| # taz.de -- Datenschutz im öffentlichen Dienst: „Es braucht eine kleine Revo… | |
| > Die FU Berlin nutzt ein Videokonferenzsystem, das nicht | |
| > datenschutzkonform ist. Das Problem betrifft nicht nur die Uni, sagt | |
| > Tobias Schulze (Linke). | |
| Bild: Boomen seit Corona: Videokonferenztools, hier in Japan | |
| taz: Herr Schulze, am Mittwoch wurde bekannt, dass die Freie Universität | |
| Berlin (FU) ein Videokonferenzsystem einsetzt, das nicht datenschutzkonform | |
| und daher rechtswidrig ist. Das hat [1][die Berliner Datenschutzbeauftragte | |
| festgestellt]. Überrascht Sie der Befund? | |
| Tobias Schulze: Nein. Es gibt seit längerem [2][eine Liste mit | |
| Einschätzungen der Datenschutzbeauftragten] zu den verschiedenen | |
| Videokonferenztools. Darauf werden einige Anwendungen insbesondere aus dem | |
| Open-Source-Bereich als datenschutzkonform dargestellt. Andere – | |
| insbesondere aus dem proprietären, also herstellerspezifischen Bereich – | |
| als nicht-datenschutzkonform. Zu letzteren gehört auch Cisco Webex, das die | |
| FU verwendet. Seit dieser Prüfung wusste die Uni, worauf sie sich einlässt. | |
| Allerdings gibt es [3][Zoom, Microsoft Teams oder auch Webex in sehr | |
| unterschiedlichen Varianten]; in manchen sind sie datenschutzkonformer. | |
| Das stimmt. Es kommt auf die spezifische Konfiguration an. Und natürlich | |
| hatten alle – also öffentliche Stellen wie private Unternehmen – zu Beginn | |
| der Pandemie große Probleme, von den üblichen Präsenzabläufen auf Video | |
| umzustellen. Große Anbieter, die die entsprechenden Serverkapazitäten im | |
| Hintergrund haben, waren im Vorteil und konnten schnell Lösungen | |
| präsentieren. | |
| Inzwischen dauert die Pandemie fast zwei Jahre… | |
| Wir müssen uns deshalb jetzt genau anschauen, was mit den Daten passieren | |
| kann, die über die entsprechenden Cloudserver laufen. Inzwischen kann man | |
| bei der Auswahl der vielen Konferenztools die Abwägung treffen: Das | |
| funktioniert – auch mit Blick auf den Datenschutz. Bei den anderen muss man | |
| umsteuern und andere Lösungen finden. | |
| Die FU hat bereits Mitte November die Einschätzung der | |
| Datenschutzbeauftragten bekommen. Was muss die Uni jetzt tun? | |
| Die Hochschule sollte sich anschauen, mit welcher Konfiguration sie Webex | |
| betreibt und wo genau die Schwachpunkte sind. Es muss geklärt werden, ob | |
| beispielsweise die Server in Europa stehen und so abgesichert sind, dass | |
| die Daten dort nicht von ausländischen Geheimdiensten abgegriffen werden | |
| können. Das wird in der Regel nicht der Fall sein, weil ausländische | |
| Dienste auch auf europäische Server der Unternehmen Zugriff haben. | |
| Was schlagen Sie vor? | |
| Die beste Variante dürfte eine Umstellung auf eigene Server in einem | |
| eigenen Rechenzentrum sein. Die FU muss jetzt in den Austausch mit der | |
| Datenschutzbeauftragten gehen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. | |
| Was bedeutet die Einschätzung der Datenschutzbeauftragen für die rund | |
| 40.000 Studierenden und für die Wissenschaftler? | |
| Zunächst ist es die Pflicht der Universität, die Studierenden, Lehrenden | |
| und Beschäftigten darauf aufmerksam zu machen, dass sie ein | |
| Videokonferenztool benutzen, bei dem Daten über Server im Ausland fließen. | |
| Die Beschäftigten und Studierenden müssen selbst einschätzen können, ob sie | |
| dieses Risiko eingehen wollen oder nicht. Das sieht [4][die | |
| Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)] so vor. | |
| Studierende haben diese Wahl doch gar nicht: Es werden ja viele Seminare | |
| oder Vorlesungen angeboten über dieses Tool. Wer da sagt, ich mache nicht | |
| mit, kann de facto nicht studieren. | |
| Das ist genau das Problem. Trotzdem ist die Information der Betroffenen | |
| erst mal wichtig. Die Datenschutzgrundverordnung sieht klare | |
| Transparenzregeln vor und die sind auch von der FU einzuhalten. Offenbar | |
| hat sie nicht einmal eine Einverständniserklärung bezüglich der Risiken von | |
