| # taz.de -- Günter de Bryun ist tot: Chronist deutscher Befindlichkeiten | |
| > Mit leiser Ironie und hintergründigem Humor hat de Bruyn das Leben in der | |
| > DDR geschildert. Jetzt ist der Schriftsteller im Alter von 93 Jahren | |
| > gestorben. | |
| Bild: Günter de Bruyn in seinem Wohnhaus in Brandenburg | |
| Berlin dpa | Er gilt als einer der wichtigsten Chronisten deutsch-deutscher | |
| Befindlichkeiten, leise und unbestechlich: Günter de Bryun. Bundeskanzlerin | |
| Angela Merkel empfahl den Schriftsteller zur Lektüre für junge Leute, die | |
| sich ein realistisches Bild vom Alltagsleben in der DDR machen wollen. Nun | |
| ist der gebürtige Berliner, der schon lange in Brandenburg lebte, im Alter | |
| von 93 Jahren gestorben. Das teilte der Landkreis Oder-Spree unter Berufung | |
| auf die Familie mit. | |
| „Ihr Lebenswerk ist eine große Gabe an die Kulturnation Deutschland“, sagte | |
| die Kanzlerin einst bei einer Gala zum 80. Geburtstag des vielfach | |
| preisgekrönten Autors. Es sind leise Ironie und hintergründiger Humor, mit | |
| denen Günter de Bruyn in seinen Romanen die Lebensbedingungen in der | |
| SED-Diktatur schildert. Zugleich greift er die großen alten Themen von | |
| Liebe und Verrat, Macht und Ohnmacht auf. Später begleitet er den Umbruch | |
| des Jahres 1989 und das mühsame Zusammenwachsen von Ost und West in | |
| kritischen Essays. | |
| Sein bekanntester Roman ist die meisterhafte Dreiecksgeschichte „Buridans | |
| Esel“ (1968), in der sich ein wehleidiger Bibliothekar nicht zwischen zwei | |
| Frauen entscheiden kann. Die Defa brachte das Werk unter dem Titel „Glück | |
| im Hinterhaus“ nach einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf auf die Leinwand. | |
| In „Preisverleihung“ (1972) spießt er elegant und unterhaltsam die | |
| Besonderheiten des DDR-Kulturbetriebs auf. Und „Neue Herrlichkeit“ (1984) | |
| begleitet einen jungen Mann in der Zerrissenheit zwischen Anpassung und | |
| Auflehnung, Pflicht und Neigung. Gegen das Etikett des DDR-Schriftstellers | |
| hat sich de Bruyn gleichwohl immer gewehrt. „Ich bin ein deutscher, in der | |
| DDR lebender Autor“, betonte er stets. Seit 1970 erschienen seine Werke | |
| auch im Westen. Dass er gleichwohl eher im Schatten von Ost-Literaturgrößen | |
| wie [1][Christa Wolf, Stefan Heym oder Heiner Müller] blieb, war seiner | |
| selbstgewählten Rolle als „stiller Außenseiter“ geschuldet. | |
| ## Vom „Hohlweg“ zum „Holzweg“ | |
| Am 1. November 1926 in Berlin geboren und wegen gesundheitlicher Probleme | |
| isoliert aufgewachsen, musste er 1943 als Soldat einrücken und zog sich | |
| eine Kopfverletzung durch Granatsplitter zu. Nach dem Krieg arbeitete er | |
| zunächst als Bibliothekar, ehe er sich als freier Schriftsteller | |
| niederließ. | |
| Sein erster Roman „Der Hohlweg“ (1963) war noch stark an den ideologischen | |
| Vorgaben des kommunistischen Systems orientiert. Später zog er ihn als | |
| „Holzweg“ zurück und entwickelte zunehmend seinen skeptischen Blick auf die | |
| Verhältnisse im Arbeiter- und Bauernstaat. 1976 gehörte er zu den | |
| Unterzeichnern des Briefs gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf | |
| Biermann. Einige Jahre darauf sorgte er für Aufsehen, als er auf einem | |
| deutsch-deutschen Schriftstellerkongress die Aufhebung der [2][Zensur in | |
| der DDR] forderte. 1989 lehnte er den DDR-Nationalpreis ab – mit Hinweis | |
| auf die „Starre, Intoleranz und Dialogunfähigkeit“ des Regimes. | |
| Nach dem Untergang der SED-Diktatur gab er in seinen beiden Autobiografien | |
| „Zwischenbilanz“ (1992) und „Vierzig Jahre“ (1996) schonungslos und | |
| selbstkritisch Auskunft über sein Leben zwischen Mitlaufen und Distanz. Er | |
| habe „wie kein zweiter DDR-Autor das eigene Verhalten öffentlich | |
| hinterfragt“, befand die Frankfurter Allgemeine Zeitung. | |
| Dort hatte er – auch das eher eine Ausnahme – aus eigenen Stücken | |
| berichtet, dass er sich einst auf ein Gespräch mit der Stasi eingelassen | |
| habe. Umso mehr empfand er den [3][Fall der Mauer] als einen der | |
| glücklichsten Momente seines Lebens, wenngleich mit einer gehörigen Portion | |
| Wehmut. „Es ist zu spät für dich, nun bist du zu alt“, notierte der damals | |
| 63-Jährige. | |
| Fortan konzentrierte er sich vor allem auf essayistische und | |
| literaturwissenschaftliche Arbeiten, häufig zur Geschichte Preußens und der | |
| Mark Brandenburg. Seit Jahrzehnten lebte er im brandenburgischen Görsdorf | |
| (Landkreis Oder-Spree). „Richtig ist, dass ich lange der idealistischen | |
| Vorstellung angehangen habe, das geballte Gute werde schon irgendwie das | |
| Schlechte besiegen“, sagte er einmal in einer Lebensbilanz. „Ich habe sie | |
| mir erst spät mühevoll abtrainiert.“ | |
| 8 Oct 2020 | |
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