# taz.de -- Vorwürfe gegen Bremer Polizei: „Der Fisch stinkt vom Kopf“ | |
> Bremer Polizist:innen werfen ihrer Behörde Rassismus vor. Doch | |
> Ermittlungen könnten schwierig werden: Die Angst vor den Kolleg:innen | |
> ist groß. | |
Bild: Polizeistreife auf dem Bremer Marktplatz | |
BREMEN taz | Die Bremer Polizei sieht sich deutschlandweit in einer | |
Vorreiterrolle, wenn es um Antidiskriminierung geht. Seit fast 15 Jahren | |
gibt es einen Integrationsbeauftragten, seit Anfang 2021 zudem eine | |
Referentin für Vielfalt und Antidiskriminierung. Sie soll ein Konzept | |
entwickeln, wie Sensibilität für diese Themen bei der Bremer Polizei | |
gefördert werden kann. Trotz dieser Bemühungen [1][wird der Behörde | |
Rassismus vorgeworfen] – und das nicht von Menschen, die der Polizei | |
ohnehin kritisch gegenüberstehen, sondern von Polizist:innen selbst. | |
Einer von ihnen ist Jürgen G. Er will anonym bleiben und schätzt, dass 20 | |
bis 30 Prozent seiner Kolleg:innen rassistische Einstellungen haben und | |
Racial Profling betreiben, also Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe | |
kontrollieren. Solche Kontrollen sind verboten. In Bremen können | |
kontrollierte Personen sich aber eine Quittung ausstellen lassen, auf der | |
angegeben wird, durch was sie den Verdacht auf sich gezogen haben. | |
Jürgen G. sagt, dass einzelne Kolleg:innen auch noch weiter gehen. „Die | |
gehen dann los und sagen: ‚Wir checken heute mal ein paar N****r ab.‘ Wenn | |
die bei einem Einsatz bei einer deutschen Familie sind, dann läuft alles | |
normal. Wenn sie aber bei einer Familie sind, die farbig ist oder einen | |
Migrationshintergrund hat, dann verhalten die sich anders. Dann wird eine | |
Widerstandshandlung provoziert. Dann wird dem Familienvater zum Beispiel | |
ins Ohr geflüstert: ‚Ich ficke deine Frau.‘ Wenn der dann aggressiv wird, | |
wird entsprechend hart eingegriffen.“ | |
Es sind Aussagen, die sich nicht überprüfen lassen. Doch bundesweit werden | |
immer wieder ähnliche Vorwürfe laut. Wie viele Polizist:innen | |
rassistische Einstellungen haben und welche Folgen das im Dienst hat, dazu | |
gibt es in Deutschland kaum wissenschaftliche Forschung. Eine bundesweite | |
„Rassismus-Studie“ bei der Polizei gibt es nicht. | |
## Forscher: Verhaltsweisen werden „kulturalisiert“ | |
In Bremen zeigte man sich offen für eine solche Untersuchung. Doch der | |
damalige Bundesinnenminister, Horst Seehofer (CSU), [2][lehnte diese ab.] | |
„Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen | |
gegen die Polizei beschäftigt“, erklärte Seehofer. Denn die überwältigende | |
Mehrheit seiner Beamt:innen stehe auf dem Boden des Grundgesetzes. Geht | |
es also nur um Einzelfälle? | |
Jürgen G. ist anderer Meinung. Er sieht ein strukturelles Problem beim | |
Thema Rassismus in seiner Behörde. Viele seiner Kolleg:innen würden | |
einen „tollen Job“ machen. Er will sie nicht alle pauschal verurteilen. Er | |
hat aber festgestellt, dass es eine problematische Polizeikultur gibt: „Man | |
fängt an, Menschen in Schubladen zu stecken.“ Es gebe Polizist:innen, die | |
Menschen je nach Herkunft bestimmte Eigenschaften zusprechen. | |
Dies hat auch der Wissenschaftler Frank Müller beobachtet. Er arbeitet als | |
