| # taz.de -- Datenschutz bei Videokonferenzen: Da wird lieber weggeschaut | |
| > Die FU Berlin ignoriert ihr Datenschutzproblem mit dem Konferenztool | |
| > Cisco Webex. Das wird übrigens auch vom Bundestag genutzt. Ein | |
| > Wochenkommentar. | |
| Bild: Was sieht sie – und wer kriegt die Daten? | |
| Der Anspruch, den die Freie Universität Berlin (FU) vor sich herträgt, ist | |
| gewaltig: Bereits seit 2007 gehöre die Hochschule zu den | |
| Exzellenzuniversitäten in Deutschland, lobt man sich auf der Startseite der | |
| eigenen Homepage; die FU sei „führend in Wissenschaft und Lehre, in der | |
| Region vielfältig vernetzt und international aufgestellt“. | |
| Wer genauer hinschaut, hat eher den Eindruck, die Uni würde sich gerne im | |
| kuscheligen Villenviertel Berlin-Dahlem einmümmeln und von der weiten Welt | |
| nichts mitkriegen. So wie vor dem Mauerfall, als die FU ein | |
| Universitätstanker der größten Kategorie und meist mit sich selbst | |
| beschäftigt war. Das betrifft etwa den Datenschutz, ein – man könnte sagen | |
| – leidiges Thema, das viele öffentliche Institutionen und Unternehmen | |
| umtreibt. Wenn sie es denn ernst nehmen. Bei der FU darf man daran | |
| zweifeln. | |
| Dabei besteht akuter Handlungsbedarf. Am Mittwoch wurde durch eine | |
| Mitteilung des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der FU bekannt, | |
| dass die Berliner Datenschutzbeauftragte nach einer Prüfung festgestellt | |
| hat, dass die derzeitige Verwendung des Videokonferenzsystems Cisco Webex | |
| [1][an der Uni nicht datenschutzkonform und damit rechtswidrig sei]. Der FU | |
| war das bereits Mitte November mitgeteilt worden. Reagiert hat sie darauf | |
| bisher nicht, zumindest nicht öffentlich, und sie hat auch nicht die | |
| Mitarbeitenden und rund 40.000 Studierenden darüber informiert, wie [2][es | |
| die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vorsieht]. | |
| Offenbar hofft man bei der FU darauf, dass der Sturm vorüberzieht, ohne | |
| Schäden zu hinterlassen. Aber muss eine „international aufgestellte“ | |
| Exzellenzuni nicht den größten Anspruch an Datensicherheit haben, gerade | |
| beim Austausch mit Wissenschaftler*innen und Studierenden in aller | |
| Welt? | |
| Dabei sind die von der Datenschutzbeauftragten beanstandeten Aspekte bei | |
| der aktuellen Konfiguration von Webex bei der FU schwerwiegend und | |
| umfassend, wie Simon Rebiger, Sprecher der Datenschutzbeauftragen, auf | |
| taz-Anfrage erläuterte. Problematisch sei unter anderem, „dass Cisco die | |
| rechtswidrigen Übermittlungen personenbezogener Daten in die USA bisher | |
| nicht beendet hat“. | |
| Ebenso bestehe das Problem der nach europäischem Recht unzulässigen | |
| Zugriffsbefugnisse US-amerikanischer Behörden: Danach muss Cisco | |
| Nutzungsdaten auf Anfrage etwa an US-Geheimdienste liefern, auch wenn diese | |
| auf Servern in Deutschland liegen. Schließlich, so Rebiger weiter, würden | |
| „zur Leistungserbringung nicht vertraglich zugelassene Subunternehmer | |
| eingesetzt“. Die FU wurde daher von der Datenschutzbeauftragten | |
| aufgefordert, einen Zeitplan zu erstellen, wann mögliche Änderungen | |
| umgesetzt werden könnten, um „die Verletzung der Grundrechte der | |
| betroffenen Personen entscheidend“ zu verringern. Ansonsten drohten | |
| Sanktionen. | |
| Doch die FU mauert sich ein, wie die Antwort der Pressestelle erkennen | |
| lässt. Darin wird das Ergebnis der Untersuchung schlicht abgestritten: Da | |
| die Prüfung formal nicht abschlossen sei, könne „auch nicht von einem | |
| rechtswidrigen Einsatz gesprochen werden“. Hier wird offenbar frei nach | |
| Morgenstern verfahren, dass „nicht sein kann, was nicht sein darf“. Und es | |
| stimmt zwar, dass die Prüfung formal erst beendet ist, wenn die Uni auf die | |
| Aufforderungen der Datenschutzbeauftragen reagiert hat, wie Rebiger | |
| bestätigt. Doch das ändere nichts an dem Befund der Rechtswidrigkeit. | |
