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# taz.de -- Stefan Heyms Buch erstmals auf Deutsch: Im Zweifel für den Zweifel
> Stefan Heyms Werk ist ein wenig in Vergessenheit geraten. Nun ist mit
> „Flammender Frieden“ sein früher Kriegsroman auf Deutsch erschienen.
Bild: Helmut Flieg legt sich sein Pseudonym Stefan Heym im Exil zu
Kaum ein deutsches Schriftstellerleben ist auf so verschlungene Weise mit
dem Lauf der Geschichte im 20. Jahrhundert verbunden wie das von Stefan
Heym. 1913 als Helmut Flieg und Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Chemnitz
geboren, muss er das Gymnasium wegen eines antimilitaristischen Gedichts
1931 verlassen und macht ein Jahr später in Berlin Abitur.
Er beginnt ein Philosophie- und Germanistikstudium, schreibt erste Beiträge
für linke Zeitschriften und [1][flieht 1933 vor den Nazis nach Prag.] Der
junge Rebell legt sich das Pseudonym Stefan Heym zu, arbeitet als
Journalist und geht 1935 ins Exil in die USA.
Heym aber bleibt keineswegs nur Zeuge der Geschehnisse. Freiwillig nimmt er
1944 als Soldat an der Landung der Alliierten in der Normandie teil. In
diesem für ihn entscheidenden Jahr erscheint auch sein zweiter Roman „Of
Smiling Peace“, nachdem sein Debüt „Hostages“ in den USA ein großer Erf…
war und in Hollywood verfilmt wurde.
Nach dem Krieg, also in der repressiven McCarthy-Ära, verlässt er die
Vereinigten Staaten wieder und siedelt nach Ost-Berlin über. In der DDR
wird er schnell zur berühmten Unperson, die unantastbar zu sein scheint. Im
Westen aber sind seine Romane wie „Ahasver“ oder „Der König David Berich…
große Erfolge. Und heute?
## Heym gewann 1994 ein Direktmandat für die PDS
Der Schriftsteller, der 1994 auf der offenen Liste der PDS im Berliner
Wahlkreis Mitte/Prenzlauer Berg ein Direktmandat gewann und eine
vieldiskutierte Eröffnungsrede zum 13. Deutschen Bundestag hielt, ist ein
wenig in Vergessenheit geraten. Warum eigentlich?
In seinen Büchern lässt sich viel über die Gegenwart lernen, sein Verlag
kümmert sich inzwischen um eine digitale, auf 28 Bände angelegte
Werkausgabe und lässt frühe, auf Englisch verfasste Texte sogar erstmals
ins Deutsche übertragen. So etwa seinen zweiten Roman, der nun unter dem
Titel „Flammender Frieden“ erschienen ist.
Schauplatz dieser klassisch gebauten Kriegsstory ist Algerien im Winter
1942. Fernab der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs bröckeln die
Fronten der deutschen Wehrmacht. In Algier etwa sind amerikanische Truppen
gelandet, und nun kämpfen drei Mächte um die Vorherrschaft in Nordafrika.
Neben den USA und dem NS-Reich verfolgen die ehemaligen Kolonialherren noch
immer höchst zweifelhafte Eigeninteressen. Als Vertreter [2][des
französischen Vichy-Regimes] haben sie mit den Nazis kollaboriert, jetzt
versuchen sie sich mit den Amerikanern gutzustellen. Was die deutschen
Statthalter in Algerien zunächst kaum glauben können.
## Agent Bert Wolff verhört deutsche Gefangene
Stefan Heym weiß in seinem Roman „Flammender Frieden“ aus der
unübersichtlichen Gemengelage – in der die einheimische Bevölkerung kaum
eine Rolle spielt – einen Machtkampf von nur wenigen Figuren zu spinnen.
Protagonist der Geschichte ist der aus Deutschland stammende Agent Bert
Wolff, der [3][einst in Spanien gegen die Faschisten kämpfte] und nun als
Mitarbeiter des US-Geheimdiensts deutsche Gefangene verhört.
Er ist vor allem hinter dem gewieften Generalstabsoffizier Ludwig von Liszt
her, der ihm im Laufe des Krieges immer wieder entwischt. Bert Wolff ist
ein Intellektueller, einer, der sich fragt, wie weit er gehen darf, um an
die richtigen Informationen zu gelangen. Der Zweifel macht diese Hauptfigur
stark.
Er hat ein Gespür für die politischen Konflikte und weiß genau, dass er
sich in Nordafrika „auf gefährlichem Grund“ bewegt: „Wir sind hier“,
erklärt er, „in einem Land mit latenten Konflikten zwischen Eingeborenen
und Kolonisten, mit sozialen Brüchen, die viel tiefer als in den
Vereinigten Staaten reichen.“
## Windige Franzosen und eine attraktive Frau
Als Vertreter der ehemaligen französischen Kolonialmacht fungiert ein
windiger und machtbewusster Franzose namens Jules Marie Monaître. Und
zwischen all den Militärmännern steht eine attraktive Frau namens
Marguerite Fresneau, die ihre Gunst entsprechend den jeweiligen
Machtverhältnissen zu verteilen weiß.
Derzeit pflegt sie noch eine Liaison mit dem hochintelligenten Zyniker
Liszt, dann aber schlägt das Schicksal zu: Ein Kampfbomber-Pilot verliert
die Kontrolle über seine Maschine, stürzt in eine Kirche und zerstört auch
umliegende Gebäude. In diesem Chaos lernt Bert Wolff jene Dame kennen, die
keineswegs als professionelle Krankenschwester unterwegs ist, den
Verletzten jedoch umgehend hilft.
