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# taz.de -- Serie über falsche Hitler-Tagebücher: Ohne Mut zur Hässlichkeit
> Mit „Faking Hitler“ erzählt RTL+ die Geschichte rund um die gefälschten
> Hitler-Tagebücher. Leider tappt die Serie in eine altbekannte Falle.
Bild: Geradezu haarsträubend: Lars Eidinger (links) als Reporter und Moritz Bl…
Es ist 1983 und aus der größten Sensation der bundesdeutschen
Journalismusgeschichte wird plötzlich ihr größter Skandal. Verursacher der
Katastrophe: das Hamburger Nachrichtenmagazin Stern. Die angeblich echten
Tagebücher Adolf Hitlers, die man für mehrere Millionen Mark angekauft und
dann veröffentlicht hatte, sind gefälscht. Und noch ziemlich schlecht dazu.
Auf einem Einband steht „FH“, statt „AH“ für Adolf Hitler – der „K…
hatte wohl die Frakturbuchstaben „A“ und „F“ verwechselt.
Im Zentrum der Stern-Affäre steht Gerd Heidemann, Starjournalist unter
Performancedruck und stolzer Besitzer der Jacht von Nazigröße Hermann
Göring. Er kauft die „Hitler-Tagebücher“ von dem kleinkriminellen Fälsch…
Konrad Kujau, der Hitlers Handschrift bereits gut draufhatte, weil er schon
vorher falsche NSDAP-Devotionalien an Altnazis verkaufte.
Manche realen Geschichten zeigen es: Die Wahrheit ist wirklich seltsamer
als die Fiktion. Und daraus folgt: Wie damit umgehen, wenn man filmisch
einen historischen Stoff verarbeitet, der wie eine Räuberpistole klingt?
Die RTL+-Serie „Faking Hitler“ will die Geschichte der Hitler-Tagebücher
seriös nacherzählen. Der gleichnamige [1][Stern-Podcast von 2019] ist dabei
die solide Grundlage, und der Cast mit Lars Eidinger als Journalist
Heidemann und Moritz Bleibtreu als Fälscher Kujau vielversprechend. Eine
Herausforderung ist es trotzdem: Denn die Regisseure Wolfgang Groos und
Tobi Baumann treten mit „Faking Hitler“ in große Fußstapfen.
## Modern und relativ spannend
Die Komödie „Schtonk!“ von Regielegende Helmut Dietl von 1992 bekam den
Deutschen Filmpreis und eine Oscar-Nominierung. Mit Götz George und Uwe
Ochsenknecht in den Hauptrollen avancierte „Schtonk!“ zum Kultfilm. Dietl
hatte entschieden, mit dem schrillen Stoff der Hitler-Tagebücher eines zu
tun: ihn noch weiter überdrehen. Daraus wurde eine bissige Groteske mit
Sätzen wie: „Auch in der Brust des Führers hat ein Menschenherz
geschlagen.“ Das Ergebnis ist eine extrem komische und zeitlose
Bloßstellung [2][einer nazi-nahen Nachkriegsgesellschaft.]
Auch „Faking Hitler“ scheint das wichtig zu sein: Die Gesellschaft der
Achtzigerjahre zu erzählen. Dabei bleibt man näher an der überlieferten
Realität von Heidemann und Kujau und lässt auch Ambivalenzen zu. Nämlich
Heidemann als sympathische Person, die auch eine beunruhigende Faszination
für Nazi-Memorabilia hat.
Soweit ist „Faking Hitler“ modern und relativ spannend. Stilistisch und
dramaturgisch genormt für die Seriengewohnheiten des Jahres 2021, dazu die
Greatest Hits der späten Siebziger und frühen Achtziger als Soundtrack.
Doch da ist noch etwas. Neben der historischen Grundlage erzählt „Faking
Hitler“ noch eine komplett ausgedachte Geschichte nebenher – quasi um auch
andere deutsche Beziehungen zum Nationalsozialismus zu zeigen. Da ist die
junge Stern-Reporterin Elisabeth. Sie findet heraus, dass ihr Vater in der
Waffen-SS und an Kriegsverbrechen beteiligt war. Und ein jüdischer
Aktivist, der verhindern will, dass die Hitler-Tagebücher veröffentlicht
werden.
Warum das Ganze nicht nur eine schlechte Idee, sondern geradezu
haarsträubend ist, zeigt sich in jeder der Figuren. Wie fast alle deutschen
Filmproduktionen konnte man nicht den Mut aufbringen, Altnazis,
Devotionalienfetischisten und geldgeile Nutznießer der ausgebliebenen
Entnazifizierung einfach mal als die hässliche westdeutsche Gesellschaft
der Achtzigerjahre stehen zu lassen, zu der sie gehörten.
Die linke Elisabeth muss als „gute Deutsche“ herhalten (denn die gab es
auch!), die ihrem Nazi-Vater stellvertretend für das Publikum Absolution
erteilt, als er sich seiner Vergangenheit stellt. Und dann der jüdische
Leo. Für die Backstory seiner Figur müssen die Opfer des KZ-Arztes Mengele
herhalten. Alles, damit er wiederum der „guten Deutschen“ Elisabeth
Absolution von ihrer deutschen Schuld erteilen kann, beim Falafelessen
unter Lichterketten.
Wäre „Faking Hitler“ nicht abgeschweift, um irgendeinen
Vollständigkeitsanspruch zu erfüllen, und stattdessen bei den tiefen
Abgründen geblieben, von der die Stern-Affäre in ihrem Kern erzählt, wäre
die Serie der Geschichte der Bundesrepublik eher gerecht geworden. Helmut
Dietl wusste das.
30 Nov 2021
## LINKS
[1] /Podcast-ueber-Hitler-Tagebuecher/!5564533
[2] /Gesamtdarstellung-zum-Zweiten-Weltkrieg/!5649819
## AUTOREN
Emeli Glaser
## TAGS
Adolf Hitler
RTL
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Rezension
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Serie
Ibiza-Affäre
Adel
Schwerpunkt Verbrecher Verlag
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