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# taz.de -- Radschnellweg Ruhr wird nicht fertig: Im Schneckentempo
> Eigentlich sollte der Radschnellweg Ruhr schon 2020 fertig sein. Doch der
> Bau der 115 Kilometer langen Radautobahn verläuft schleppend. Warum?
Bild: Probefahrt: Hendrik Wüst, damals Verkehrsminister und heute NRW-Minister…
Ruhrgebiet taz Hendrik Wüst ist zwar mit seiner schwarzen Dienstlimousine
angereist, aber er schwingt sich gleich aufs Rad. Alles andere würde ja
auch nicht passen. Juni 2021. Der Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen
von der CDU weiht hier zwischen Gelsenkirchen und Bochum ein neues
Teilstück des [1][Radschnellwegs Ruhr] ein, es ist knapp drei Kilometer
lang.
Wüst, 46, trägt ein graublaues Jackett über dem weißen Hemd und einen
Fahrradhelm. Er fährt ein, zwei, drei Mal auf die Objektive der
Fotograf:innen zu. An seiner Seite fährt Petra Beckefeld, technische
Direktorin des Landesbetriebs Straßen.NRW, der Planung und Bau federführend
betreut – und Radfahrer:innen, die auf die Eröffnung durch die
Politprominenz aus Düsseldorf gewartet haben.
Platz genug ist da. In einem 161 Seiten dicken Leitfaden hat das
Landesverkehrsministerium genau festgelegt, wie eine solche
„Radschnellverbindung“ auszusehen hat: Mindestens 4 Meter breit muss der
Weg sein. Zwischen den beiden Spuren gibt es eine gestrichelte Linie wie
auf den meisten Straßen auch. Und um Konflikte mit Fußgänger:innen zu
vermeiden, ist für sie ein abgetrennter Weg Vorschrift, Mindestbreite 2,50.
Auf den asphaltierten Radschnellwegen ohne enge Kurven sind auch
Liegerad-Fahrer:innen gern unterwegs. Drei sind auch an diesem
Freitagmorgen da – und als einer sein Fahrzeug anbietet, greift Wüst sofort
zu. Auf der Suche nach dem perfekten Motiv lässt er sich in den Sattel
fallen, saust lächelnd ein viertes Mal an den Kameras vorbei – er kennt die
Macht guter Bilder.
## Wüst: „Wir brauchen die Autobahn“
Die sind hier wichtig, denn gute Nachrichten kann Wüst nicht verkünden: „Es
kann ja niemand damit zufrieden sein, dass dieser Radweg nicht schon längst
fertig ist“, sagt er. Straßen.NRW-Chefin Beckefeld schaut betreten, ebenso
ihre Mitarbeiter:innen. Und Wüst legt nach: „Wir brauchen die
Infrastruktur. Da muss Druck drauf, wir müssen schneller werden.“
„Die Infrastruktur“, das ist Nordrhein-Westfalens Radschnellweg Nummer 1.
Irgendwann soll der auf 115 Kilometern mitten durchs Ruhrgebiet führen, von
Hamm im Osten über den Kreis Unna, Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen, Essen
und Mülheim nach Duisburg und dann weiter nach Moers im Westen – ein
Vorzeigeprojekt.
Tausende vom Auto aufs Rad oder E-Bike bringen, hieß es schon in einer 2014
vorgestellten Machbarkeitsstudie des Regionalverbands Ruhr. Bis zu 400.000
Pkw-Kilometer und 16.600 Tonnen CO2 könnten so jährlich eingespart werden.
Und fertig sein könne der Radschnellweg, der oft über alte, stillgelegte
Bahntrassen führen soll, schon 2020.
2020. Für [2][Wüst, der Ende Oktober zum Ministerpräsidenten von NRW
gewählt wurde] und im kommenden Mai die Landtagswahl gewinnen will, wird
diese Zahl zum Problem. Vor zwei Jahren noch sollte der RS1 bis spätestens
2027 durchgehend befahrbar werden. Heute will Straßen.NRW-Chefin Beckefeld
überhaupt kein Datum mehr nennen: „Das ist ein Blick in die Glaskugel“,
sagte sie bei der Teileröffnung im Juni.
