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# taz.de -- Corona und die katholische Kirche: Kein guter Hirte
> Der Berliner Priester Gerald Goesche widersetzt sich den Coronaregeln.
> Besuch in einer erzkatholischen Kirche, in die auch Beatrix von Storch
> geht.
Zweihundert Lungen holen Luft, das erste Lied beginnt. “Asperges me,
Domine…“ Besprühe mich, oh Herr. Und mit Weihwasser und Weihrauch
verbreiten sich die Aerosole. Denn niemand in der kleinen neugotischen
Kirche in Berlin-Mitte trägt eine Maske.
In der hintersten Bank sitzt Gerald Goesche, er zelebriert heute nicht
selbst. Schwarze Kutte, weißer Pagenschnitt, der Hirte inmitten seiner
erzkatholischen Herde. Niemand weiß, wie immun sie ist. Denn Goesche
kümmert es nicht.
Der Priester widersetzt sich den Reformschritten der katholischen Kirche –
und ihren Coronaregeln. Für [1][sein Recht auf Gottesdienst in der
Pandemie] rief er schon das Bundesverfassungsgericht an, die geltenden
Verordnungen des Berliner Senats ignoriert er. Die [2][Ausübung der
Religion ist in der Pandemie] keine Privatsache mehr.
Konservative Christ*innen können in Goesches “Institut St. Philipp Neri“
die Messe auf Latein hören und die Hostie direkt auf die Zunge gelegt
bekommen. „Zeitgemäße Pastoral in einer neuheidnischen Großstadt, in der
man öfter eine Muslima in Burka als einen Priester in der Soutane sieht“,
so das Selbstverständnis auf der Website der Gemeinde.
Eine Burka wird man auf den Berliner Straßen nicht finden, doch während
viele gemäßigte Kirchen leer bleiben, kommen mehr und mehr Menschen zu den
Soutanepriestern am Mauerpark. Viele von ihnen fliehen vor den Coronaregeln
in den anderen Gemeinden.
Unter den Gläubigen, die sich im Institut tummeln, sind auch
AfD-Spitzenfrau Beatrix von Storch und ihr Mann. Das zumindest schreibt ein
Anwohner der Gemeinde in einer Email. Als die Recherche zu diesem Text
beginnt, kann niemand ahnen, dass von Storch wenige Tage später aufgrund
einer Coronainfektion in Quarantäne muss.
Ausnahmsweise scheint an diesem Adventssonntag die Sonne. Aus dem armen
Wedding im Westen, aus dem schicken Prenzlauer Berg im Osten Berlins,
kommen Menschen zum Hochamt in die Graunstraße.
## Die Abstandmarkierungen beachtet niemand
Sankt Afra, eine kleine Burg aus Backstein, verschwindet fast in der
Häuserzeile – wie viele katholische Kirchen in der Hauptstadt. Glauben
durfte die katholische Minderheit im protestantischen Preußen. Bauen sollte
sie nicht zu sichtbar.
Die Gläubigen treten durch das grüne Portal in einen Kreuzgang, links fällt
der Blick auf einen Hof mit Buchsbäumen. Zum Gottesdienstraum selbst muss
man eine Treppe hinauf in den ersten Stock, “Bitte nur auf den markierten
Plätzen sitzen“ steht an der Tür. Getestet, geimpft oder genesen? Das wird
hier nicht kontrolliert. Auch nicht, wer sich via SMS zum Gottesdienst
angemeldet hat und wer nicht.
Im Kirchenschiff Gemurmel. Vor der Messe wird der Rosenkranz gebetet, die
Beichtstuhltür fliegt auf und zu. Die Zahl der Beichten in Sankt Afra
steigt rapide an, heißt es freudig im Gemeindebrief, der am Eingang
ausliegt. Daneben kleine Heiligenbildchen, die eine Frau mit zwei Palmen
zeigen. “Hl. Corona, bitte für uns!“, steht auf der Rückseite. Die
[3][Abstandmarkierungen beachtet niemand.]
