# taz.de -- Umstrittenes Versammlungsgesetz in NRW: Schwarz-Gelb zieht durch | |
> NRW-Innenminister Reul will sein repressives Versammlungsgesetz | |
> beschließen lassen – gegen den Widerstand der Opposition. | |
Bild: Proteste gegen das geplante Versammlungsgesetz vor dem Landtag in Düssel… | |
BOCHUM taz | Trotz weiterhin massiver Kritik wollen CDU und FDP ihren | |
Entwurf für ein restriktives Versammlungsgesetz in NRW am Mittwoch durch | |
den Landtag drücken. Die Verabschiedung des von CDU-Innenminister Herbert | |
Reul nur leicht entschärften Entwurfs steht ab 14:30 Uhr auf der | |
Tagesordnung des Parlaments. Einen liberalen Entwurf der Sozialdemokraten | |
wird die schwarz-gelbe Regierungskoalition dagegen ablehnen. | |
Dabei ist Reuls Gesetz [1][seit Monaten heftiger Widerstand | |
entgegengeschlagen]: Schon bei einer Expertenanhörung im Mai fiel der | |
Entwurf durch. Grund dafür war etwa ein vorgesehenes „Militanzverbot“, mit | |
dem untersagt werden sollte, durch das Tragen von „Uniformen oder | |
uniformähnlichen Kleidungsstücken“ Gewaltbereitschaft zu signalisieren oder | |
einschüchternd zu wirken. | |
Nicht nur der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte daraufhin, damit | |
könnten nicht nur Aufmärsche von Rechtsextremen, sondern auch | |
Demonstrationen von Belegschaften in einheitlicher Arbeitskleidung | |
untersagt werden. Auch Fußballfans fürchteten um ihr Demonstrationsrecht. | |
Noch immer in der Kritik steht auch ein „Störungsverbot“, das vor allem | |
Neonazis schützen dürfte, und ein strafbewehrtes Vermummungsverbot – | |
Verstöße dagegen gelten selbst im CSU-regierten Bayern als | |
Ordnungswidrigkeit. SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty hält Reuls | |
ersten Entwurf deshalb für schlicht „verfassungswidrig“. | |
## Weitere Verschärfungen des Gesetzes | |
Außerdem war es im Juni ausgerechnet bei einer Demonstration gegen das | |
Versammlungsgesetz [2][zu massiver Polizeigewalt gekommen]: Demonstrierende | |
wurden stundenlang eingekesselt, ein Fotograf der dpa klagte, er sei von | |
der Polizei mit einem Schlagstock geprügelt worden. Selbst | |
Bundespolitiker:innen des Koalitionspartners FDP wie die | |
Bundestagsabgeordneten Agnes Strack-Zimmermann und Johannes Vogel gingen | |
daraufhin auf Distanz – Vogel nannte das Gesetz einen „Reul-Entwurf“. | |
Um den Kanzlerwahlkampf des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet | |
nicht noch weiter zu beschädigen, passierte dann erst einmal lange nichts. | |
Erst Ende Oktober kündigte der stellvertretende FDP-Ministerpräsident | |
Joachim Stamp an, Schwarz-Gelb werde „selbstverständlich ein modernes und | |
verfassungsfestes Versammlungsrecht“ beschließen – da Nordrhein-Westfalen | |
seit der Föderalismusreform 2006 kein eigenes Versammlungsgesetz geschaffen | |
hat, gilt an Rhein und Ruhr noch immer Bundesrecht aus dem Jahr 1953. | |
Und tatsächlich stellte Reul Anfang Dezember einen leicht entschärften | |
Entwurf vor. Darin ist der Begriff des „Militanzverbots“ verschwunden – | |
Gewerkschafter und Fußballfans müssen also nicht mehr um ihre | |
Versammlungsfreiheit fürchten. Gefallen ist auch eine Regelung, nach der es | |
nicht mehr möglich sein sollte, Versammlungen am Wochenende bei der Polizei | |
anzumelden. | |
Bestehen bleibt dagegen das weitgehende Verbot, sich Aufmärschen etwa von | |
Neonazis entgegenzustellen. Der Innenminister hat lediglich neu in das | |
Gesetz schreiben lassen, dass „nicht auf Behinderung zielende kommunikative | |
Gegenproteste“ nicht dem „Störungsverbot unterfallen“ – was auch immer… | |
konkret heißen soll. Durch die Vorschrift, der Polizei auf Verlagen die | |
Namen von Ordner:innen schon im Vorfeld zu nennen, werde die | |
Organisation von Demos dennoch immer schwieriger, klagt | |
Nordrhein-Westfalens DGB-Chefin Anja Weber. | |
## Gleichfarbige Overalls mit SS-Uniform verglichen | |
Denn CDU-Hardliner Reul hat es sogar geschafft, selbst in seinem neuen | |
