# taz.de -- 100. Geburtstag von Georg Stefan Troller: Das nie geführte Intervi… | |
> Georg Stefan Troller ist ein Jahrhundert-Mann. Zum 100. Geburtstag des | |
> Autors, Journalisten und Filmers bringen wir eine Hommage von Ilja | |
> Richter. | |
Bild: Georg Stefan Troller ist Wiener Jude mit US-amerikanischem Pass in Paris | |
Georg Stefan Troller wird am 10. Dezember 100 Jahre alt. Vorab ein paar | |
Informationen zur Person für Menschen, denen logischer- und | |
biologischerweise [1][der Name „Troller“ kein Begriff sein kann, weil sie | |
nicht mit seinem legendären 1960er-Jahre-TV-Magazin „Pariser Journal“] | |
aufgewachsen sind. Es wurde, so sagte Troller später, gesendet „in einem | |
Deutschland, das sich ja nach den tödlichen Ausschweifungen der Hitlerzeit | |
eisern zurücknahm“. | |
RICHTER: „Und wie lief das ab zwischen Ihnen und dem deutschen Fernsehen?“ | |
TROLLER: „Ich hielt mich nicht zurück. Mein Paris sollte ein Gegenentwurf | |
dazu sein: eine Kamera, die sich überall hin durchdrängte. Eine Realität, | |
die nichts verleugnete oder versteckte. Dazu ein Text, der dem damals im | |
Fernsehen üblichen geradezu ins Gesicht schlagen musste – | |
feuilletonistisch, ironisch, kaustisch, selbstbezogen, weltmännisch. Mit | |
anderen Worten – jüdisch.“ | |
RICHTER: „Also Sie, ein Wiener Jude mit US-Pass, lehrten die | |
Nachkriegs-Deutschen den,Erzfeind' zu lieben?“ | |
TROLLER: (schweigt – stelle ich mir vor – und lächelt.) | |
RICHTER: „Der letzte deutsche Einmarsch in Paris 1940 lag 29 Jahre zurück. | |
Durch Ihr neues TV-Format nahmen die Bundesdeutschen diesmal Frankreich im | |
Sitzen ein: Vor dem Fernseher. Noch in Schwarzweiß!“ | |
TROLLER: „Die Chance meines Lebens. Antisemitismus, Emigration bedeuten ja | |
für ein Kind vor allem eines: Wenn dich keiner liebt, so bist du | |
wahrscheinlich nicht liebenswert. Du verlierst also deine Eigenliebe. […] | |
Und ja, das Filmemachen war meine große Chance, aus dieser Falle | |
herauszufinden.“ | |
Ein Wort zu Trollers Interviewstil: Er ließ in seinem freundlichen Wiener | |
Kaffeehaus-Französisch heikle Fragen nicht aus. Er umkreiste den Star nicht | |
– er umschnurrte ihn! Wie ein verführerischer, lebensschlauer Kater. Die | |
Katze ist sein Lieblingstier. Wer sich das Familienfoto von 1981 anschaut, | |
mit der vor ein paar Jahren verstorbenen deutschen Ehefrau, kleiner | |
Tochter, eine Katze im Arm des Familienvaters, die ganze Familie im Blick, | |
ahnt etwas von der Wärme dieses Mannes; den selbst [2][ein eiskalter Engel | |
wie Alain Delon] im Interview nicht aus der Ruhe hatte bringen können; | |
dessen „Kobrablick“ sogar gewiefte französische Journalisten fürchteten. | |
Freundlich lächelnd fragte er Delon, ob er denn wirklich, wie es heißt, | |
einen „scheußlichen Charakter“ habe. | |
DELON: (mit Pokerface) „Leugne ich absolut nicht. Ich habe einen | |
abscheulichen Charakter. Aber Charakter!“ | |
TROLLER: „Monsieur Delon, Ihrer Herkunft nach sind Sie ja eigentlich ein | |
Mann ohne Bildung und Kultur. Hat Sie das je belastet?“ | |
Hier senkt ein der Gosse entkommener Star nur kurz die Lider, fasst sich, | |
um dann zu gestehen. | |
DELON: „Ja. Bis heute. Aber dank solcher Menschen wie Visconti, wie Losey, | |
Melville, konnte ich mich doch geistig weiterentwickeln, wenn auch auf | |
meine Art.“ | |
Allerdings endet das legendäre Interview für Troller mit einem Knall. Er | |
hatte Delon ein Geständnis über die von ihm verlassene tote Romy Schneider | |
entlockt: | |
DELON: „Das Leben bestraft einen vielleicht zu Recht.“ | |
TROLLER: „Wie meinen Sie das?“ | |
DELON: „Ich weiß nicht, ob ich je wieder so gelacht haben werde wie mit | |
ihr. Wollen wir’s dabei belassen?“ | |
Troller belässt es aber dann doch nicht dabei und wird am Schluss | |
beschimpft. | |
DELON: „Sind Sie überhaupt Journalist? Weil ich nämlich den Eindruck | |
bekomme, bei einem Psychiater zu sitzen! Ich habe ohnehin schon zu viel | |
gesagt. Verstehen Sie jetzt, was das ist, eine zynische Persönlichkeit!?“ | |
