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# taz.de -- Die Energiewende voranbringen: Die Mühlen der Ebene
> Klima- und Umweltminister Robert Habeck hat seine Pläne vorgestellt. Was
> es bedeutet, wenn die Ampel ernst macht mit der Energiewende.
Bild: Kraniche vor Windrädern in Mecklenburg-Vorpommern
Fünf Wochen ist [1][Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck] nun im
Amt, und sein Signal in dieser Woche war deutlich: Mit dem Klimaschutz und
der Energiewende soll es jetzt endlich richtig losgehen. Mit einer
umfangreichen „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ stellte der grüne Vizekanzler
seine ehrgeizigen Pläne vor, wie Deutschland bis 2030 die CO2-Emissonen von
jetzt minus 38 auf minus 65 Prozent (im Vergleich zu 1990) in nur acht
Jahren senken will – und wie der Anteil beim Grünstrom in derselben kurzen
Zeit von derzeit 42 auf 80 Prozent praktisch verdoppelt werden soll. Aber
was heißt das konkret?
## Turbo-Ausbau Wind und Solar
In nur acht Jahren will Habeck den Zubau von Wind- und Solaranlagen in
Deutschland etwa vervier- bis verfünffachen. Ende der 2020er Jahre sollen
pro Jahr Anlagen für 15 Gigawatt Windstrom an Land und auf See und für 20
Gigawatt Solarstrom gebaut werden. „Das entspricht etwa der Leistung von 35
Atomkraftwerken“, sagt Simon Müller, Deutschlandchef des Thinktanks Agora
Energiewende.
„Dieser beispiellose Zubau von erneuerbaren Kapazitäten ist machbar“, sagt
Müller. „aber dafür müssen wir jetzt alle Hebel in Bewegung setzen.“ Eine
Herausforderung: Stromnetze müssen vorausschauend geplant und gebaut
werden. Bei viel mehr Photovoltaik drückt an sonnereichen Tagen sehr viel
Solarstrom ins Netz. „Dann müssen flexible Lasten und Speicher wie
Elektroautos, Batterien oder Wasserstoffhersteller bereitstehen, damit das
Netz nicht überlastet wird und die Energie nicht verlorengeht“, so Müller.
Bisher koordiniert eine Behörde die Netzplanung: Die Bundesnetzagentur.
Möglicherweise wäre eine neue Bundesgesellschaft für diesen
„Planungssprint“ nötig. Insgesamt müssten Verfahren schneller und einfach…
werden, fordert auch der Dachverband der Strom- und Wasserwirtschaft BDEW
und listet 25 Maßnahmen auf: Etwa einheitliche Kriterien beim Artenschutz
oder Vorrang für die Windkraft in der Planung. Auch seien alte Regeln von
Flugsicherung und Bundeswehr zu reformieren und die Antragstellung digital
zu organisieren. Außerdem solle es laut BDEW keine pauschale Abstandsregel
zu Häusern, aber verbindliche Flächenziele geben.
Nötig sei aber auch eine neue Ordnung des Strommarktes, sagt Simon Müller:
„Strom muss besonders günstig sein, wenn viel Wind- und Sonnenstrom
verfügbar ist, dafür müssen wir Steuern, Abgaben und Umlagen auf Strom
reformieren.“ Für flexible Lasten und Speicher braucht es ausreichend neue
regelbare Gaskraftwerke.
Wichtig: Das Geld. Laut Müller brauchen die Kommunen bis 2030 insgesamt
etwa 120 Milliarden Euro für Wärmenetze oder öffentlichen Verkehr. Auf
Bundesebene ist mit den 60 Milliarden des Nachtragshaushalts wohl genügend
Geld da, bei den Kommunen sind sich Expert*innen da unsicher.
Überhaupt werde die Bedeutung der Wärmeversorgung in den Kommunen für das
Gelingen der Klimapolitik oft übersehen, sagt Müller. „Eine gute kommunale
Wärmeplanung muss verpflichtend werden“, fordert er.
