# taz.de -- Der Hausbesuch: Eat. Paint. Love | |
> Konkurrenz und Wertschätzung: Eine Künstlerin und ein Künstler leben | |
> zusammen – und lieben sich. Aber kann so etwas überhaupt gutgehen? | |
Bild: Respekt, Bewunderung und Liebe – alles da | |
Einen Tee soll es geben. „Artischockentee?“, fragt Michael Wutz und | |
korrigiert sich: „Nein, doch grüner.“ Den anderen habe seine Partnerin | |
weggeworfen, erklärt er und sieht etwas enttäuscht zu Franziska Klotz | |
rüber. Sie: „Ach Michi.“ Dann deckt das Künstler:innenpaar den Tisch in | |
ihrem gemeinsamen Wohnzimmer. | |
Draußen: Gleißend hell beißt die Sonne sich durch die Blätter der Bäume vor | |
dem Fenster, ihr Licht erzeugt ein verzaubertes Glitzern. Die Bäume stehen | |
an einer dicht befahrenen Straße am Rande von Prenzlauer Berg, im | |
ehemaligen Berliner Osten. Am Tag des Mauerfalls stauten sich hier die | |
Autos hin bis zum ersten geöffneten Grenzübergang. | |
Drinnen: Über dem einen Sofa hängen ihre Kunstwerke, über dem anderen | |
seine. Seine zeigen Abfälle, die bei der Produktion von Steinzeitwerkzeug | |
entstanden sind. Er hat sie gefunden, neu zusammengesetzt und in Braun und | |
Blau gezeichnet. Auf ihren: Porträts von Frauen, die sich, als sie noch | |
jung waren, vor Jahrtausenden für ihre späteren Sarkophage auf Holzbretter | |
malen ließen. Franziska Klotz hat diese Abbildungen abgemalt. | |
Objekte: Es sind Bilder von Bildern. Franziska Klotz sagt: „Die Porträts | |
waren zweitrangig, es ging mir mehr um das Holz.“ Wichtig waren ihr wie so | |
oft die Objekte. Am liebsten malt sie jedoch Dinge, die beim Malen vor ihr | |
liegen, manche davon überlebensgroß. Sie liebt diese großen Formate, die | |
tänzerischen Bewegungen vor der Leinwand. In einem ihrer Kataloge zeigt sie | |
ein Bild von einem Briefumschlag. Es ist 1,9 mal 2,3 Meter groß. | |
Verbindungen: Die Liebe zu den Objekten verbindet sie. Michael Wutz sagt: | |
„Wir sind gegenständliche Künstler. Gleichzeitig sind wir auch abstrakte | |
Künstler.“ Er spricht während der Unterhaltung vor allem und am liebsten | |
über seine Arbeit. Zwischendrin ruht er sich aus. Sein Ohr pocht, er hat | |
eine leichte Mittelohrentzündung. Aber erst mal zu Franziska Klotz. | |
Ihre Wege: Sie ist 1979 in Dresden geboren. „Mein Vater war Maler und | |
Professor für Malerei“, sagt sie. „Eigentlich sollte ich klassischen Gesang | |
studieren.“ Der Vater hätte das so gewollt. „Und ich wollte das auch ganz | |
lange.“ Also ging sie zur Wendezeit nach Dänemark auf eine internationale | |
Musikschule, lebte dort im Internat. | |
Freiheit: Als Befreiung beschreibt sie den Weggang aus Deutschland. Die | |
Wendezeit, meint sie, war keine gute. „Wir waren Ossis, wir sind zum Teil | |
beschimpft worden. Deshalb fand ich es sehr erheiternd, nach Dänemark gehen | |
zu dürfen.“ Auch in der Musik war die Befreiung zu spüren. Klotz war die | |
Einzige im Internat, die Klassik spielte. „Da bin ich dann ein bisschen von | |
weggekommen und ins Jazzige gerutscht.“ Nach dem Abitur zog sie nach Berlin | |
und arbeitete dort in den Werkstätten verschiedener Theater. Sie wollte | |
Bühnenbild studieren. „Ich habe immer gerne gemalt.“ | |
Großmutter: Wegen der Großmutter, die dort lebte, begeisterte Franziska | |
Klotz sich für Berlin. Die Stadt wurde früh zu einem Sehnsuchtsort. | |
Schließlich habe die Großmutter sie geprägt, mit ihrem Frohmut, dem | |
Selbstbewusstsein. Neben der Tür hängt ein Erbstück von ihr: aufgespießte | |
Schmetterlinge hinter Glas. | |
Mystik: „Meine Großmutter war sehr fantastisch“, sagt Franziska Klotz. Habe | |
ihr viele Geschichten erzählt. Das Mystische, was sich in vielen ihrer | |
Bilder findet, hat sie vielleicht auch von ihr. In Berlin-Weißensee | |
studierte Klotz Kunst. Auch etwas, worin die Großmutter sie unterstützte. | |
Berlin: Und warum wollte Michael Wutz nach Berlin? Schulterzucken. Seine | |
Partnerin schaut ihn an: „Einfach weit weg, wa?“ Es zog ihn in die | |
Hauptstadt, obwohl er Menschenmengen scheute. „Ich habe mehr Angst vor | |
Menschen als vor dem Alleinsein“, sagt er. „Ich bin anders, ich treffe | |
gerne Menschen“, sagt sie. | |
Seine Wege: Michael Wutz studierte an der Berliner Universität der Künste. | |