Ethnologe an der Universität Bremen. Zwischen 2014 und 2018 hat er im | |
Rahmen eines Forschungsprojekts Bremer Polizist:innen immer wieder auf | |
Streife begleitet. Offener Rassismus sei ihm dabei nicht begegnet, sagt er. | |
Seine Forschung habe aber gezeigt, dass sich bei der Polizei Stereotype | |
bilden würden. Verhaltensweisen von bestimmten Bevölkerungsgruppen würden | |
„kulturalisiert“. | |
„Da sagt man dann, die Polen machen dies und das oder die Russen dieses und | |
jenes“, erklärt Müller. „Und da wird dann eben ein Sprechen und ein | |
Denkmuster bedient, die dann in bestimmten konkreten Situationen | |
problematisch werden können.“ | |
## Beabsichtigte Eskalation | |
Müller sei auch aufgefallen, dass Bremer Polizist:innen bestimmte | |
Einsätze eskalieren lassen. Die Polizei sei nicht immer neutral, sagt er. | |
Solche Situationen träten in der Regel bei jungen Männern aus einem | |
schwierigen sozialen Milieu auf, „die in unserer Stadt sehr häufig | |
Migrationshintergrund, teilweise dann eben auch keinen deutschen Pass | |
haben“. | |
Die Beamt:innen hätten ein Gespür dafür, wie sie Situationen eskalieren | |
lassen können, sagt Müller. „Sie sind durch ihre Berufserfahrung durchaus | |
in der Lage, Situationen zu steuern. Und in der ein oder anderen Situation | |
ist mir klar geworden: Sie steuern es jetzt gerade in eine Richtung, wo es | |
zur Eskalation kommt.“ Laut Müller seien dies aber Provokationen von beiden | |
Seiten. Er habe bei seinen Beobachtungen auch einen fehlenden Respekt | |
gegenüber der Polizei wahrgenommen. „Aber umgekehrt gibt es eben auch | |
Situationen, in denen das zurückgespielt wird“, so Müller. | |
Polizist Jürgen G. kennt weitere rassistische Vorfälle bei der Polizei in | |
Bremen. Einer davon sei in der Behörde ein offenes Geheimnis. Eine Gruppe | |
von Polizeianwärter:innen habe vor einiger Zeit beim Laufen das Lied | |
„10 kleine N****lein“ gesungen. Reaktionen von Seiten der | |
Ausbilder:innen habe es daraufhin nicht gegeben. | |
Die Bremer Innenbehörde kennt den Vorfall, der sich bei der | |
Bereitschaftspolizei abgespielt haben soll. Es gebe Ermittlungen – | |
allerdings zunächst ohne ein Ergebnis. Denn trotz eines Aufrufs hätten sich | |
keine Zeug:innen gemeldet. | |
## Auch andere Polizist:innen erheben anonym Vorwürfe | |
Jürgen G. ist nicht der einzige Polizist im Bundesland Bremen, der seiner | |
Behörde Rassismus vorwirft. Das belegen interne Unterlagen der Polizei | |
schon im Jahr 2018. Darin schildert ein Polizeianwärter, der als Person mit | |
Migrationshintergrund beschrieben wird, einen Vorfall während seiner | |
Ausbildung in Bremen. Er sei bei einer Verkehrskontrolle dafür | |
verantwortlich gewesen, die Fahrzeuge auszuwählen. Der Praxisanleiter sei | |
vor Beginn der Kontrolle zu ihm gekommen und habe ihm die Anweisung | |
gegeben: „Du hältst jetzt genau die an, die so aussehen wie du!“ | |
Laut der Bremer Innenbehörde ist der beschuldigte Ausbilder bekannt. Die | |
Staatsanwaltschaft habe jedoch festgestellt, dass seine Bemerkung keine | |
Straftat sei. Auch disziplinarrechtlich sei das Verfahren eingestellt | |
worden. Der Mann gelte in der Polizei Bremen als rehabilitiert. | |
