# taz.de -- Der Hausbesuch: Zwei Nonnen, ein Gott | |
> Schwester Tresa John und Schwester Susanne leben im | |
> Franziskanerinnenkloster in Hegne. Eine ist der Tradition verpflichtet, | |
> eine der Moderne. | |
Bild: Schwester Tresa John und Schwester Susanne im Kräutergarten des Klosters | |
Auch das Kloster muss sich neu erfinden und sich in Beziehung setzen zur | |
Welt da draußen. | |
Draußen: Sie sind eine große Familie. 185 Schwestern und alle wohnen in | |
einem Schloss aus dem 16. Jahrhundert. Vor knapp 130 Jahren haben die | |
Franziskanerinnen das Schloss in Hegne, einem kleinen Dorf am Bodensee, | |
[1][in ihr Kloster umgewandelt]. Mit der Zeit entstehen weitere Gebäude – | |
eine Realschule, ein sozialwissenschaftliches Gymnasium, ein Hotel und ein | |
Altenpflegeheim – mit Gärten und Feldern und Blick zum See. | |
Drinnen: Im Hauptgebäude, in dem die Barmherzigen Schwestern vom Heiligen | |
Kreuz wohnen, herrschen Sauberkeit und Glanz. Die Wände sind weiß | |
gestrichen. Überall hängen Kreuze und Gottesbilder, außer im Büro von | |
Schwester Susanne. Auch in ihr Privatzimmer gestattet sie einen Blick: ein | |
bescheidenes Zimmer mit einem Tisch, Schränken und Bett. Das Kreuz an der | |
Wand ist anders als bei allen anderen. Es ist aus Treibholz hergestellt. | |
„Ein Kunstwerk“, sagt sie. | |
Eine Ministerin: Schwester Susanne ist Mitglied der Provinzleitung von | |
Hegne. „Ich bin quasi eine der sechs Ministerinnen im Regierungskabinett“, | |
erklärt sie ihre Position in der Sprache der Politik. Als sie ihr Amt | |
antrat war sie 26, heute ist sie 48 Jahre alt. | |
Angenommen: Warum ging sie ins Kloster? „Weil ich mich hier beheimatet | |
gefühlt habe“, sagt sie. Im ersten Beruf ist Schwester Susanne | |
Kinderkrankenschwester. Als sie in der Kinderklinik in Friedrichshafen | |
arbeitete, fiel ihr ein Heft mit dem Programm des Jugendbildungswerkes des | |
Klosters in die Hände. Schon beim ersten Besuch dort habe sie verstanden: | |
„Hier ist ein guter Platz.“ Wofür? „Für mich. Ich fühlte mich ein Stü… | |
weit zu Hause, angenommen als Mensch, wie ich bin.“ | |
Ein verlorenes Kind: Ihre 74-jährige Mitschwester Tresa John, mit der sie | |
zum Kaffee in das Gästezimmer gekommen ist, habe dagegen schon früh den | |
Wunsch gespürt, ins Kloster zu gehen. Mit 18 kam sie in die Klosterfamilie | |
ins deutsche Hegne. Zurück ließ sie ihre Eltern und sechs Geschwister in | |
ihrer Heimat Indien. Viele Klöster in Europa hätten jüngere Frauen für ihre | |
Klöster gesucht, erzählt sie. Für ihre Familie sei sie am Anfang ein | |
verlorenes Kind gewesen. „Ins Kloster gehen, bedeutete damals ein Abschied | |
für immer.“ Erst sieben Jahre später kam ihre Familie zu Besuch. Sie reist | |
fast jedes drittes Jahr nach Indien. | |
Die Frauen: Aber woher kommt die Idee, als Mädchen ins Kloster zu gehen? In | |
den letzten drei Schulklassen besuchte Schwester Tresa John eine | |
Klosterschule. Dort bewunderte sie ihre Lehrerinnen in ihrer Tracht und | |
wollte es ihnen gleich tun. Das Klischee geht ja so: Oft sind es Frauen, | |
die keine Karriere machen konnten oder keinen Mann gefunden haben oder | |
psychisch instabil sind, die ins Kloster gehen. Ist das so? Schwester | |
Susanne sagt: „Es ist tatsächlich so, dass sich oft junge Frauen mit | |