„Ich habe mich damals sehr stark auf Radierungen konzentriert, und das ist | |
bis heute mein wichtigstes Medium.“ Franziska Klotz fragt: „Kann ich dein | |
Germania zeigen?“ Nicken. Sie holt einen Katalog mit dem Bild der geplanten | |
Nazi-Welthauptstadt aus dem Regal. „Ich habe Germania radiert, als wäre es | |
wirklich gebaut worden“, sagt er. | |
Nazis: Außer mit Frühgeschichte setzt sich Michael Wutz in seinen Arbeiten | |
auch viel mit dem Nationalsozialismus auseinander. In seinem familiären | |
Umfeld gebe es Begeisterung für die AfD. Für ihn Anlass genug, um sich auch | |
mit aktuellen Formen des Faschistoiden zu befassen. „Einer neuen Form von | |
kulturellem Rassismus und Kulturpessimismus“, die mit der Vorstellung | |
einhergehe, dass „eine Form des Untergangs bevorstünde“. Er sieht darin vor | |
allem einem Hang zum Mythos und zu einer Abkehr von der Realität. | |
Geschichte: In seiner Arbeit gehe es also um die Kritik am Umgang mit dem | |
Reellen – und der Geschichte. „Mir geht es um eine Verdinglichung der | |
Geschichte. Wenn etwas als Ding wahrgenommen wird, wird es herausgenommen | |
aus dem Ganzen.“ Er zitiert Adorno: „Alle Verdinglichung ist ein | |
Vergessen.“ | |
Seine Kindheit: Der Vater war Geschichtslehrer und hat ihn dazu angeregt, | |
sich mit dem Historischen auseinanderzusetzen. 1979 wurde Michael Wutz im | |
bayrischen Günzburg geboren. „Wir haben direkt an der Donau gewohnt. Es war | |
eine Kindheit, wo man draußen war.“ Unweit des Wohnorts hatte es eine | |
bronzezeitliche Siedlung gegeben. Schon als Kind machte er archäologische | |
Funde: „Schöne verzierte Scherben, ein paar Knochengeräte.“ Im Wohnzimmer | |
liegen heute welche davon in einer Tischvitrine. Die alten Gegenstände | |
haben ihn schon immer fasziniert. „Mein Bruder und ich wurden von einem | |
Kreisheimatpfleger angelernt“, sagt er. | |
Und ihre Kindheit? „Ich war auch viel draußen“, sagt Franziska Klotz. Doch | |
ihr ging es mehr um die Menschen und die Kunst. „Ich habe viel gesehen, wir | |
haben uns oft einfach ins Auto gesetzt.“ Sie sei in einer intellektuellen | |
Familie aufgewachsen und war oft in Museen und Galerien. „Geist war | |
wichtig.“ Zu Hause wurde viel diskutiert. Über „Weltgeschehen, | |
humanistische Themen“ – und eben über Kunst. Der Vater war „wegen dem | |
Finanziellen“ von ihrer Berufswahl dennoch nicht begeistert. Bereut hat | |
Franziska Klotz ihren Weg jedoch nie. | |
Leben: Heute leben sie und Michael Wutz beide von der Kunst. Auch wenn es | |
nicht immer einfach ist. „Es gibt solche und solche Phasen“, sagt sie. | |
Manchmal bringt das Leben unvorhersehbare Umbrüche. Wutz hat vor einem Jahr | |
seine Galeristin verloren, die ihn nach dem Studium entdeckte: Rebeccah | |
Blum. „Die hatte einen großen Drang, Künstlerinnen und Künstler | |
aufzubauen.“ Bis sie [1][Opfer eines Femizids wurde]. Ihr Lebensgefährte | |
hat sie erstochen. Franziska Klotz sagt: „Es war furchtbar.“ | |
Krankheit: Doch sie lassen sich von Düsterem nicht die Kunst verderben. | |
Auch von Franziska Klotz’ Erkrankung nicht: 2019 wurde ihr Multiple | |
Sklerose diagnostiziert. Trocken sagt sie: „In der Kunst darf man nicht | |
kränkeln.“ Ob die Krankheit sie beim Malen stark beeinträchtigt? „Wenn ich | |
merke, dass etwas kommt, mache ich erst recht die Bewegung.“ Und wenn es zu | |
viel wird? „Gehe ich in die Tusche, das hat etwas Meditatives.“ | |
Treffen: Wie haben sie sich kennengelernt? Michael Wutz zündet sich eine | |
Zigarette an und raucht sie am offenen Fenster: „Ich weiß gar nicht mehr, | |
wie.“ Franziska Klotz sagt: „Wir haben zusammen ausgestellt.“ Später sei… | |
sie sich immer wieder über den Weg gelaufen. „Und dann ist man irgendwann | |
in einer Bar geendet“, sagt er. | |
Liebe: Sie sagt: „Ich hatte Respekt vor seiner Arbeit, die fand ich ganz | |
toll.“ Er sagt schwärmerisch-ironisch, dass sie die letzte ernstzunehmende | |
Malerin sei. Seit 2011 sind sie zusammen. Sie nennt ihn einen Schelm. Sie | |
könne gut kochen, sagt er, bevor sie es als Lüge entlarvt. Manchmal, sagt | |
er, gäbe es bei ihnen „geschälte Kartoffeln à la Franziska“. | |
16 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lea De Gregorio | |
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