Die Mäntel der Sonntagsgemeinde sind modisch geschnitten. Die Haarschnitte
der teils sehr jungen Männer reichen von Havard Clip bis Man Bun. Die
Frauen tragen Baskenmützen, Tücher aus weißer oder schwarzer Spitze. Zwei
Schwarze Frauen haben ihr Haar mit blauem Baumwollstoff bedeckt.
Links vorne hört man ein mechanisches Saugen. Eine betagte Frau im
Rollstuhl hat unter ihrer Nase einen dünnen Plastikschlauch. Sie atmet
Sauerstoff aus einem tragbaren Gerät. Niemand in der vollen Kirche trägt
einen Mund-Nasenschutz, als der füllige Priester mit seinen Messdienern
einzieht und der Gottesdienst beginnt.
Asperges, Oratio, Credo. Ein Männerchor auf der Empore singt im Wechsel mit
Gemeinde und Priester die alte lateinische Messe. Ein feierliches Ritual,
das in der katholischen Kirche nur ausnahmsweise gestattet wird. Seit das
Zweite Vatikanische Konzil die katholische Kirche in den 1960er Jahren
grundlegend reformierte, soll der Inhalt der Gebete verstanden werden. Die
Priester zelebrieren heute nicht mehr mit dem Rücken zu den Gläubigen.
Eigentlich. Gerald Goesche, der früher bei den Piusbrüdern in Kreuzberg
Messe feierte, bezeichnet sein 2003 gegründetes Institut St. Philipp Neri
als “katholisches Startup“. Hier wird die katholische Ästhetik des 19.
Jahrhunderts gefeiert. Fernab von chaotisch-bunten Familiengottesdiensten,
von zeitgenössischer Theologie und der allgegenwärtigen Naturwissenschaft.
Das schätzen auch Intellektuelle wie Sybille Lewitscharoff, zumindest ist
sie im Gemeindeblatt an einer Festtafel von Propst Goesche zu sehen.
Kirchenrechtlich gesehen ist das Institut eine Gesellschaft apostolischen
Lebens, eine Art Orden, unabhängig von Kirchensteuer und dem Erzbistum
Berlin, direkt dem Papst unterstellt. Doch es knirscht nicht mehr nur
zwischen dem coronakonformen Berliner Bischof und Goesches Splittergruppe.
Auch das Verhältnis zu Rom hat in der Pandemie gelitten. In der Predigt –
sie könnte so in jeder anderen katholischen Kirche gehalten werden – ist
heute von dieser Spannung jedoch nichts zu hören. Es geht um “grenzenloses
Vertrauen in Gott und die Lehre der katholischen Kirche“.
Agnus Dei, Lamm Gottes. Nach etwa einer Stunde stellt sich die Gemeinde in
Reihen auf. Sechs, sieben Gläubige knien auf den Altarstufen nieder. Von
zwei Ministranten begleitet tritt der Priester, adventlich-violett ist sein
Gewand, zu den Einzelnen und legt ihnen mit bloßen Händen die Hostie auf
die Zunge. Eine Maske müssen sie dazu nicht abnehmen, sie tragen keine. Es
folgen die nächsten sieben, von einer Zunge zur anderen. Nur das Saugen des
Sauerstoffgeräts durchbricht die Stille.
## Die Impffrage beendet das Gespräch
Ite missa est. Gehet hin, ihr seid entlassen. Im Kreuzgang ist zum
Austausch bei heißen Getränken und Gebäck eingeladen. Einige Mitzwanziger
mit glänzenden Schuhen stehen zusammen. Verbindungsstudenten, so das
Vorurteil. Eine Gruppe seien sie nicht, wollen auch nicht ihre Namen
nennen, sprechen eigentlich auch nicht. Sie besuchten “nicht exklusiv“ die
lateinische Messe und sagen, dass sie auch in andere Gemeinden gehen. Am
Institut schätzten sie die “Ernsthaftigkeit“.
Ein Rollstuhl bahnt sich durch die plauschende Gemeinde. Die Familie der
Greisin am Sauerstoffgerät macht sich keine Sorgen. Viren seien etwas
Natürliches. Der Sohn spricht von “Plandemie“, von Globalisierung und
Doktor Wodarg. Davon, dass er in den Achtzigerjahren in Polen schon erlebt
habe, wie sich Regierungen der Angst als Instrument bedienten. Die
Impffrage beendet das Gespräch. “Zu persönlich“, sagt der Mann und schiebt
seine Mutter aus dem Kreuzgang.
