# taz.de -- Rosa Schwestern verlassen Berlin: Da hilft nun kein Beten mehr | |
> Nach über 80 Jahren verlassen die Steyler Anbetungsschwestern ihr Kloster | |
> im Berliner Westend. Der Grund sind Nachwuchsprobleme. | |
Bild: Ihren Spitznamen verdanken die rosa Schwestern ihren Kutten, die eher kna… | |
BERLIN taz | „Venite adoremus Jesum“ steht über der Tür der Kirche des | |
Klosters St. Gabriel im Berliner Westend: „Kommt, lasst uns Jesus anbeten“. | |
Anbauten aus rotbraunen Klinkersteinen rahmen die weiße Fassade des | |
Kirchenschiffs. Es ist ein sonniger Januartag, vor dem Kloster flanieren | |
Menschen mit Windhunden, Fellkapuzen und vollen Einkaufstüten über den | |
Wochenmarkt. In der Nacht hat es geschneit, die Baumkronen sind noch weiß. | |
Auf dem angrenzenden Pausenhof machen Kinder eine Schneeballschlacht, ein | |
Vater zieht seinen Sohn auf einem Holzschlitten vorbei, vor den Stufen des | |
Klosters trinken Menschen Glühwein. | |
Die Ordensfrauen im Innern bekommen von alldem nichts mit. Es ist still, | |
als ich mich durch die schweren Holztüren in den Vorraum der Klosterkirche | |
schiebe. Erst als ich auch die Glastür öffne, kann ich die Schwestern | |
hören: Hinter einem Eisengitter, von den Besucher*innen abgeschottet, | |
sitzen sie auf ihren Gebetsbänken und singen leise vor sich hin. Auf den | |
Besucherbänken im vorderen Drittel der Kirche kniet ein Mann, die Hände vor | |
dem Gesicht gefaltet, und betet. Ansonsten ist die Kirche leer. | |
Sechs der elf rosa Nonnen, die noch im Kloster St. Gabriel leben, haben | |
sich an diesem Freitagmittag zum Chorgebet versammelt. Ihren Spitznamen | |
verdanken sie ihren Kutten, den Habits, die eher knallpink als zartrosa | |
sind. Die Frauen gehören den [1][Steyler Anbetungsschwestern] an – benannt | |
nicht nach ihrem Gespür für Mode, sondern der österreichischen Provinz, in | |
der der Orden 1896 gegründet wurde. Niederlassungen gibt es auf der ganzen | |
Welt: in Nord- wie Südamerika, auf den Philippinen und in Indien, in Polen, | |
den Niederlanden und Deutschland. | |
In Berlin leben die Schwestern seit 1934, ihr Kloster ist der einzige Ort | |
der Stadt, an dem noch die ewige Anbetung praktiziert wird: 7 Tage die | |
Woche, 24 Stunden am Tag, sitzt mindestens eine von ihnen in der | |
Klosterkirche und betet – seit Gründung der Berliner Niederlassung sind das | |
über 700.000 Stunden. Das Kloster verlassen sie nur für Papstbesuche in | |
Berlin, Arzttermine – und für ihre Corona-Impfungen. | |
## Telefonnummer im Schaukasten | |
Vorsichtig schleiche ich durch die Reihen und suche mir einen Platz auf der | |
anderen Seite. Eine ältere Schwester, neben deren Bank ein Rollator steht, | |
schielt zu mir herüber. War ich zu laut? Hätte ich mich anmelden sollen? | |
Muss ich mich hinknien? Ich fühle mich zurückversetzt in meine Schulzeit, | |
als jeder Tag mit dem prüfenden Blick von Schwester Aloisia begann. An ihr | |
kam nur vorbei, wer sich an die Kleiderordnung hielt: War der Rock zu kurz | |
oder der Ausschnitt zu tief, ging es zurück nach Hause, umziehen. | |
Das katholische Mädchengymnasium, auf das ich ging, wird auch heute noch | |
von Augustiner Chorfrauen betrieben, einige von ihnen waren meine | |
Lehrerinnen. Dass ihr Glaube so stark ist, dass sie ihm alles unterzuordnen | |
bereit sind, habe ich immer gleichermaßen bewundert und für befremdlich | |
gehalten. Verstanden habe ich es nie. Damit scheine ich nicht allein zu | |
sein: Vielerorts haben Orden Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu finden. | |
Auch das Kloster St. Gabriel in Berlin muss Ende des Monats schließen, im | |
Februar werden die rosa Schwestern auf andere Steyler Orden verteilt. Die | |
ewige Anbetung in Berlin ist dann nach über 80 Jahren zu Ende. | |
Das Chorgebet an diesem Nachmittag ist nach einer Stunde vorbei. Eine | |
Ordensschwester bleibt sitzen, die anderen verlassen die Kirche durch die | |
Seitentür, nicht ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen. Als ich wieder | |
vor dem Kloster stehe, sehe ich einen rosa Zettel im Schaukasten: „Wir | |
wollen, dass unsere Schwestern bleiben!“ Um zu verhindern, dass das Kloster | |
verkauft und die Ordensfrauen umgesiedelt werden, brauche es 15 neue | |
Mitglieder. Interessentinnen sollen sich unter der angegebenen Nummer | |
melden. | |
30 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.erzbistumberlin.de/wir-sind/orden/rosa-schwesternsteyler-anbetu… | |
## AUTOREN | |
Johanna Jürgens | |
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