Troller nickt. Und schweigt. Lächelt. Und so verwundert es mich, wenn er | |
über sein Arbeitsprinzip schreibt: „… dass ich die Menschen vor unserer | |
Kamera irgendwie als mir zugehörige Figuren empfinde, nicht viel anders als | |
der Autor von Fiktionen.“ | |
Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass er sogar den ihn beschimpfenden | |
Delon mochte. Ihn vielleicht nach 50 Jahren immer noch mag. Troller mag, | |
vermute ich mal, wenn’s zur Liebe nicht ganz reicht, lieber die | |
Unmöglichen. | |
Vom Seelenstriptease des Delon („Was Sie da tun, das ist ja | |
Vergewaltigung!“) über ein distinguiertes langes Gespräch mit dem nur | |
vorübergehenden Ehepaar Juliette Gréco/[3][Michel Piccoli] (ER: „Man weiß | |
nie, wann sie lügt oder die Wahrheit sagt.“ SIE: „Ich bin eine Clownin. Ich | |
habe meine dunklen Seiten“) bis hin zur Pariser Vorstadt-Hure, die sich | |
über ihre deutschen Kunden empört („Die sind die Schlimmsten“). Troller h… | |
sie alle gehabt, im Gespräch! | |
Und was hab ich? Nicht mal ein Zugticket nach Paris hab ich! Zum Meister | |
des geschliffenen Interviews. Jeden Sonntag ruft Troller seine Berliner | |
Vertraute Roswitha Völz an. Beneidenswert. Ich fahre nun erster Klasse ins | |
Land meiner Erinnerung. Ins historische „Wirtshaus Moorlake“ in | |
Berlin-Wannsee. Genieße „im gemütlichen Ambiente direkt an der Havel“ ein… | |
ruhigen Winterabend. | |
„Wir freuen uns auf Ihre Vorbestellung“ – lautet der Werbetext heute noch, | |
wie damals im Winter 1981, als die Mauer noch stand und grauhaarige | |
„Gänsebraten-Menü“-Gäste zwischen vier Gängen Literatur konsumierten. (… | |
heute noch.) | |
Selbst in diesem über 100 Jahre alten Ambiente las der damals auf die 60 | |
zugehende Herr Troller gegen den Dämon der Gemütlichkeit an. Umringt von | |
Jagdszenen aus dem Grunewald an den Tapeten und dem Alten Fritz – mal mit, | |
mal ohne Hund – hörte ich als knapp 29-jähriger Zuhörer, wie ihm anno 1938 | |
ein SA-Mann auf den Kopf gepisst hat. | |
Unabsichtlich. Denn der gerade mal 16-Jährige hatte sich im Keller unter | |
einem Papierhaufen versteckt; während draußen ein alter jüdischer Herr so | |
lange von den anderen Pissbrüdern in brauner Uniform geschlagen wurde, bis | |
er nicht mehr darauf bestand, „ein mit Auszeichnung entlassener | |
Kriegsteilnehmer“ gewesen zu sein. | |
„Was bist du also?“ „Ich bin ein Saujud“, stöhnte der nun. Es klappern | |
keine Kuchenteller mehr, als der Autor resümiert, dass „19 liebe Menschen“ | |
seiner Verwandtschaft ihre Lebensirrtümer unerschütterlicher Treue zu | |
Kaiser und Vaterland nicht überlebt haben. | |
Troller schon! Seine stinknormale Wiener Jugend endete unter einem | |
bepissten Papierhaufen. Hätte ihn der SA-Mann darunter entdeckt, wäre der | |
16-Jährige vielleicht doch noch in einer Moorlake verreckt. Fazit: Moorlake | |
hatte seine Schuldigkeit getan. Der Troller konnte gehen. Ohne Rücksicht | |
auf eventuelle Magenverstimmung. Denn zwischen Gänsebraten, Rotkohl und | |
Klößen konnte der so gern zitierte Kloß den Gästen ja gar nicht mehr im | |
Halse stecken bleiben. | |
Als es um Leben oder Tod des Wieners Troller ging, war man bereits beim | |
Kaffee. | |
So gern hätt’ ich | |
mit diesem Herrn | |
in sei’m Kaffeehaus g’sessn | |
Doch seine Kellner sind so tot | |
wie’s Wiener Schnitzel, | |
das wir dort niemals gegessen. | |
Stattdessen | |
unter’m Hohenzollern’schen Geweih | |
verbockter Kaiser-Tage | |
ein hundert Jahre alter Gast; | |
der ganz und Gänsebraten gar nicht | |
in die „Draußen nur Kännchen“- | |
Szenerie dort passt. | |
Humor ist, wenn man trotzdem | |
in Moorlake | |
Antworten gibt | |
auf manche nie gestellte Frage. | |
Und dann? | |
Ja, dann: | |
geht Troller | |
seine „ersten hundert Jahre“ an. | |
(So auch der Titel seines wunderbaren Buchs.) | |
Lieber Herr Troller, bitte, ergänzen Sie! | |
10 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ilja Richter | |
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