Gerald Goesche ist beim Empfang nicht zu sehen. Am folgenden Nachmittag
aber nimmt der Propst sich Zeit. Ein Sekretär führt schweigend ins
Innenleben des klösterlichen Baus, entstanden als Mädchenheim der
Elisabethschwestern. Spitzbögen, Ikonen an den Wänden. Goesche und der
Sprecher seines Instituts, Bernhard Schodrowski, warten in einem kleinen
Wohnzimmer mit Sesseln, einem Likörwagen und einer Espressomaschine.
## Alle willkommen: grün, rechts, geschieden
Schodrowski, grauer Anzug, kantiges Gesicht, ist bekannt in Berlin. Von
2012 bis 2017 war er stellvertretender Sprecher des Senats, davor auch
schon Vize-Polizeisprecher. Heute arbeitet der CDU-Mann hauptberuflich für
einen Wirtschaftsverband. Seit mehr als 20 Jahren ist der Katholik mit
Gerald Goesche verbunden und hilft ehrenamtlich dem Institut. “Hier darf
man sein, wie man ist“, sagt Schodrowski. Er meint damit: man darf im
Institut geschieden sein, wie er selbst.
Man darf grün sein, wie Schodrowskis frühere Partnerin,
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Die Lottostiftung, in deren Stiftungsrat
Pop sitzt, förderte 2013 die Orgel in Sankt Afra mit 160.800 Euro. Man darf
auch rechts und evangelisch sein, wie Beatrix und Sven von Storch, der die
“Initiative Christenschutz“ betreibt. Die von Storchs würden dem Institut
keine nennenswerten Summen spenden, aber tatsächlich im Institut die Messe
besuchen. “Nicht die Gesunden brauchen den Arzt“, zitiert Gerald Goesche
dazu das Matthäusevangelium.
Fünf Tage später geht Beatrix von Storch nach einem positiven PCR-Test in
Quarantäne. Ihre Partei und darin insbesondere von Storchs Landesverband
sehen sich als politische Partner der Querdenken-Proteste. Auf eine Anfrage
antwortet die Bundestagsabgeordnete nicht. Zeitgleich wettert sie auf dem
Webportal freiewelt ihres Mannes gegen das “öko-sozialistische
Gruselkabinett“ und die Impfpflicht für Pflegeberufe.
Andere Texte der Webseite sind überschrieben mit “Weiteres Puzzle-Stück vom
Gates-Netzwerk veröffentlicht“ oder “Papst Franziskus macht sich zum
Sprachrohr der Globalisten“. Den Verschwörungs-Kardinal Gerhard Müller lobt
Sven von Storch auf seinem Portal, Reinhardt Kardinal Marx nennt er einen
“Impfpropagandisten“.
Beatrix von Storch hat sich nicht bei der Adventsmesse infiziert, sie war
an diesem Sonntag zumindest nicht zu sehen. Das wäre aber durchaus möglich
gewesen, denn: im Institut St. Philipp Neri darf man auch ungeimpft sein
und muss keine Maske tragen. Inmitten der vollen Gottesdienste, die Goesche
verantwortet, könnten Menschen mit voller Viruslast singen. Von einem
“stillen Agreement“ unter den Gläubigen spricht Bernhard Schodrowski.
## Bundesverfassungsgerichtantrag scheitert
An stille Agreements hält sich das Virus jedoch nicht. Die Menschen, die am
Sonntag in Sankt Afra zur Messe gehen, sitzen am Montag in der U-Bahn, in
einem Großraumbüro oder an der Supermarktkasse. “Vom Fensterputzer bis zum
Verlagsleiter“ sei alles dabei in seiner Gemeinde, sagt Propst Goesche,
und: „Ich bin nicht die Kindergärtnerin derer, die zu uns kommen.“ Er sei
mit Gottesdiensten und Gebet für die Gesellschaft da, das sei seine
Verantwortung als Hirte.
