reifeverzögerung, sie steht
auch nicht im Widerspruch zu dem, was die Staatsanwaltschaft als Indizen
für C.s Radikalisierung zusammengetragen hat. Das sind vor allem
Hinrichtungsvideos, die er sich auf seinem Laptop angesehen hat, Reden von
Osama Bin Laden, die er angehört, und Suchanfragen, die er gestellt hat: zu
Jungfrauen im Paradies, zur religiösen Legitimation von Anschlägen.
C. ist der älteste Sohn eines Marokkaners und einer Deutschen, die zum
Islam konvertierte. Beide Eltern sind Akademiker. Die Familie ging 2013
nach Marokko, 2021 kehrte C. nach Hamburg zurück und begann ein Studium in
Wismar.
## Die Mutter verweigert die Aussage
Ihr Sohn sei „nicht streng religiös“ erzogen, lediglich die Gebets- und
Fastenzeiten habe er einhalten sollen, sagt seine Mutter in einem Telefonat
mit dem Sozialpädagogen der Jugendgerichtshilfe. Sie sei „aus allen Wolken
gefallen“ angesichts der Anklage gegen ihn. Doch die Bundesanwaltschaft
überzeugt das nicht – umso weniger, als die Mutter vor Gericht nicht
aussagen will.
Der späte Anruf, so glaubt es der Bundesanwalt, solle nur der
Jugendgerichtshilfe Argumente liefern, C. nach Jugendstrafrecht zu
verurteilen. Genauso wenig glaubt der Bundesanwalt, dass der Vater, mit dem
C. per Chat dschihadistisches Material ausgetauscht hat, nicht zur
Radikalisierung seines Sohnes beigetragen habe. Aber das ist nur ein
Nebenschauplatz.
Unbestritten sind die Details der Anschlagsvorbereitungen: C. hat im
Internet die Zutaten für einen Sprengsatz bestellt und im Darknet nach
einer halbautomatischen Pistole und Handgranaten gesucht. Nach einem
Hinweis US-amerikanischer Ermittler bietet sich ihm ein verdeckt
ermittelnder Polizeibeamter als Waffenhändler an. Auf die Frage, was er mit
den Waffen vorhabe, schreibt C.: „Nix Schlimmes.“ Bei der vereinbarten
Übergabe auf einem Parkplatz in Hamburg wird er verhaftet. C.s Hände hätten
gezittert, sagt der Ermittler vor Gericht.
C. betritt mit seinen Plänen Neuland, könnte man sagen, und er betritt es
mit einer Energie, die ihm in seinem Studium fehlt. Er entwirft ein
Erpresserschreiben an eine Biomarktkette, das er nicht abschickt, er
recherchiert im Netz zu Überfällen auf Juweliere, zum Töten mit Messern,
zum Töten von Polizisten und Fluchtwegen nach Syrien. Dabei ruft er seine
Eltern täglich an. In einem Chat schreibt ihm die Mutter, dass er bald
Kindergeld beziehen werde. Damit könne er Handgranaten kaufen, antwortet
der Sohn. Besser Küchenmesser und Handschuhe, schreibt die Mutter.
## Die Anklage sieht keine Reue
Die Bundesanwaltschaft wirft C. vor, zum [3][Jahrestag von 9/11] durch die
Kombination von Sprengsatz und Schusswaffe möglichst viele Menschen
gleichzeitig töten zu wollen. Darum sei es nicht gegangen, widerspricht C.s
Anwalt, schließlich sollte der Sprengsatz ferngezündet werden.
Noch jetzt, da C. in Untersuchungshaft ist, sehen Anklage und Verteidigung
völlig unterschiedliche Personen: Die Anklage einen jungen Mann, der keine
Reue zeigt, der seinen Bruder davor warnt, zu offen mit ihm zu
kommunizieren. Der Verteidiger verweist dagegen auf einen Brief an die
Familie, in dem C. schreibt, die Dinge wieder gutmachen zu wollen. C. habe
Bereitschaft gezeigt, an einem Deradikalisierungsprogramm teilzunehmen.
Der Anwalt hat eine Haftstrafe zwischen zweieinhalb und drei Jahren
beantragt; der Bundesanwalt bereits am Dienstag eine Strafe von sieben
Jahren. Am Freitag wird das Hamburger Landgericht in seinem Urteil
verkünden, welchen Adburrahman C. es erkannt hat.
7 Jul 2022
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-Franco-A/!5863112
[2] /Prozess-gegen-mutmasslichen-Attentaeter/!5850342
[3] /20-Jahrestag-von-9/11/!5797112
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Islamismus
Prozess
Schwerpunkt 9/11
Hamburg
Islamismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buch über Islamismus: Fünf Generationen Hass
Seit drei Jahrzehnten verfolgt der Journalist Asiem El Difraoui die
Entwicklung des internationalen Dschihadismus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.