Entwurf weitere Verschärfungen unterzubringen: So werden Proteste auf | |
Autobahnen jetzt grundsätzlich untersagt. Auch Drohnen zur Videoüberwachung | |
tauchen in dem nachgebesserten Gesetz erstmalig auf. | |
Ignoriert werde dabei, dass exzessive Videoaufnahmen der Polizei | |
„abschreckende Wirkung“ haben und sich „negativ auf die | |
Versammlungsfreiheit auswirken“ können, kritisiert Verena Schäffer, | |
Co-Landtagsfraktionsvorsitzende der Grünen. In Versammlungen sehe die | |
NRW-Landesregierung „per se eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit“. | |
Auch der nachgebesserte Entwurf bleibe ein | |
„Demonstrationsverhinderungsgesetz“. | |
„Kriminalisiert“ werde durch Reuls Entwurf bis heute die Klimabewegung, | |
sagt Innenpolitikerin Schäffer. Tatsächlich wird in der Gesetzesbegründung | |
die Uniformierung von Hitlers „SA und SS“ weiter mit dem Tragen | |
„gleichfarbiger Overalls, (wie bei den Garzweiler-Demonstrationen im Sommer | |
2019)“ verglichen. | |
Auch die Linke kritisiert den schwarz-gelben Vorstoß als „Angriff auf die | |
Demokratie und die Versammlungsfreiheit“. Und das Bündnis | |
„Versammlungsgesetz NRW stoppen“, das immer wieder Demonstrationen und | |
Protestaktionen organisiert hat, wirft besonders der liberalen FDP vor, das | |
„illiberalste Versammlungsrecht“ in ganz Deutschland“ mitzutragen. | |
„Auch im zweiten Anlauf haben CDU und FDP ein Gesetz vorgelegt, das | |
Versammlungen erschweren und verhindern soll“, sagte deshalb | |
SPD-Fraktionsvize Sven Wolf der taz. Dies zeige allein die Regelung, dass | |
jeder noch so kleine Verstoß gegen das Versammlungsgesetz strafrechtlich | |
verfolgt und nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet werden solle. | |
Auch widerspreche die Regelung, nach der Versammlungsleiter unliebsame | |
Personen nur mit Zustimmung der Polizei von ihrer eigenen Demonstration | |
ausschließen dürfen, Reuls Aufrufen an bürgerliche Corona-Gegner:innen, | |
sich doch bitte von Rechtsextremen zu distanzieren. | |
„Dieses Gesetz“, sagt Wolf, „passt einfach nicht zu NRW – das Recht, da… | |
Menschen ihre Meinung auf die Straße tragen, ist der Luxus einer freien | |
Gesellschaft“. | |
15 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Versammlungsgesetz-in-NRW/!5783048 | |
[2] /Polizeigewalt-in-Nordrhein-Westfalen/!5778928 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
## TAGS | |
Versammlungsrecht | |
Herbert Reul | |
Demonstrationen | |
Nordrhein-Westfalen | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
Versammlungsfreiheit | |
Schwerpunkt Landtagswahlen | |
Verkehrswende | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Polizeigewalt in Düsseldorf: Rechtmäßig eingekesselt | |
2021 ging die Polizei in NRW hart gegen Demos für Versammlungsfreiheit vor. | |
Nun entschied ein Gericht: Das Vorgehen sei meist rechtens gewesen. | |
Vorwürfe gegen Bremer Polizei: „Der Fisch stinkt vom Kopf“ | |
Bremer Polizist:innen werfen ihrer Behörde Rassismus vor. Doch | |
Ermittlungen könnten schwierig werden: Die Angst vor den Kolleg:innen | |
ist groß. | |
Repressives Gesetzesvorhaben in NRW: Versammlungsgesetz beschlossen | |
Die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat neue Regeln | |
für Demonstrationen festgelegt. Kritiker:innen sehen die | |
Versammlungsfreiheit in Gefahr. | |
Grüne Spitzenkandidatin in NRW: Aus Bayern nach Düsseldorf | |
Im Mai wählt NRW einen neuen Landtag. Grünen-Spitzenkandidatin ist die | |
44-jährige Mona Neubaur. Die Erwartungen an sie sind riesig. | |
Radschnellweg Ruhr wird nicht fertig: Im Schneckentempo | |
Eigentlich sollte der Radschnellweg Ruhr schon 2020 fertig sein. Doch der | |
Bau der 115 Kilometer langen Radautobahn verläuft schleppend. Warum? | |
Neuer Regierungschef in NRW: Der Wackelkandidat | |
Die CDU-FDP-Koalition in NRW zeigt bei der Wahl von Laschet-Nachfolger Wüst | |
Geschlossenheit. Alles andere wäre auch politischer Suizid gewesen. |