## Es mangelt nicht am Geld
In großen Teilen des Reviers ist von der Fahrradautobahn nichts zu sehen.
In Duisburg sei man noch in einer „sehr frühen Planungsphase“, schreibt
Straßen.NRW. Eigentlich war ein Gespräch mit dem zuständigen Projektleiter
vereinbart, aber das wird abgesagt. Der Projektleiter hatte schon vor zwei
Jahren betont, wie sehr die Zersplitterung des Ruhrgebiets in 53 Städte,
drei Regierungsbezirke und zwei Landschaftsverbände die Planung erschwere.
Egal ob beim Umweltschutz, beim Wasserrecht oder beim Denkmalschutz: Die
Abstimmung mit acht bis neun unteren und drei oberen Fachbehörden sei
extrem aufwändig. Der Projektleiter setzt deshalb auf Arbeitsteilung:
Innerstädtisch arbeiten die Kommunalverwaltungen am RS1, außerhalb plant
der Landesbetrieb oder der Regionalverband.
Im Kreis Unna könne „in Kürze mit der Planung der Streckenführung begonnen
werden“, heißt es. In Hamm würden aktuell „verschiedene Varianten zur
Linienführung“ untersucht. Im Klartext bedeutet das: In Duisburg im Westen
wie in Unna und Hamm im Osten ist bisher nicht einmal klar, wo genau der
RS1 einmal verlaufen soll. Dabei leidet das Projekt nicht unter Geldmangel:
Sobald Abschnitte „Baureife“ erreichten, würden „die hierfür konkret
benötigten Haushaltsmittel festgelegt und damit zur Verfügung gestellt“,
versichert Straßen.NRW.
Trotzdem kommt der Radschnellweg auch im Zentrum des Reviers nur im
Schneckentempo voran, das kritisiert nicht nur der Allgemeine Deutsche
Fahrrad-Club (ADFC). Seit 2017 ist der RS1 zwischen Mülheim und Dortmund um
gerade einmal 7,6 Kilometer gewachsen. Auf dieser rund 50 Kilometer langen
Strecke sind damit nur vier einzelne Teilstücke mit insgesamt etwa 17
Kilometern Länge befahrbar.
Und die bringen Radfahrer:innen oft nicht weiter. Auf dem von Hendrik
Wüst eingeweihten Teilstück etwa hat Straßen.NRW auf der einstigen
Rheinischen Bahn feinsten Radschnellweg-Standard gebaut – die Strecke ist
beleuchtet, Winterdienst ist möglich. Allerdings: In beiden Richtungen des
Schnellwegs endet die Fahrt schnell vor querstehenden, fest montierten
rot-weißen Absperrungen – dahinter liegt noch die zugewachsene alte
Bahntrasse.
Wer weiter Richtung Bochum will, wird über eine rumpelige schmale Rampe in
ein Wohngebiet geführt – und ist ohne gute Karte oder Fahrrad-Navigation
verloren. Immerhin: Im kommenden Jahr soll weitergebaut werden. Geht alles
glatt, könnte um 2025 wenigstens der etwa 30 Kilometer lange Abschnitt vom
Bochumer Westpark bis Mülheim fertig sein.
## Großer Personalmangel
Anders in Richtung Osten. In den Innenstädten Bochums und Dortmunds werden
keine Trassen von der Bahn freigegeben. Stattdessen soll der RS1 als
Fahrradstraße durch die Stadtkerne geführt werden. Wie aufwändig das ist,
zeigt sich in Bochum: Nach intensiver Bürger:innen-Beteiligung wurden genau
42 verschiedene Routen geprüft. Präsentiert werden soll das Ergebnis Ende
März. Es arbeitet in der Stadt nur ein kleines Team von drei Leuten am RS1.