Diese Hilfsbereitschaft schindet bei Wolff großen Eindruck, und auch
Marguerite ist von dem freundlichen US-Soldaten fasziniert – wie uns die
allwissende Erzählstimme umgehend mitteilt: „Ihr gefiel dieser
amerikanische Lieutenant. Er wirkte jung und formbar, eine Abwechselung
gegenüber den rigorosen Forderungen von Liszts.“
Marguerite, deren Motive lange Zeit im Dunkeln bleiben, erzählt nichts von
ihrem prominenten und rachsüchtigen Liebhaber. Sie ahnt wohl, dass Liszt
auf der Fahndungsliste der Amerikaner steht. Aber anstatt auf Distanz zum
neugierigen Bert Wolff zu gehen, beginnt sie ein Gespräch, aus dem bald ein
Flirt und schließlich ein handfester Loyalitätskonflikt entsteht.
## Militärische Strategie der Amerikaner
Die Dreiecksgeschichte spitzt sich zu, und Wolff wird den deutschen
Offizier, der nicht nur sein politischer Gegenspieler ist, nach diversen
Maskeraden enttarnen und festnehmen. Durchaus interessant, dass Heym dabei
nicht nur die militärische Strategie der Amerikaner, sondern auch die Rolle
seines Helden als sehnsüchtiger Mann reflektiert:
„Heute brauchte er die Gesellschaft einer Frau. Er wollte eine mit weicher
Stimme und verständnisvollem Blick, schön und sanft, mit Händen, die ihn
den Druck von der Stirn nahmen und Lippen, die ihn zur Ruhe finden ließen.
Wenn er unglücklich war oder verstört, beschwor er immer wieder diese
Traumfrau herauf – was ziemlicher Unsinn und auch blöd war, da es keine
reale, Trost spendende Frau mit den Hirngespinsten seiner Fantasie
aufnehmen konnte.“
Stefan Heym veröffentliche „Of Smiling Peace“ – wie der Originaltitel
lautet – im Frühjahr 1944. Da war Heym gerade als amerikanischer Soldat in
Frankreich gelandet. Der schreibende GI spiegelt sich offensichtlich in
seiner brüchigen Hauptfigur, die grundlegende Fragen stellt: Was ist die
historische Wahrheit? Heiligt der Zweck die Mittel? Wie lässt sich
Demokratie in Ländern durchsetzen, die diese Staatsform gar nicht wollen?
Heym selbst hielt „Of Smiling Peace“ viele Jahrzehnte später für nur
„wichtig für mich, aber nicht für den Leser von heute“. Auch deshalb
übersetzte er dieses Frühwerk später nie ins Deutsche, während er viele
seiner auf Englisch verfassten Bücher sehr wohl in die Muttersprache
übertrug. Zudem kam 1948 sein millionenfach gedrucktes Weltkriegsepos „The
Crusaders“ heraus, das in Westdeutschland unter dem Titel „Bitterer
Lorbeer“ publiziert wurde.
[4][Heinrich Böll] hielt diesen Roman für eines „der besten und
bedeutendsten Kriegsbücher“. Dieser Bestseller geht tatsächlich über
„Flammender Friede“ inhaltlich und literarisch hinaus, auch weil erzählt
wird, wie die Befreier von einst im aufziehenden Kalten Krieg ihre Ideale
verraten haben.
## Wenig Auskunft über Heyms Erzählkunst
Der C. Bertelsmann Verlag, in dem das Werk Heyms seit Jahrzehnten
erscheint, feiert „Flammender Friede“ als „große Entdeckung“. Das ist
sicherlich übertrieben. Das hiesige Publikum, das vor allem Heyms späte
Romane kennt, etwa „Collin“, die gewitzte Abrechnung mit dem Stalinismus in
der Verpackung eines morbiden Klinikromans, wird zwar einzelne Motive und
Figurentypen wiederentdecken, doch insgesamt gibt „Flammender Frieden“ nur
begrenzt Auskunft über die Schreibkunst des späteren Jahrhunderterzählers.
Dennoch lohnt die Lektüre des historischen Unterhaltungsromans, nicht
zuletzt wegen der klugen Übersetzung Bernhard Robbens, der sich – wie er in
einem Nachwort anschaulich erklärt – nicht von einer falschen „Mimikry“
leiten ließ.
Er entschied sich nach mehreren Anläufen dagegen, den Duktus von Heyms
eigenen Übersetzungen nachzuahmen. Was ohnehin schwer möglich ist, weil
Heym sich bei anderen Übersetzungen die Freiheit nahm, auch längere
Passagen völlig umzuschreiben.
Robben konzentriert sich vielmehr darauf, die Maskeraden sowohl des
deutschen Offiziers als auch die Spiegelungen des Autors im amerikanischen
Agenten sprachlich anklingen zu lassen. So lässt sich „Flammender Frieden“
einerseits als politisches Programm eines weitsichtigen Jungautors lesen,
im Zweifel für den Zweifel zu plädieren, andererseits schafft es die
Übersetzung, noch mehr als das Original, die Doppelbödigkeiten und Lügen
einer Epoche auch literarisch zu markieren.
27 Dec 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Carsten Otte
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