| Natürlich ist die aktuelle Situation der FU undankbar, weil es ihr ja so | |
| geht wie vielen Institutionen und Firmen, die die Stabilität ihrer | |
| Videokonferenzprogramme von Microsoft, Zoom oder Google mit mehr oder | |
| weniger großen Zugeständnissen in Sachen Datenschutz erkaufen. Und man darf | |
| der FU durchaus abnehmen, wenn sie erklärt, dass sie die Anforderungen des | |
| Datenschutzes beim Einsatz von Cisco Webex „sehr sorgfältig“ prüfe. | |
| Doch das Argument, dass sich praktisch und wirtschaftlich keine Plattform | |
| durch eigene Infrastruktur betreiben ließe, „die zuverlässig in der | |
| Größenordnung 30.000 gleichzeitige Teilnehmende bedienen kann und den | |
| Anforderungen an die IT-Sicherheit genügt“, ist nicht weniger als ein | |
| Armutszeugnis einer Exzellenzuni. Wer, wenn nicht diese, sollte dazu in der | |
| Lage sein? Zumal an einzelnen FU-Fachbereichen bereits erste Schritte dahin | |
| gehend erarbeitet wurden, und etwa die Berliner Humboldt-Universität | |
| relativ gut aufgestellt ist und das Open-Source-Programm BigBlueButton | |
| nutzt. Vertraut die FU zu wenig auf ihre eigenen Mitarbeiter*innen? | |
| ## Institutionen unter Druck der Datenschützer*innen | |
| Das Datenschutzproblem – übrigens nicht nur bei Videokonferenztools – wird | |
| sich nicht mehr lange ignorieren oder wegreden lassen, weil auch andere | |
| Institutionen unter Druck der Datenschützer*innen und entsprechender | |
| NGOs geraten werden. Denn wie ein Sprecher des Bundesbeauftragen für | |
| Datenschutz erklärt: „Grundsätzlich gilt, dass viele populäre | |
| Videokonferenzsysteme eine Menge an Metadaten produzieren, die nicht | |
| datenschutzkonform verarbeitet werden können.“ | |
| Nicht einmal der Deutsche Bundestag ist vor dieser Frage gefeit: Seit 2020 | |
| setzt dessen Verwaltung ebenfalls Webex ein, allerdings mit gleich | |
| zweifacher Einschränkung. Auf taz-Anfrage erklärt eine Sprecherin dazu: „Es | |
| gibt eine vorläufige datenschutzrechtliche Bewertung dieser | |
| Videokonferenz-Software, die unter Auflagen eine Nutzung in einem fest | |
| umrissenen Bereich zulässt.“ | |
| Die Debatte, wie die Politik die von ihr selbst in der | |
| Datenschutzgrundverordnung verfassten Auflagen erfüllen kann, hat gerade | |
| erst begonnen. | |
| 8 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mangelhafter-Datenschutz-an-Uni/!5823593 | |
| [2] /Datenschutz-im-oeffentlichen-Dienst/!5823701 | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
| ## TAGS | |
| Wochenkommentar | |
| DSGVO | |
| Datenschutz | |
| Datenschutzbeauftragte | |
| Freie Universität Berlin | |
| Videokonferenz | |
| Videokonferenz | |
| Freie Universität Berlin | |
| Datenschutzbeauftragte | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| DSGVO | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Streit um Datenschutz an der FU Berlin: Letzte Frist für Webex | |
| Berlins Datenschutzbeauftragter setzt die Freie Universität unter Druck: | |
| Die Hochschule müsse noch diesen Monat den Einsatz des Videotools beenden. | |
| Datenschutz im öffentlichen Dienst: „Es braucht eine kleine Revolution“ | |
| Die FU Berlin nutzt ein Videokonferenzsystem, das nicht datenschutzkonform | |
| ist. Das Problem betrifft nicht nur die Uni, sagt Tobias Schulze (Linke). | |
| Mangelhafter Datenschutz an Uni: Videokonferenz als Datenkrake | |
| Die Freie Universität Berlin arbeitet mit einem Videokonferenzsystem, | |
| dessen Nutzung rechtswidrig ist. Die Uni weiß das, informiert darüber ab | |
| nicht. | |
| Massenüberwachung mit Gesichtserkennung: Wen die Kamera erkennt | |
| Von der Gesichtserkennung bis zum Fingerabdruck – die biometrische | |
| Überwachung nimmt zu, so der Report einer Bürgerrechts-NGO. | |
| Ein Jahr DSGVO: Vorbild trotz Mängeln | |
| Am Samstag wird sie ein Jahr alt, die Datenschutz-Grundverordnung. Vor | |
| einem Jahr war der Aufschrei groß. Und nun? Eine Bilanz. |