| allen eingeholt, die die Konferenztools nutzen. Insofern hat die | |
| Universität noch viel nachzuholen. | |
| Rot-Grün-Rot hat im neuen Koalitionsvertrag festgelegt, dass die | |
| Möglichkeiten und Rechte der Berliner Datenschutzbeauftragten gestärkt | |
| werden sollen. Hat sie denn in diesem Fall genügend Durchgriffsrechte? | |
| Ja. Das Problem sind eher die Ressourcen. Das Aufkommen an Anfragen und | |
| Bitten um Überprüfung ist massiv gestiegen. Wir haben in der Koalition | |
| vereinbart, dass die Datenschutzbeauftragte deshalb neue Stellen bekommt, | |
| zumal sie zukünftig nicht mehr nur auf den Datenschutz achten muss, sondern | |
| auch auf das Thema Informationsfreiheit und Transparenz. | |
| Zum anderen ist im Koalitionsvertrag vereinbart worden, künftig primär | |
| selbst entwickelte Open-Source-Lösungen für die Verwaltung einzusetzen. | |
| Warum? | |
| Gerade die öffentliche Verwaltung, über die sehr sensible Daten laufen, | |
| braucht Lösungen, bei denen sich die Bürgerinnen und Bürger sicher sein | |
| können, dass ihre Daten in guten Händen sind und nicht von unbefugten | |
| Stellen abgegriffen werden können. Doch die Strategien fast aller großer | |
| Software-Konzerne zielt darauf, ihre Leistungen aus der Cloud anzubieten. | |
| Das betrifft zum Beispiel auch Microsoft. Damit sind im Prinzip diese | |
| Softwarelösungen und Betriebssysteme nicht mehr entsprechend der | |
| Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einsetzbar. | |
| Neue Software müsste sehr schnell kommen, oder? | |
| Ja, wir haben Handlungsdruck. | |
| Sind staatliche Entwickler überhaupt in der Lage, mit den großen Techfirmen | |
| mitzuhalten? | |
| Das ist je nach Einsatzzweck der Software unterschiedlich. Die größten | |
| Probleme haben wir im Bereich der Betriebssysteme. Bei Anwendungen und | |
| Office-Lösungen ist es deutlich einfacher. Das Entscheidende ist, dass wir | |
| uns als öffentliche Hand unabhängiger machen von den | |
| Unternehmensstrategien. Und zwar nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern | |
| auch aus Gründen der Demokratie und der Transparenz. | |
| Über welchen Zeithorizont reden wir gerade? | |
| Was die Betriebssysteme der Rechner angeht, sicherlich längere Zeiträume. | |
| Also fünf bis zehn Jahre? | |
| Nein, zehn Jahre darf es nicht dauern. Wir haben vor kurzem in der | |
| Verwaltung Windows 10 eingeführt. Ich denke, danach werden wir kein neues | |
| Microsoft-Betriebssystem mehr bekommen. Also müssen wir schon in den | |
| nächsten Jahren die Umstellung auf andere Betriebssysteme hinbekommen. | |
| Das wäre eine kleine Revolution. | |
| Ja. Wir sind aber auch Getriebene. | |
| Drohen Klagen, etwa von Mitarbeitenden der Verwaltung? | |
| Es werden weniger die Mitarbeiter sein, auch wenn sie das könnten, als | |
| vielmehr die entsprechenden Organisationen aus dem Datenschutzbereich. Sie | |
| haben schon Rügen gegen verschiedene öffentliche Träger in Deutschland | |
| ausgesprochen. | |
| Die Länder und der Bund arbeiten bei der Entwicklung von Software zusammen. | |
| Ist diese Kooperation eher förder- oder hinderlich, etwa weil es viele | |
| Abstimmungsfragen gibt? | |
| Die Zusammenarbeit ist unabdingbar. Kein Land mit IT-Dienstleister ist | |
| allein so stark, dass es für sich alleine Lösungen entwickeln kann. Es gilt | |
| das Prinzip: Ein Träger entwickelt für alle die entsprechende Lösung, | |
| darauf können dann alle zugreifen. Wir haben beispielsweise einen | |
| öffentlichen Dienstleister wie Dataport in Norddeutschland, der von | |
| mehreren Bundesländern betrieben wird und Lösungen ausrollt, die auch in | |
| anderen Bundesländern nutzbar sind. | |
| 6 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mangelhafter-Datenschutz-an-Uni/!5823593 | |
| [2] https://www.datenschutz-berlin.de/fileadmin/user_upload/pdf/orientierungshi… | |
| [3] /Volkssport-Zoom-Konferenzen/!5823282 | |
| [4] /Ein-Jahr-DSGVO/!5597437 | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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