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# taz.de -- Mietenbewegung ohne Vorkaufsrecht: Ein Problem für die Demokratie
> Das gekippte Vorkaufsrecht ist ein weiterer Rückschlag für
> Mieter*innen – aber kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Denn
> aufgeben wäre fatal.
Bild: Mietendemo kurz vor der Wahl: Kurz danach stimmten über eine Million Ber…
Es ist ein erneuter herber Rückschlag für Mieter*innen in Berlin: Nach
dem [1][im Frühjahr vom Verfassungsgericht gekippten Mietendeckel]
kassierte nun das Bundesverwaltungsgericht das kommunale Vorkaufsrecht ein.
Es war eine der letzten wirksamen Maßnahmen zur Gegenwehr, wenn Investoren
auf Shoppingtour ins Milieuschutzgebiet kommen.
Mit dem Instrument hatten Bezirke in Berlin, aber auch [2][die Städte
München] und Hamburg auf lokaler Ebene ein letztes Mittel zur Abwehr und
Abschreckung von Investoren, auch wenn es kompliziert und teuer und auf von
Verdrängung gebeutelte Stadtteilen beschränkt ist.
In sogenannten Milieuschutzgebieten konnten Berliner Bezirke bei einem
drohenden Hausverkauf das Vorkaufsrecht ziehen, falls sich der Investor
nicht auf eine Abwendungsvereinbarung verpflichtete, die den Zielen des
Milieuschutzes entsprach – etwa dem Verzicht auf Umwandlung in Eigentum
oder auf Luxusmodernisierungen.
In Berlin wurden in der vergangenen Legislatur so insgesamt mehr als 12.000
Wohnungen vor privaten Investoren gerettet. Ein punktuelles und teures,
aber langfristig wirksames Mittel, um günstige kommunale Wohnungsbestände
zu sichern und eine soziale Durchmischung in Innenstadtkiezen zu erhalten.
## Hängende Köpfe, Ohnmacht, Wut
Nach dem Urteil vom Dienstag ist die Luft in der Mietenbewegung gerade
raus. Doch, wie schon mehrfach in den vergangenen Jahren, gilt auch hier:
die Mietenbewegung wird nicht aufgeben. Wie sollte sie auch?
Mieter*innen können es sich schlichtweg nicht leisten, diese Entwicklung
einfach so hinzunehmen: Der Berliner Wohnungsmarkt ist kaputt,
Mietsteigerungen und Wohnungsknappheit machen Umzüge faktisch unmöglich,
wenn man nicht gerade über ein Richtergehalt verfügt. Und der von der SPD
so präferierte Neubau dauert zu lange, ist zu wenig sozial, scheitert an
Engpässen in der Bauwirtschaft oder ist schlichtweg zu teuer für
Normalverdiener, weil private Investoren nur schicke Penthäuser an die
Spree bauen oder Gated Communities hochziehen wollen.
## Erste Demo steht
Angesichts dessen ist der erste Protest von der [3][Kreuzberger Mieten-Ini
Bizim Kiez] bereits für dieses Wochenende angekündigt: Der widerständige
Laternenumzug gegen Verdrängung findet in diesem Jahr unter dem [4][Motto
„Jetzt erst recht“] statt.
Ähnlich war es im April: Als der Mietendeckel kippte, gingen am gleichen
Tag mehr als zehntausend Menschen wütend auf die Straße, weil eine erstmals
wirksame und im Geldbeutel spürbare Mietenpolitik von der konservativen
Kammer des Bundesverfassungsgerichts gekippt worden war – nach einer Klage
unter anderem der CDU, die in den vergangenen Jahrzehnten ausdauernd
wirksamen Mieterschutz verhindert hat.
Auch eine Folge dieser Verfassungsgerichtsentscheidung waren die mehr als
eine Million Menschen, die am 26. September in Berlin für die
[5][Enteignung großer Wohnkonzerne] gestimmt haben – mehr als doppelt
soviel Stimmen als jede Einzelpartei bei der Berlin-Wahl bekommen hat. In
von Verdrängung besonders betroffen Kiezen gab es über 70 Prozent
Zustimmung.
Nun hat wieder ein letztinstanzliches Gericht zu Ungunsten von
Mieter*innen entschieden. Das Leipziger Urteil verkennt jegliche soziale
Realitäten in Deutschlands Innenstädten. Auch wenn es bei weitem nicht so
große Auswirkungen hat und der Aufschrei kleiner ist als zuletzt beim
Urteil zum Mietendeckel, sollten sich Mieter*innen, aber auch Kommunen, in
den das Thema eine zentrale Rolle spiel, nicht davon entmutigen lassen.
Wichtig wäre jetzt, dass in den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene
Mieter*innenschutz eine Rolle spielt – trotz der FDP. Wenn der
Bundesgesetzgeber die Länder und Kommunen nicht ermächtigt, wirksame
Regelungen zum Schutz von Mieter*innen zu erlassen, Mietenstopps oder
Mietendeckel lokal zu ermöglichen und das kommunale Vorkaufsrecht durch ein
angepasstes Baugesetzbuch repariert, werden Ohnmacht und Wut in Teilen der
Bevölkerung weiter wachsen.
Das gilt nicht nur für organisierte Mieter*innen: Wenn demokratisch
legitimierte Politiker*innen vor Ort keine Möglichkeiten haben,
passende Antworten auf soziale Fragen zu finden, ist das föderalistische
System gescheitert. Nicht auszudenken, was passiert, wenn Franziska Giffeys
SPD in Berlin es jetzt auch noch schafft, das Volksbegehren für
Vergesellschaftung zu verschleppen, obwohl eine absolute Mehrheit der
Bevölkerung es unterstützt.
Kommunale Verwaltungen, lokale Mieter*innenbewegungen und die
Landespolitik müssen dringend ermächtigt werden, sich gegen die bestehende
Schieflage zu wehren. Das ist für lokale Mitbestimmung und für Demokratie
von zentraler Bedeutung – denn warum sollte man überhaupt noch wählen
gehen, wenn man beim drängendsten sozialen Thema vor Ort mit seiner Stimme
keinen Unterschied mehr machen kann?
13 Nov 2021
## LINKS
[1] /Mietendeckel-Gesetz-in-Berlin/!5766576
[2] https://www.tz.de/muenchen/stadt/gericht-laesst-mieter-in-muenchen-im-stich…
[3] https://www.bizim-kiez.de/blog/2021/11/10/pm-widerstaendiger-laternenumzug-…
[4] https://twitter.com/bizimkiez/status/1458719020740395014
[5] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!t5764694
## AUTOREN
Gareth Joswig
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