| # taz.de -- Der Hausbesuch: Der Sport formt ihr Leben | |
| > Die Handballerin Britta Wend hatte vor drei Jahren einen Unfall. Jetzt | |
| > spielt sie Rollstuhltennis auf internationalem Niveau. | |
| Bild: Britta Wend in ihrer Küche | |
| Auch ihr Tag hat nur 24 Stunden. Das macht es nicht ganz einfach für Britta | |
| Wend, Sport, Studium, Umzug, Familie und Politik unter einen Hut zu | |
| bringen. | |
| Draußen: Britta Wends Wohnung liegt im ersten Stock eines Neubaus. „Von | |
| außen seelenlos“ sei das Gebäude, in das sie kürzlich eingezogen ist. Die | |
| kastenförmige Architektur gibt es in vielen deutschen Neubaugebieten. Vier | |
| dieser uniformen Häuser stehen nebeneinander. Die Sonne geht gerade unter | |
| in Remscheid, es ist kalt. „Eigentlich bin ich ein Stadtmensch, aber diese | |
| Wohnung hätte ich mir in Köln niemals leisten können“, sagt Britta Wend. | |
| Drinnen: „Bei barrierefreien Wohnungen kommen fast nur Neubauten in Frage“, | |
| sagt sie und entschuldigt sich: „Hier sieht es noch ein wenig unordentlich | |
| aus.“ Sofa, Esstisch und Fernseher stehen zwar schon an ihren Plätzen, die | |
| Küche aber ist noch nicht eingerichtet. Gekocht wird mit einer einzelnen | |
| Herdplatte und einem Thermomix. „Das geht ganz gut, nur der Abwasch in der | |
| Badewanne nervt.“ | |
| Der Freund: Wend zog mit ihrem Freund zusammen, einem Bauingenieur aus | |
| Dortmund. „Wir haben uns – was für ein Klischee – bei der Mannschaftsfah… | |
| auf Mallorca kennengelernt. Wir waren beide Handballer. Seit über sieben | |
| Jahren sind wir jetzt zusammen.“ Es ist die erste gemeinsame Wohnung. Zwei | |
| sich ähnelnde Bilder stehen noch auf dem Boden. „Das da sind legendäre | |
| Schalke-Spieler, mein Freund ist Schalke-Fan. Und das hier sind bekannte | |
| Frauen wie Marie Curie und Serena Williams. Ich bin Frauen-Fan“, sagt | |
| Britta Wend. | |
| In Bewegung sein: Zeit, sich einzurichten, hat sie gerade nicht. „Nächstes | |
| Wochenende fliege ich in die Türkei. Wir spielen dort zwei Turniere in | |
| einer Woche, vielleicht kriegen wir sogar etwas Sonne ab“, sagt Wend. Sie | |
| ist Nationalspielerin im Rollstuhltennis. Die Sportart kenne in Deutschland | |
| aber fast keiner. „Das Prinzip ist wie bei den Fußgänger*innen“, so nennt | |
| sie Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen. „Man möchte den Ball einmal | |
| mehr über das Netz schlagen als der Gegner.“ Die größte Schwierigkeit sei | |
| die Koordination. „Gleichzeitig den Schläger in der Hand zu halten und den | |
| Rollstuhl zu bewegen, ist nicht leicht. Man muss immer in Bewegung | |
| bleiben.“ | |
| Turniere: Gemeinsam mit Katharina Krüger aus Berlin bildet sie die deutsche | |
| Nationalmannschaft im Rollstuhltennis. „Wir spielen in diesen Turnieren um | |
| unseren Platz in der Weltrangliste“, sagt Wend. Aktuell steht sie auf Platz | |
| 40, im Sommer war sie noch auf Platz 70. „Ab jetzt ist die Leistungsdichte | |
| aber enger.“ Ihr Ziel sei eine Qualifikation für die Paralympics. „Dabei | |
| habe ich erst dieses Jahr wirklich angefangen. Gestartet sind meine Trainer | |
| und ich ohne Ziel, ohne wirklichen Plan.“ | |
| Schicksal: Wend studiert Sportmanagement und -kommunikation. Im Januar 2019 | |
| verletzte sie sich bei Akrobatikübungen. „Ich hatte die Übung davor schon | |
| etliche Male gemacht. Man steht auf den Schultern einer Person, springt ab | |
| und landet vor ihr. Dann machen beide gleichzeitig eine Flugrolle“, sagt | |
| sie. Normalerweise sei das nicht schwer. Sie turne schon seit ihrer | |
| Kindheit. Ihre Mutter brachte sie damals ins Training. „Das war die einzige | |
| Sportart, bei der sie mich einfach mal abgeben konnte.“ Aber an diesem Tag | |
| sei sie mit dem Kopf nicht ganz da gewesen. „Die Person unten hat sich nach | |
| vorne gelehnt. Wie das sein muss. Aber anstatt abzuspringen, habe ich | |
| direkt zur Rolle angesetzt und bin auf meinem oberen Rücken gelandet.“ Der | |
| oberste Lendenwirbel brach. | |
| Kein Defizit: Sie spürte den Schmerz direkt, konnte ihre Beine nicht mehr | |
| ganz bewegen. Sie fand sich schnell ab mit der Behinderung. „Für mich war | |
| das nicht so schlimm, wie sich das alle vorstellen“, sagt Wend. „Am Anfang | |
| haben mir alle gesagt: Es ist so toll, wie du damit umgehst. Und das hat | |
| mich immer gestört, ich wusste aber nicht so ganz, warum.“ Durch Gespräche | |