Der Polizeianwärter soll laut den internen Unterlagen gesagt haben, dass | |
Alltagsrassismus in der Polizei sein ständiger Begleiter sei. Insbesondere | |
der Sprachgebrauch sei voller Rassismus und der Polizei unwürdig. Oft werde | |
über „Kanaken, Ölaugen, Südländer und Arschhochbeter“ gesprochen und | |
gewitzelt. Dies bestätigen zwei weitere Beamte, deren anonyme Beschwerden | |
in den Polizei-Papieren dokumentiert sind. Sie berichten, dass nach | |
Einsätzen Sprüche gefallen seien wie: „Die N***r gehen mir auf den Zeiger.�… | |
Ein anderer Bremer Polizeianwärter erhebt in der polizeiinternen | |
Kommunikation zudem den Vorwurf, dass in Bremen Racial Profiling betrieben | |
werde. Er habe während seines Praktikums bei Kontrollen oft erlebt, dass | |
das Kriterium für eine Kontrolle nur das Aussehen der Person gewesen sei. | |
## Die Bremer Polizei ermittelt selbst | |
Mit den Vorwürfen ihrer Mitarbeiter:innen konfrontiert, antwortet die | |
Pressestelle der Bremer Polizei: „Die Polizei Bremen wendet sich gegen jede | |
Form von Diskriminierung. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind | |
sensibilisiert und interagieren im Selbstverständnis einer bürgernahen | |
Polizei unvoreingenommen mit den Bürgerinnen und Bürgern.“ | |
Sollte es dennoch Verdachtsfälle von diskriminierendem Verhalten | |
eingesetzter Polizist:innen geben, dann müssten Hinweisgeber:innen | |
nicht anonym bleiben. Dafür gebe es mehrere Anlaufstellen. Solche | |
Beschwerden und Anzeigen würden bei der Polizei objektiv geprüft und die | |
notwendigen Schritte eingeleitet. In Bremen würden strafrechtliche | |
Ermittlungen gegen Beamt:innen im Dienst unabhängig von der eigenen | |
Behörde geführt. Denn für solche Verfahren ist die Dienststelle „Interne | |
Ermittlungen“ zuständig. Diese ist nicht der Polizei, sondern dem | |
Innensenator unterstellt. | |
Zudem würden auch disziplinarrechtliche Ermittlungen angewandt, wenn | |
Fehlverhalten unterhalb der strafrechtlichen Grenze liege. Weiter will sich | |
die Polizei Bremen nicht zu den konkreten Vorwürfen äußern und verweist auf | |
die laufenden Ermittlungen. | |
Die Untersuchungen dürften schwierig werden. Alle Bremer Polizist:innen, | |
die polizeiintern Kritik äußern, wollen gegenüber ihrem Arbeitgeber anonym | |
bleiben. Auch Jürgen G. hat seine Erlebnisse und Vorwürfe nie gemeldet. Zu | |
groß ist die Angst vor Konsequenzen – vonseiten seiner Arbeitskolleg:innen. | |
„Wenn das rauskommen würde, dann würde ich als Nestbeschmutzer gelten. Dann | |
könnte ich mich bei keiner Dienstgruppe mehr sehen lassen“, sagt er. „Die | |
Polizeiführung wird sicher sagen: Warum kommt der damit nicht zu uns? Aber | |
auch dann würde ich im Kollegenkreis als linke Zecke, N****rfreund oder | |
Ausländerversteher abgestempelt. Am Ende würde auch nix passieren.“ | |
Es gebe viele Kolleginnen, die von Rassismus betroffen seien und dies nicht | |
melden würden. Jürgen G. sagt: „Der Fisch stinkt vom Kopf. Wenn die das | |
Problem nicht beim Namen nennen, dann wird sich da nie etwas ändern.“ | |
5 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sebastian Heidelberger | |
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