# taz.de -- Debatte über Schwarzfahren: Kein Grund für den Knast? | |
> Für manche Schwarzfahrer endet die ticketlose Fahrt in der JVA. Wie sich | |
> das ändern ließe, darüber diskutierten Aktivist*innen mit dem | |
> Justizsenator. | |
Bild: Hinter diesen Mauern sitzen viele Mehrfach-Schwarzfahrer: JVA Plötzensee | |
Mittlerweile hat es sich schon herumgesprochen: Viele der Menschen, die in | |
der JVA Plötzensee sitzen, tun das, weil sie mehrfach beim Schwarzfahren | |
erwischt und vom Gericht mit einer Geldstrafe belegt wurden, diese aber | |
nicht bezahlen. Viele können das gar nicht: Sie leben auf der Straße, sind | |
alkoholabhängig oder psychisch krank, oft desorientiert. | |
Wie sich diese sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen vermeiden ließen, deren | |
Vollzug jeden Tag tausende Euro kostet, deren Wirkung aber reichlich | |
zweifelhaft ist – darum ging es am Mittwochabend auf einer | |
Diskussionsveranstaltung im RigoRosa, dem Neuköllner Abgeordnetenbüro von | |
Anne Helm und Niklas Schrader (Linke). Neben dem grünen Justizsenator Dirk | |
Behrendt saßen der Geschäftsführer des Verbands Deutscher | |
Verkehrsunternehmen (VDV) Ost, Werner Faber, sowie Karlotta Egelhof und | |
Rosa K. von der Naturfreundejugend auf dem kleinen Podium des voll | |
besetzten Polit-Ladens. | |
Die Front zwischen den Aktivist*innen und dem VDV-Mann war einigermaßen | |
übersichtlich: „Der Knast ist ein Scheißort, da muss es schon sehr gute | |
Gründe geben, dass dort jemand hineinmuss“, fand Egelhof. Schwarzfahrende | |
gehörten dazu nicht: „Diese Leute sind oft schon suizidgefährdet, sie | |
verlieren durch die Haft ihre Wohnung und ihr Umfeld und haben anschließend | |
noch weniger Chancen auf einen Job, mit dem man dann ein Ticket kaufen | |
könnte. Da werden Menschenleben zerstört.“ | |
Faber hatte einen ganz anderen Ansatz: „BVG und S-Bahn stellen Strafanzeige | |
erst nach dem dritten Fall, manchmal sogar später. Wir halten das für einen | |
angemessenen Umgang mit dem Problem und sehen da keinen Änderungsbedarf.“ | |
Dass die Berliner Grünen den Straftatbestand „Schwarzfahren“ zur | |
Ordnungswidrigkeit herabstufen wollen und die Linke selbst Letzteres für | |
unangemessen hält, kann er nicht nachvollziehen: „Wir wissen nicht, welche | |
Signalwirkung das hat. Schlimmstenfalls lösen wir ein Problem, indem wir | |
ein anderes schaffen.“ Es gebe jetzt schon genug Menschen, die sich ein | |
Ticket leisten könnten und trotzdem keins kauften. | |
Dirk Behrendt verteidigte noch einmal den Vorstoß, Schwarzfahren aus dem | |
Tatbestand der „Leistungserschleichung“ (§ 265a StGB) herauszunehmen, um | |
Haftstrafen zu vermeiden: „Bei Ordnungswidrigkeiten gibt es zwar auch das | |
Mittel der Erzwingungshaft, aber wenn einer nüscht zum Bezahlen hat, ist | |
Zwang nicht zulässig.“ Die, „die jetzt sitzen, haben es nicht so dicke, die | |
allerwenigsten von ihnen sind leistungsfähig“. Mit der Groko im Bund sei | |
das Projekt Ordnungswidrigkeit jedoch vorerst zum Scheitern verurteilt. | |
Auch unterhalb dieses Ziels könne sich aber etwas verbessern, ließ der | |
Senator durchblicken. „Wir werden ausloten, wo es bei der BVG und den | |
Strafverfolgungsbehörden noch Stellschrauben gibt, um Spielräume zu | |
nutzen“, sagte er im Anschluss zur taz. Wie das konkret aussehen könnte, | |
ließ er offen. VDV-Mann Faber hatte aber in der Diskussion angeregt, dass | |
die BVG ja nicht verpflichtet sei, nach dem dritten Schwarzfahren | |
anzuzeigen – sie könne ja auch erst nach dem vierten oder fünften Mal oder | |
noch später reagieren. Die zivilrechtlichen Forderungen, das „erhöhte | |
Beförderungsentgelt“, blieben davon ohnehin unberührt. | |
## Aus der U-Bahn direkt in den Knast | |
Behrendt erklärte, wie die für einen Großteil der in Plötzensee | |
Einsitzenden viel zu hohen Geldstrafen zustande kommen: StaatsanwältInnen | |
und RichterInnen operierten meist mit Standard-Tagessätzen von 15 Euro – | |
„weil sie die Personen, um die es geht, oft gar nicht zu Gesicht bekommen“. | |
Die blieben dem Gericht absichtlich oder aus Unkenntnis fern und würden | |
dann meist bei erneutem Schwarzfahren von der Polizei direkt in den Knast | |
gebracht. | |
Bei jemandem, der Transferleistungen beziehe, seien 15 Euro „nicht ganz | |
falsch“. „Aber eine große Gruppe derer, die Ersatzfreiheitsstrafen | |
verbüßen, bekommt überhaupt keine Transferleistungen, etwa osteuropäische | |
Obdachlose, die in Berlin vom Betteln leben.“ Idealerweise, so Behrendt, | |
sollten die Tagessätze auf das gesetzliche Minimum von 3 Euro abgesenkt | |
werden, wenn sich bei Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe herausstelle, dass | |
sie gar kein Einkommen haben. „Das wäre tatsächlich eine Erleichterung, | |
aber dazu müsste man die Strafprozessordnung ändern.“ | |
Die zu bohrenden Bretter sind also dick. Für Rosa K. von der | |
Naturfreundejugend ist allerdings klar, dass Schwarzfahren noch nicht mal | |
eine Ordnungswidrigkeit sein sollte – „da entstehen schließlich Schulden�… | |
Die Problematik zeige, dass die Gesellschaft es derzeit einfach nicht | |
schaffe, allen Mobilität zur Verfügung zu stellen. Das müsse sich ändern: | |
„Die coolste Lösung wäre ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr.“ | |
21 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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