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# taz.de -- Freikaufen aus Berliner Gefängnissen: „Wir erwarten keine Dankba…
> Die Initiative Freiheitsfonds kauft Menschen aus Berliner Gefängnissen
> frei. Initiator Arne Semsrott kritisiert das System der
> Ersatzfreiheitsstrafe.
Bild: Wer zu oft ohne Fahrschein fährt, kann hier landen: Die Justizvollzugsan…
taz: Herr Semsrott, die [1][Initiative Freiheitsfonds] hat letzte Woche 21
Menschen aus Berliner Gefängnissen freigekauft, die wegen [2][Fahrens ohne
Fahrschein Ersatzfreiheitsstrafen verbüßt] haben. Wie kam es dazu?
Arne Semsrott: Die Idee gibt es schon seit zwei oder drei Jahren. Durch
eine Kooperation von der Online-Plattform FragDenStaat mit dem ZDF Magazin
Royale hatten wir nun aber die Möglichkeit, noch mal eingehender zu
recherchieren zum Thema Fahren ohne Fahrschein und die Hintergründe
aufzuzeigen. Die Initiative zum Freikaufen ist davon aber unabhängig.
Allein in Berlin verbüßen pro Jahr über 500 Menschen
Ersatzfreiheitsstrafen, weil sie ihre Geldstrafe nicht bezahlen können.
Kann man einfach so für jemanden die Geldstrafe übernehmen?
Ja, aber es muss das Einverständnis der Betroffenen vorliegen. In unserem
Fall haben wir in den Gefängnissen Formulare verteilen lassen, auf denen
sich die Betroffenen ausdrücklich einverstanden erklärt haben.
Grundsätzlich kann man auch über Anstaltsbeiräte Gefangene kontaktieren.
Die Gefängnisse haben in der Regel auch kein Interesse daran, dass Leute
wegen so etwas bei ihnen sitzen.
Kommen die Menschen sofort frei, wenn die Geldstrafe bezahlt ist?
Das kommt darauf an, wie man bezahlt. Wenn das vor Ort in bar geschieht,
wie wir das gemacht haben, erfolgt das im Prinzip sofort.
Sie haben also einfach einen Stapel Geldscheine auf den Tisch gelegt?
Ja, in der JVA Plötzensee haben wir am vergangenen Donnerstag mit 15.000
Euro zwölf Leute ausgelöst. In der JVA Lichtenberg haben wir am Freitag
13.000 Euro für neun Frauen beim Amtsgericht eingezahlt, das direkt neben
dem Gefängnis ist. Dann sind wir mit den Quittungen rüber, und die Frauen
sind freigekommen.
Haben Sie solange draußen gewartet?
Nein, das haben wir nicht gemacht. Es geht nicht darum, uns als Samariter
zu präsentieren. Wir erwarten von den Betroffenen auch keine Dankbarkeit.
Es geht darum, dass dieses gesamte System ungerecht ist und wir dem etwas
entgegensetzen wollen.
In der Regel muss man dreimal ohne Fahrschein erwischt worden sein, um ein
Verfahren wegen Leistungserschleichung zu bekommen. Was verbindet die
Menschen, die am Ende im Knast landen?
In der Regel sind das Personen, die in ihrem Leben aus verschiedenen
Gründen Probleme haben. Die überwiegende Mehrheit ist schon lange Zeit
arbeitslos, Statistiken zufolge sind das oftmals auch [3][Menschen mit
psychischen Krankheiten und einer Suizidgefährdung]. Viele haben keinen
festen Wohnsitz und haben deshalb nie die Gerichtspost bekommen, die immer
einer Inhaftierung vorausgeht.
Und wenn jemand sagt, er möchte die Zeit – im Schnitt sind das 30 Tage –
lieber im Knast bleiben, zumal jetzt im Winter?
Diese Leute kaufen wir natürlich nicht frei. Dass [4][Leute lieber im
Gefängnis bleiben,] ist natürlich auch Ausdruck des Versagens der
Gesellschaft. Es müsste andere Instrumente und Angebote geben. Gefängnis
darf nicht die Lösung sein.
Wie geht es jetzt mit Ihrer Initiative weiter?
Die 28.800 Euro für den Freikauf hatten wir durch Spenden im Freundeskreis
zusammenbekommen; von berufstätigen, freundlichen Leuten, die ein bisschen
Geld übrig haben. Nachdem die Aktion öffentlich geworden ist, haben wir
seit dem Wochenende über 200.000 Euro Spenden bekommen. Wir sind
überwältigt von dieser Reaktion und wollen jetzt auch bundesweit Leute
freikaufen. Das Problem gibt es ja überall. Zuvor müssen wir aber erst mal
ein paar Strukturen schaffen. Sei es, indem wir auf die Gefängnisse
zugehen, oder indem man uns die Leute meldet. Grundsätzlich ist das aber
keine Initiative, die sich nur auf Einzelfälle bezieht.
Was ist das Ziel?
Es geht darum, politisch Druck zu machen, dass niemand mehr hinter Gittern
landet. Das Fahren ohne Fahrschein muss endlich entkriminalisiert werden.
Nicht nur weil das Ganze unwürdig ist, der Staat würde dadurch auch immense
Kosten sparen.
Im Vertrag der Ampelkoalition im Bund steht, man wolle sich „für weitere
Schritte zur Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein und des
Containerns“ einsetzen.
Mit dieser eher nebeligen Formulierung hat sich die Ampel-Koalition zu
nichts verpflichtet. Wir wollen zeigen, dass die Zivilgesellschaft das Heft
in die Hand nimmt.
7 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.freiheitsfonds.de/
[2] /Debatte-ueber-Schwarzfahren/!5640207
[3] /Berliner-Strafvollzug/!5576444
[4] /Die-Haerten-des-Strafvollzugs/!5568800
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Gefängnis
Freiheitsstrafe
Fahren ohne Fahrschein
Arne Semsrott
Resozialisierung
Wochenkommentar
Fahren ohne Fahrschein
JVA
Haft
Dirk Behrendt
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