| mit Aktivist*innen habe sie verstanden, dass man damit implizit sagte, | |
| dass ihr Leben schlechter geworden sei. „Aber das stimmt nicht. | |
| Rollstuhltennis könnte ich ohne meine Behinderung nicht spielen.“ Wend hat | |
| sich lange schwer damit getan, das so auszudrücken. Behinderung werde immer | |
| als etwas Defizitäres dargestellt, vor allem in den Medien. „Für jemanden, | |
| der es so erlebt, darf es das natürlich auch sein. Aber: Ich habe eine | |
| Behinderung, und das ist gut so.“ Als behinderte Person könne man ja auch | |
| ableistische Denkstrukturen, also verinnerlichte Diskriminierungen, haben. | |
| „Das versuche ich bei mir abzulegen. Es ist ein Teil von mir. Wie so | |
| vieles, was man sich nicht aussuchen kann.“ | |
| Glück: Wend sagt, sie habe noch Glück gehabt. Ihr Unfall passierte an der | |
| Uni. So gilt er als Arbeitsunfall, die Versicherung greift. „Eigentlich | |
| habe ich finanziell ausgesorgt. Aber manchmal würde ich gerne teilen, | |
| anderen helfen.“ Hier sieht sie eine große Ungerechtigkeit des | |
| Gesundheitssystems. „Nur weil mir das auf der Arbeit passiert ist, werde | |
| ich aufgefangen. Viele andere müssen um jeden Rollstuhl kämpfen. Das ist | |
| die wahre Zwei-Klassen-Medizin.“ | |
| Förderung: Trotzdem spart sie jetzt schon für die Zukunft. Noch wird sie | |
| vom Behindertensportverband gefördert. Als Spitzensportlerin hat sie einen | |
| Kaderstatus, wegen ihres Alters. Sie ist 25. Noch bis zum Ende ihres | |
| nächsten Lebensjahres wird sie deshalb unterstützt. „Aber 2023 geht es ja | |
| auf die Qualifikation für die Paralympics zu. Dafür fange ich jetzt schon | |
| an zu sparen.“ Denn ihr Sport sei sehr teuer, allein ihr Sportrollstuhl | |
| kostet 10.000 Euro. | |
| Anerkennung: Da es für Rollstuhltennis nur zwei Medaillen gibt, sei es | |
| schwer, in die Weltspitze und damit an Sponsoren zu kommen, sagt Wend. Beim | |
| Schwimmen gibt es viel mehr Medaillen, wodurch man schneller an eine | |
| Förderung komme. „Da wird mir implizit vermittelt, dass es besser wäre, | |
| wenn ich einen anderen Sport machen würde.“ In anderen Ländern sei | |
| Rollstuhltennis sichtbarer. „In Japan zum Beispiel. Da gibt es einen | |
| eigenen Comic über Shingo Kunieda, den besten Rollstuhltennisspieler.“ | |
| Training: Auch das regelmäßige Training sei teuer. „Ich zahle immer drauf, | |
| um meinen Sport machen zu können.“ Viermal in der Woche spielt sie Tennis, | |
| dreimal macht sie Kraft- oder Ausdauertraining. „Die Halle, das Material, | |
| die Fahrten. All das kostet.“ Dank der größeren und günstigeren Wohnung in | |
| Remscheid will sie sich jetzt aber ein eigenes Fitnessstudio zu Hause | |
| aufbauen, mit Freihanteln und Rudergerät. Für den Ausdauersport könne sie | |
| mit dem Handbike fahren, einem Fahrrad, bei dem man mit den Händen die | |
| Pedale bewegt. „Da gibt es in der Nähe eine schöne Route entlang einer | |
| alten Bahntrasse. Oder ich fahre einfach Rollstuhl, bergauf, bergab. Aber | |
| das ist genauso langweilig wie Joggen.“ | |
| Arbeit: Neben dem Studium und dem Training arbeitet sie als Studentische | |
| Hilfskraft an der Sporthochschule. Für eine Kooperation mit einem Start-up, | |
| das die erste Sport-App für Menschen mit Behinderung auf den Markt bringen | |
| will. „Ich entwickle Übungen und Trainingsprogramme“, sagt sie. „Dabei g… | |
| es aber natürlich viele Schwierigkeiten.“ Der Algorithmus müsse erkennen, | |
| welche Übungen machbar sind. Das unterscheide sich je nach Art und Grad der | |
| Behinderung. | |
| Zeit: All das ist sehr zeitintensiv. „Mir fällt es schwer, bei den vielen | |
| Sachen, die so anstehen, den Kontakt zu halten. Ich vernachlässige manchmal | |
| Leute, ohne dass ich das will.“ Ihre Familie sei ihr sehr wichtig, | |
| insbesondere ihre drei kleinen Nichten. „Die versuche ich schon regelmäßig | |
| zu sehen. Leider bleibt daneben so einiges auf der Strecke.“ Unter anderem | |
| die Parteiarbeit. Denn eigentlich ist Britta Mitglied bei den Jusos. Nur | |
| schaffe sie es nicht, aktiver am Parteileben teilzunehmen. „Das ist gerade | |
| jetzt in der neuen Stadt schade. Das verbindet doch Sport und Politik: Egal | |
| wo man hinkommt, hat man direkt eine Gemeinschaft.“ | |
| 24 Jan 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Marius Ochs | |
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