psychischen Problemen vom Klosterleben angezogen fühlen, weil das Kloster | |
ein Ort für sie ist, wo sie geborgen und aufgehoben sind und Liebe haben.“ | |
Aber heute stimme das nicht mehr so sehr. Es kämen ja ohnehin immer weniger | |
junge Frauen nach. | |
Gott will uns ganz: „Gott will nicht viel oder wenig oder einen Teil von | |
uns. Gott will uns ganz, alles von uns“, dieser Satz, den Spirituelle | |
Schwester Susanne damals gesagt haben, hat sie betroffen gemacht und | |
begleitet sie immer noch. Macht dieser Gedanke nicht irgendwie gefangen? | |
Ist das nicht genau der Satz, der Angst macht und Menschen von der Religion | |
fernhält? Die beiden Schwestern am Tisch bleiben eine Weile still. | |
Gottesfurcht: „Gottesfurcht hat mit dem Gottesbild zu tun“, sagt Schwester | |
Susanne. „Ist das der Gott, der mich in Besitz nehmen will oder ist es der | |
Gott, der Freiheit lässt?“ Ihr Gottesbild habe sich über die Jahre | |
gewandelt. „Gott hält mich nicht fest, sondern begleitet mich auf meinen | |
Wegen.“ Und sie ergänzt: „Ich muss nicht anders sein, als ich bin. Und zu | |
diesem Gott will ich gehören.“ | |
Der andere Gott: Ist es derselbe Gott, an den Schwester Tresa John glaubt? | |
„Ihr Gott ist auch mein Gott“, sagt sie. „Wir sind alle Gotteskinder. Doch | |
wie wir selbst zu unserem Vater stehen, macht den Unterschied.“ | |
Wein auf dem Tisch: Schwester Tresa John hat 30 Jahre als Erzieherin in | |
unterschiedlichen Kindergärten gearbeitet. Heute ist sie für den Speisesaal | |
zuständig. Sie kümmert sich darum, dass ihre Mitschwestern gut versorgt | |
sind. Ab und zu gibt es auch Alkohol. „Ich stelle zwei Liter Wein für 40 | |
Schwestern bereit“, sagt sie. „Also nicht so viel.“ | |
Alltag und Gebet: Der Alltag ist geregelt. Um sechs Uhr klingeln ihre | |
Wecker, damit sie zum ersten gemeinsamen Gottesdienst um sieben Uhr gehen | |
können. Und wenn nicht? Sie lachen. Sie schlafen beide aus, wenn sie am Tag | |
zuvor viel gearbeitet haben. „Aber nicht mal jeden Monat passiert so was“, | |
meint Schwester Susanne. Drei Mal am Tag beten die Schwestern gemeinsam und | |
dazwischen beschäftigt sich Schwester Susanne mit der Bürokratie. Wie | |
kriegt sie einen freien Kopf und lässt ihr Papier auf dem Schreibtisch in | |
Ruhe, um mit Gott zu reden? „Wenn mein Gebet nicht in meiner Arbeit | |
vorkommt und meine Arbeit nicht in meinem Gebet, dann stimmt mein Leben | |
nicht“, sagt sie. „Mein Gebet ist mehr Haltung als Tun.“ | |
Raus aus dem Kloster: Das Leben besteht aber nicht nur aus Beten. Das | |
Kloster hat Geld. „Es gibt Klöster, die arm sind, Hegne aber nicht“, sagt | |
Schwester Tresa John. Vor 55 Jahren seien es über 1.000 Schwestern gewesen, | |
die ihr Vermögen dem Kloster übergaben „Und wir haben alle gearbeitet“, | |
sagt sie. Sie bekommt auch Taschengeld, wenn sie Eis essen oder ins Kino | |
gehen möchte. Doch immer in Nonnentracht. | |
Kurze Hose: „Ich möchte als Schwester in Ordenstracht leben, nicht in | |
Zivil“, sagt Schwester Tresa John. Mitschwester Susanne sieht es anders. | |
Sie legt immer wieder ihr Habit ab, um in kurzen Hosen im Klostergarten zu | |
arbeiten. Auch bei ihren Fahrradtouren ist sie mit kurzen Hosen und im | |
T-Shirt unterwegs – und die Haare sind offen. | |
Überraschung: „Es gibt immer einen Überraschungsmoment, wenn Menschen | |