Enttäuscht sind deshalb viele der Fahrradaktivist:innen, die sich Anfang
November im Haus der Begegnung an der Alsenstraße treffen. Gekommen sind 3
Frauen und 8 Männer. Manche sind in den Dreißigern, andere über 60.
Fahrradtaschen haben sie fast alle dabei. Sie bemängeln, dass in Richtung
Dortmund noch gar nichts konkret geplant ist. Der Grund dafür ist offenbar
ein großer Personalmangel – denn nicht nur die Stadtverwaltungen und
Straßen.NRW, auch die bundeseigene Autobahn GmbH suchen verzweifelt
Bauingenieur:innen. Aber laut den Radaktivist:innen ist es auch eine
Frage von Prioritäten.
Auch in Dortmund gibt es erst einen Kilometer Radschnellweg. Der führt als
Fahrradstraße durch das angesagte Kreuzviertel. Doch allein dieser Bau hat
Jahre gedauert – dabei müssen allein in Dortmund mindestens 16 Brücken und
Unterführungen entstehen, um vierspurige Straßen wie etwa die B54 zu
queren. Frühestens 2030 werde hier der Radschnellweg fertig, heißt es aus
der Stadtverwaltung.
Außerdem bremsten Wirtschaft und Einzelhandel, sagt der Dortmunder
ADFC-Vorsitzende Werner Blanke – sie fürchteten eine schlechtere
Erreichbarkeit per Auto und damit weniger Kund:innen. „Ich bin mir nicht
sicher, ob ich den RS1 in meinem Leben noch auf voller Länge befahren
werden kann“, sagt Blanke – der ehemalige Verkehrspolizist ist 68.
## Braucht es „experimentelle Lösungen“?
Wie es schneller gehen könnte, müsste Stefan Kuczera wissen. Der 39-Jährige
ist Planungsdezernent des Regionalverbands Ruhr – und der hat zwischen der
Essener Uni und dem Mülheimer Hauptbahnhof den mit 11,4 Kilometern bisher
längsten Abschnitt des Radschnellwegs gebaut. Doch Kuczera winkt ab. Das
sei nur gutes Marketing. „Wir haben unser Teilstück des RS1 Anfang des
letzten Jahrzehnts nicht als Radschnellweg, sondern als Freizeitradweg
konzipiert – deshalb wurde es so schnell fertig.“
Zwar kann auf diesem Weg, ebenfalls erbaut auf einem Damm der einstigen
Rheinischen Bahn, schon heute stressfrei und ohne nervigen Autoverkehr
mehrere Meter über der Stadt geradelt werden. Durchgängige Beleuchtung und
der separate Fußweg aber fehlen. Dafür ist auch der aufwändige Neubau von
Brücken nötig, um die nötige Breite zu erhalten.
Vielleicht bräuchte es wirklich „neue, kreative, experimentelle Lösungen“,
wie es die Leute hinter der erfolgreichen Volksinitiative „Aufbruch
Fahrrad“ fordern. Notfalls müssten eben bestehende Straßen für den
Autoverkehr gesperrt und umgewidmet werden. „Aufbruch Fahrrad“ fordert bis
2025 ein NRW-weites Radschnellwegenetz von 1.000 Kilometern Länge. Damit
das schnell entstehe, könne vorübergehend auch weniger aufwändig gebaut
werden.
Das sieht auch der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Düsseldorfer
Landtag so. „Mit der planungs-heiligen Umsetzung allerhöchster Standards
muss Schluss sein“, sagt Arndt Klocke. Denn sonst wird der RS1 wirklich
erst irgendwann nach 2030 fertig – und die restlichen schon angedachten
sechs weiteren Radschnellwege erst um 2050. Bei denen gab es noch nicht
einmal den ersten Spatenstich.
18 Nov 2021
## LINKS
[1] /Radschnellweg-Ruhrgebiet/!5609926
[2] /Neuer-CDU-Vorsitzender-in-NRW/!5810296
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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