## Kompromisse beim Naturschutz
Bisher bremst auch der Vogelschutz den Ausbau der Windkraft an Land. Oder
besser: die unklaren Regeln dazu. Die Ampel will die Umsetzungsregeln im
Naturschutz einheitlich in einem Bundesgesetz oder einer Verordnung
festlegen. „Das wäre schon mal ein großer Schritt für eine Lösung der
Konflikte zwischen Windausbau und Naturschutz“, sagt Silke Christiansen vom
Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende, das mit Umwelt- und
Energieverbänden sowie Ministerien aus Bund und Ländern an der Lösung
dieser Probleme arbeiten. Bisher ging nicht viel voran.
So könnte jetzt eine Lösung aussehen: In einem je nach Vogelart definierten
„Nahbereich“ von zum Beispiel 500 Metern rund um einen Vogelhorst wären
Windräder tabu. Darüber hinaus würde ab etwa 1000 Metern Abstand davon
ausgegangen, dass es generell keine Konflikte mit dem Artenschutz gibt.
Damit fielen aufwändige und zeitraubende Gutachten weg, die immer stark
umstritten sind. In Zukunft müssten dann auch Behörden und
Vogelschützer*innen nachweisen, dass ein Vogel bedroht ist – und nicht
mehr, wie jetzt, die Windradplaner*innen.
Liegt der Abstand aber bei weniger als 1000 Metern, werden
„Vermeidungsmaßnahmen“ wie Abschalten der Rotoren geprüft. Sind sie nicht
möglich, kann es Ausnahmen geben – etwa indem ein verbessertes Umfeld
hilft, die Population als Ganze zu erhalten und nicht mehr nur auf das
individuelle Tier zu schauen.
Die Koalitionsvereinbarung der Ampel sieht für solche „Artenhilfsprogramme“
immerhin eine Milliarde Euro vor. In der politischen Debatte könnte es
dabei helfen, dass der Rotmilan, einer der umstrittensten Vögel beim Kampf
um die Windmühlenflügel, seit letzten Jahr nicht mehr auf der Roten Liste
gefährdeter Arten steht.
## Beteiligung und Akzeptanz
Er werde alle Bundesländer besuchen, um mit ihnen über die Pläne zu
sprechen, hat Robert Habeck angekündigt. Was er nicht will, ist dagegen
eine Kommission, die lange über das Thema redet und nichts entscheidet. Ein
„einseitiges Verständnis von Teilhabe“ nennt das Kai Niebert, Präsident d…
Deutschen Naturschutzrings. Habeck solle „die Wege mit den Beteiligten
entwerfen“ statt sie vorzuschreiben.
Es spreche nichts gegen eine „kurze, knackige Beteiligung“, etwa eine
Klausur mit Vertreter*innen von Industrie, Umweltverbänden, Kommunen
und Politik. „Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat vorgeschlagen, zehn
Prozent der Agrarfläche aus der Nutzung zu nehmen. Macht man das, hat man
Raum für Naturschutz und kann anderswo Windräder errichten“, so Niebert.
Das werde 600 Millionen bis 1 Milliarde Euro kosten. Aber so erreiche das
Umweltministerium seine Ziele, das Agrarministerium könne Landwirt*innen
Naturschutz als Geschäftsmodell präsentieren, das Wirtschaftsministerium
bekomme Flächen – „und die Naturschutzverbände können zeigen, dass sich …
Zustand der Natur verbessert und nicht jedes Infrastrukturprojekt beklagt
werden muss.“
## Handwerker*innen dringend gesucht
Um den Zubau von Wind- und Solaranlagen zu steigern, sind viele Fachkräfte
nötig – und die sind mancherorts schon jetzt knapp. „Unsere Betriebsräte
berichten seit Jahren über teils erhebliche Probleme bei der Besetzung von
freien Stellen“, sagte der Leiter des IG-Metall-Bezirks Küste im
vergangenen Herbst auf der Fachmesse Husum Wind.
## Wer soll das alles bezahlen?
Aus Sicht der Stromkund*innen ist der schnellere Ausbau dagegen – anders
als in der Vergangenheit – kein Problem mehr. Die Vergütung, die für den
Strom aus neuen Wind- und Solaranlagen gezahlt wird, liegt nur noch
geringfügig höher als die Preise, die an der Strombörse bezahlt werden; im
vergangenen Jahr waren sie sogar oft günstiger und trugen damit eher zur
Senkung der Preise bei.
15 Jan 2022
## LINKS
[1] /Habecks-Klimaplaene/!5825055
## AUTOREN
Bernhard Pötter
Malte Kreutzfeldt
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