erfahren, dass sie eine Nonne ist“, sagt Schwester Tresa John. Schwester | |
Susanne überrascht auch ihre Mitschwestern im Kloster. „Am Anfang hat mich | |
das gestört“, sagt Schwester Tresa John. Inzwischen habe sie sich daran | |
gewöhnt – „Obwohl ich es immer noch nicht in Ordnung finde.“ | |
Sie würde sich wünschen, dass Schwester Susanne wenigstens lange Hosen | |
anzieht. | |
Authentisch leben: Warum provoziert Schwester Susanne ihre Mitschwester? | |
Oder hat sie andere Lebensgefühle, wenn sie in zivil ist? „Es ist einfach | |
praktisch“, erklärt sie. „Und ich fühle mich immer als die gleiche Person | |
vor Gott, egal was ich anhabe.“ Sie verstoße auch nicht gegen die | |
Klosterregeln. „Wir haben als Ordensgemeinschaft entschieden, in Ausnahmen | |
in zivil gehen zu können“, sagt Schwester Susanne. „Wann die Ausnahmen | |
sind, haben wir nicht festgelegt. Deswegen sage ich, wenn Kritik an mir | |
kommt, wir hätten aber doch so entschieden. Ich darf das.“ | |
Friktionen: Zusammenleben kann schön sein, aber auch nerven. „Das gibt es | |
wirklich, dass ich sage, Mensch, sie geht mir auf die Nerven“, sagt | |
Schwester Tresa John. Was macht man dann? „Wir sind keine Heiligen und ich | |
kann nicht jeden Tag mit jeder gut auskommen. Es gibt Schwestern, denen ich | |
einfach aus dem Weg gehe“, sagt Schwester Susanne. „Versöhnt leben klappt | |
nicht immer.“ Doch da sie sich freiwillig entschieden haben, in dieser | |
Gemeinschaft zu leben, bleibe nur „zu lernen, versöhnt zu leben“. Da sind | |
sich beide einig. | |
Politik und Kloster: „Hegne hat immer schwarz gewählt“, hört man im | |
Kloster. „Ich fühle mich nicht verpflichtet, CDU zu wählen“, sagt Schwest… | |
Susanne. Ihre Mitschwester Tresa John will „neutral bleiben.“ Sie hat kein | |
Wahlrecht, weil sie Inderin bleiben wollte und deshalb keinen deutschen | |
Pass hat. Doch mit Olaf Scholz sei sie zufrieden, „weil er gesiegt hat“. | |
Auch für Schwester Susanne ist Scholz der beste Kandidat, die anderen seien | |
keine Kanzlerpersönlichkeiten gewesen. | |
Klima und Kloster: „Doch als Franziskanerinnen sind wir der Partei der | |
Grünen gegenüber nicht abgeneigt“, sagt Schwester Susanne. Stichpunkt: | |
Klimawandel. Sie betreiben ihre Landwirtschaft nachhaltig und seien mit | |
Solarenergie versorgt. | |
Modernisierung: Auch das Kloster braucht Modernisierung und Verjüngung, sie | |
werden immer weniger. „Wir können aber Leute nicht hierher locken“, sagt | |
Schwester Tresa John. Schwester Susanne findet: „Wenn wir eine Vision | |
haben, dann könnten wir es machen.“ Sie wirkt besorgt. „Zuerst ist da die | |
Vision, dann kommen die Menschen dazu, dann das Management“, erklärt sie | |
und fügt hinzu: „Genauso stirbt eine Institution wieder, wenn die Vision | |
stirbt.“ Jede hier im Kloster stehe an ihrem Ort und mache ihre Arbeit gut, | |
aber es gäbe zu wenig Berührungspunkte. Vor allem die jüngeren Schwestern | |
hätten es schwer miteinander. Deshalb wünscht sich Schwester Susanne: „Wir | |
müssen näher zusammenkommen.“ | |
1 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kloster-hegne.de/kloster/unser-kloster-hegne/die-kreuzschwester… | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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