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# taz.de -- Aufbau-Verlag insolvent: Leseland ist abgebrannt
> Mit dem Aufbau-Verlag droht das letzte große Haus aus der ehemals
> blühenden ostdeutschen Verlagslandschaft zu verschwinden. Woran
> scheiterte die Buchkultur der DDR?
Bild: Irgendwann sei auch das größte Vermögen aufgezehrt, meint Verleger Lun…
Egal, was in den kommenden Tagen um den Aufbau-Verlag, der durch seinen
Verleger Bernd F. Lunkewitz insolvent gemeldet wurde, noch passieren wird:
Eine Ära im Literaturbetrieb des wiedervereinigten Deutschlands scheint in
jedem Fall beendet - die Ära der ehemaligen DDR-Verlage.
Anders als im Fall des Aufbau-Verlags hat das Ende der DDR etlichen
ostdeutschen Verlagen ein mehr oder weniger jähes Aus bereitet. Vielfach
beschworen wurde der Mythos vom Untergang des "Leselands DDR" in den
zweckrationalen Verwertungszusammenhängen des kapitalistischen Westens. Die
5.000 Tonnen Bücher, die 1991 halb verrottet unter Eier- und
Kartoffelschalen auf einer Mülldeponie bei Borna gefunden wurden, haben
diesen Untergang kongenial ins Bild gesetzt.
Die Realität indes war ein wenig prosaischer. Die zentrale
Auslieferungsbehörde der DDR, der "Leipziger Kommissions- und
Großbuchhandel", hatte sich seiner Restbestände entledigt, weil die Verlage
ja nun eigene Vertriebsstrukturen aufbauen mussten. Die ostdeutschen
Verlage waren also vor allem durch strukturelle Probleme in ihrer Existenz
bedroht, die sich aus der Anpassung an das Verlagswesen der Bundesrepublik
ergaben. Nicht nur musste man das Kunststück vollbringen, gleichzeitig alte
Märkte zu erhalten, neue zu erschließen und nebenbei auch noch ins
Bewusstsein der Feuilletonredaktionen zu rücken. Das Ungültigwerden von
Lizenzen und die damit verbundenen finanziellen Einbußen, aber auch das
Abwandern von Autoren an attraktivere Westverlage bereiteten die weitaus
gravierenderen Einschnitte.
Die Bilanz fällt relativ verheerend aus, auch wenn die Treuhandanstalt die
Privatisierung von mehr als 50 Buch- und Zeitschriftenverlagen gern als
Erfolgsgeschichte deklariert. Für den Verlag Reclam Leipzig immerhin hat es
zum Imprint des Stuttgarter Stammhauses gereicht. Volk und Welt, der
zweitgrößte belletristische Verlag der DDR, hatte mit Thomas Brussigs
"Helden wie wir" und seinen rund 100.000 verkauften Exemplaren Mitte der
Neunzigerjahre noch einen Etappensieg verbuchen können. 2001 aber wurde die
Arbeit in den Berliner Verlagsräumen eingestellt. Der Mitteldeutsche Verlag
mit Sitz in Halle, bei dem hochkarätige Autoren wie Günter de Bruyn oder
Volker Braun ihre Bücher veröffentlicht hatten, wählte den pragmatischen
Weg. Heute baut man vor allem auf Bildbände mit regionalem Schwerpunkt,
juristische Fachbücher und Behördenverzeichnisse. De Bruyn ist nach der
Wende zu S. Fischer, Braun zu Suhrkamp gewechselt.
Viel geblieben ist nicht von der ostdeutschen Verlagslandschaft. Außer dem
einen eben: Aufbau, 1945 auf Initiative von Johannes R. Becher gegründet
und mit den drei Säulen aus aufwändigen Klassikerausgaben,
Gegenwartsliteratur und den Werken ehemaliger Exilautoren wie Anna Seghers
oder Lion Feuchtwanger die wesentliche intellektuelle Institution im Osten.
Zwar hatte man auch hier nach 1989 Abgänge zu verzeichnen. Christa Wolf
ging zu Luchterhand, Christoph Hein blieb immerhin bis zum Jahr 2000. Dass
Aufbau aber nicht das Schicksal der anderen ostdeutschen Verlage teilte,
lag an einem Mann, der zu den schillerndsten Figuren gehört, die der
deutsche Literaturbetrieb zu bieten hat. Bernd F. Lunkewitz, auch genannt
"der Che von Kassel", ist Immobilienhändler mit maoistischer Vergangenheit.
Der Konsum dicker Zigarren, die er bei öffentlichen Auftritten zelebriert,
verleiht ihm ein Image irgendwo zwischen Bertolt Brecht und Bonze, allemal
aber passt er nicht in die Vorstellung, die man von einem Mäzen, geschweige
denn von einem Verleger hat.
Fakt aber ist, dass Lunkewitz, nachdem er den Aufbau-Verlag 1991 von der
Treuhand für 900.000 DM gekauft hat, nicht nur über Jahre ein
beträchtliches Vermögen in den Verlag investiert hat; man spricht von 27
Millionen Euro. Er hat auch das inhaltliche Profil von Aufbau bewahren und
um aktuelle Autoren erweitern können. Nicht zuletzt deshalb, weil er sich
den Luxus eines wie zu Ostzeiten überdurchschnittlich gut besetzten
Lektorats geleistet hat.
Die Klemperer-Tagebücher 1995 oder jüngst Werner Bräunigs in der DDR
verbotener Roman "Rummelplatz" gehören zu den bemerkenswertesten
Veröffentlichungen der letzten Jahre. Selbstverständlich war auch mal so
ein zweifelhaftes Projekt wie die Autobiografie von Stefan Effenberg
darunter; so etwas gehört zum Geschäft.
"Auch das größte Vermögen ist irgendwann aufgezehrt", ließ Lunkewitz nun
melden, nachdem er die Insolvenz seines Verlags bekannt gegeben hatte. Und
mit dem Vermögen ist es wohl auch die Geduld des Verlegers. Seit 13 Jahren
prozessiert er darüber, ob die Treuhand je im Besitz des Verlags war und
ihn überhaupt hätte verkaufen dürfen. Hätte sie nicht, hat nun der
Bundesgerichtshof entschieden. Wenn es bei dieser Entscheidung bleibt,
drohen dem Verlag erhebliche Schadensersatzklagen, weil zahllose
Lizenzverkäufe nun ihre Rechtmäßigkeit verlieren.
Dass Lunkewitz die Insolvenzmeldung nicht mit seiner Geschäftsleitung
abgesprochen hatte, die am Freitag geschockt und wütend reagierte, mag ihn
nun zunächst in ein etwas seltsames Licht rücken. Aber eins kann man ihm
sicher nicht vorwerfen, "dass die Bücher hier im Westen nichts mehr wert
waren", wie Wolfgang Hilbig in "Das Provisorium" im Jahr 2000 in einem
späten Abgesang auf die Buchkultur der DDR beklagte. Bleibt mit Blick auf
eine mögliche Zukunft des Aufbau-Verlags zu hoffen, dass sich noch andere
berufen fühlen, Hilbig zu widerlegen.
1 Jun 2008
## AUTOREN
Wiebke Porombka
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Nachruf
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