„Für uns ist Jesus das Medikament des Heils und der Arzt unserer Seelen“,
so hatte Goesche im April 2020 der Süddeutschen Zeitung gesagt, als sein
Institut beim Berliner Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen
Anordnung gegen das damalige Gottesdienstverbot beantragt hat. Auch vor dem
Bundesverfassungsgericht scheiterte er schließlich mit einem solchen
Antrag. Das hohe Gut der positiven Religionsfreiheit hatten die Gerichte
freilich gewürdigt und geschrieben, dass die Einschränkungen ständig auf
ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden müssten.
Schon damals kam aus dem Kreis der Deutschen Bischofskonferenz Kritik an
Goesches Alleingang. Dem Propst ist bewusst, dass er jetzt wieder gegen
bischöflichen Entschluss handelt. “Grundsätzlich unter 2G-Bedingungen“ si…
die Gottesdienste in der diesjährigen Advents- und Weihnachtszeit zu
feiern, sagt das Erzbistum Berlin. Ein Gottesdienst pro Sonntag soll allen
angeboten werden, die nicht 2G, aber getestet sind. “Die Maskenpflicht beim
Gemeindegesang gilt im Freien genauso wie in der Kirche“, steht im
Beschluss des Bistums vom 27. November.
“Ich bin enttäuscht von den Bischöfen, auch vom Bischof von Rom“, sagt
Goesche in der Klosterstube. Letzteres bezieht sich auf Papst Franziskus,
der im August die Covid-19-Impfung als einen “Akt der Liebe“ bezeichnete.
Goesche hingegen spricht von notwendiger Skepsis der Impfung gegenüber. Der
Propst geht so weit, dabei den Contergan-Skandal aus den 1960er Jahren
aufzubringen. Einen faktischen Zusammenhang zwischen der Impfung und den
durch das Beruhigungsmittel Contergan verursachten Fehlbildungen gibt es
nicht.
Goesche fühlt sich inmitten seiner Burg sichtlich wohl in der Rolle des
Revoluzzers in Soutane. Der kirchliche Regelbruch ist ihm bewusst. Dass er
gegen geltendes Recht, die aktuellen Auflagen des Berliner Senats von 27.
November, verstößt, nicht. Sagt er. Hektisch beginnt Bernhard Schodrowski
zu googeln, liest die ersten zwei Sätze der Verordnung für religiöse
Versammlungen vor. Die Mindestabstände, die Pflicht zum Tragen eines
Mundnasenschutzes abseits des Sitzplatzes verschweigt er.
Drei Kerzen brennen mittlerweile auf dem Adventskranz in Sankt Afra. Zwei
Wochen sind vergangen, das alte Ritual ist gleichgeblieben: Asperges,
Credo, Agnus Dei. Wieder ist der Gottesdienst gut besucht, Abstand wird
noch immer nicht gehalten. Eine einzelne Frau in der Menge trägt eine
Maske. Beatrix von Storch ist wieder nicht gekommen, sie ist noch isoliert.
Ein Ehepaar, Anfang Dreißig, Mäntel aus guter Wolle, lässt sich nach der
Messe widerwillig auf ein Gespräch ein. Mit bayrischem Akzent erklären sie,
dass ihnen der alte Ritus die zehn Kilometer Anfahrt aus Charlottenburg
wert sei. Sie schätzen den “festen Ablauf“, die Mundkommunion, die würdige
Ästhetik. “Wir sind genesen“, kann die junge Frau noch sagen, bevor ihr
blond gelockter Ehemann das Gespräch beendet. “Es gibt ein Hygienekonzept“,
sagt er.
Einige Tage nach dem dritten Besuch in der Kirche schickt Bernhard
Schodrowski das neue Hygienekonzept der Gemeinde. “Die Anzahl der
Gottesdienstbesucher ist in St. Afra auf 50 begrenzt“, steht darin. Ein
solches Dokument mit Regeln hatte es tatsächlich schon zuvor gegeben.
Eingehalten, kontrolliert wurden sie nicht. Propst Goesche spricht viel von
Wahrheit. Die irdische Wahrheit, die Wirklichkeit, ist damit nicht gemeint.
Die großen Weihnachtsfesttage, die Omikronwelle: sie stehen erst an.
24 Dec 2021
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## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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