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# taz.de -- Klimabewegung und Radikalität: Brauchen wir eine grüne RAF?
> Der Koalitionsvertrag enttäuscht, die Mobilisierung läuft schlecht.
> Sollte sich die Klimabewegung radikalisieren?
Bild: Infrastruktur kann man besetzen, wie hier auf der Kohlebahn im Rheinland …
Darf man das Förderband eines Braunkohlebaggers kaputtmachen? Darf man
Maschinen sabotieren, die für die Erhitzung der Erde verantwortlich sind?
Darüber diskutiert gerade die Klimabewegung. Angestoßen hat die Debatte
der Klimaaktivist Tadzio Müller. Er prophezeite in einem Interview im
[1][Spiegel], dass sich ein Teil der Klimabewegung radikalisieren werde.
Und man hatte den Eindruck, [2][dass er diese Entwicklung nicht ohne
Sympathie betrachtet]. Sein Schlagwort „grüne RAF“ sorgte für den wohl
kalkulierten Aufschrei. So geht Pressearbeit.
Müllers möglicherweise selbst erfüllende Prophezeiung hat eine Kontroverse
ausgelöst, denn seiner Analyse stimmen viele in der Klimabewegung zu: Der
Koalitionsvertrag entspricht nicht dem 1,5-Grad-Ziel. Lautes Fluchen über
die Ampel ändert daran nichts. Gleichzeitig werden die Freitagsdemos
kleiner, und das liegt nicht nur an Corona. Was tun?
Vielleicht hilft ein Blick in die Bewegungsgeschichte: Als die rot-grüne
Bundesregierung im Jahr 2000 den Atomkonsens verabschiedete, waren viele
AktivistInnen unzufrieden. Trotzdem wurden die Proteste gegen
Castortransporte und AKWs kleiner. Erst nach der Ankündigung der
schwarz-gelben Bundesregierung, den Atomausstieg zu verzögern, erlebte die
Bewegung einen Aufschwung – und sie wurde radikaler: Mehrere Tausend
Menschen folgten dem Aufruf, Steine aus dem Gleisbett der Bahnstrecken zu
graben, auf der Atommüll ins Wendland transportiert werden sollte.
Es war der Versuch, eine radikalere Form des Zivilen Ungehorsams zu
etablieren – eine angekündigte Straftat für einen höheren Zweck. Aber war
man damit erfolgreich? Diskursiv war die Aktion sicherlich ein Erfolg und
verschob den Rahmen dessen, was verboten, aber legitim ist. Aber für den
endgültigen Atomausstieg sorgte die Katastrophe von Fukushima, nicht die
Radikalisierung der Bewegung.
## Radikalität ist kein Selbstzweck
Ähnliche Aktionsformen gibt es immer noch. Die Bewegung Ende Gelände ist
älter als Fridays for Future. Aber man hat in den letzten Jahren nicht
gesehen, dass Menschen in Massen von den Freitagsdemos in die Kohlegrube
gerannt sind. Aktionen des zivilen Ungehorsams sind anspruchsvoll, weshalb
nie mehr als ein paar Tausend engagierte, mehrheitlich junge Menschen
mitmachen.
Muss die Klimabewegung radikaler werden? Das ist die falsche Frage.
Radikalität ist kein Selbstzweck. Die Frage ist, wie man es schafft, mehr
Menschen aus verschiedenen Milieus für eine Klimapolitik zu gewinnen, die
der Realität der Klimakrise entspricht. Damit bei der nächsten Wahl die
Mehrheit nicht wieder sagt, dass ihr das Klima echt wichtig sei, aber nicht
entsprechend wählt.
In dieser Woche hat die Linksfraktion im Bundestag den ehemaligen
Porsche-Aufsichtsrat Klaus Ernst zum Vorsitzenden des Klimaausschusses
gewählt, gegen Widerstand aus der Bewegung. Der Posten ist nicht besonders
wichtig, aber die Wahl machte ein Problem deutlich. Die politische Linke
hat kein Personal, das überzeugend gewerkschaftliche und sozialpolitische
Forderungen mit einer zeitgemäßen Klimapolitik verbindet.
Dieses Problem teilt die Klimapolitik im Parlament mit der auf der Straße.
Und deshalb kann die Losung nicht sein: mehr Radikalität wagen. Sondern:
raus aus dem akademischen, homogenen Milieu der Bewegungspolitik. Rein in
Betriebe, Gewerkschaften, Kleinstädte.
19 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/tadzio-mueller-wer-klimaschutz-v…
[2] /Radikalitaet-der-Klimabewegung/!5789719
## AUTOREN
Kersten Augustin
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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